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Doch es war nicht Jada, die den nächsten Tag rettete. Ich war mit ihr und Serena auf dem Schulhof, wo sich auch die ganzen anderen Cheerleaderinnen herumtrieben, als Elijah und seine Jungs vom Training dazustießen. Wir standen am Rand, sahen zu wie Mädchen und Jungs aufeinandertrafen und bei den meisten das obligatorische Rumgeknutsche begann. Ich bemerkte ein Mädchen, das ebenfalls alleine dastand und so sehnsüchtig zu Elijah hinüber sah, dass ich Serena darauf ansprechen musste.

„Das ist Keira, seine Ex. Sie will ihn immer noch, nachdem er Schluss gemacht hat. Aber er interessiert sich nicht mehr für sie", informierte sie mich, dann kam Marc und nahm ihre Hand, ich fand die beiden total süß zusammen. „Marc, das sind Jada und Austin", stellte sie uns vor. Mein Blick fiel auf Elijah, der nicht weit von uns stand, ich konnte nicht anders als ihn anzusehen.

„Du bist mit der Schwuchtel befreundet?", fragte einer der Typen.

Alle sahen mich an, gafften. Mir wurde augenblicklich heiß, ich senkte hastig den Blick zum Boden, erstarrte. Ich bin ihnen schon öfters begegnet, den Menschen, die sich tatsächlich trauen mich zu beleidigen. Ich habe gelernt es hinzunehmen, es schmerzvoll über mich ergehen zu lassen. Früher hatte Jada mich verteidigt, wurde wild und trat und schubste. Heute blieb sie still, nahm das Leiden hin, ich wusste, sie fühlte es auch.

Was mich so traurig machte war, dass sie nur mein Äußeres sahen und es verspotteten. Sie glaubten mich in einem Wort erfassen zu können: Schwuchtel. Sie machten einen schlechten Menschen aus mir, der ich nicht bin und das störte sie nicht mal. Sie werteten mein Anderssein ab, beleidigten es, erstochen es mit bösen Worten.

„Keith, das war scheiße von dir", durchbrach Elijah die Stille. Seine Stimme gab mir mit einem Mal meine Kraft zurück und ich hob den Kopf.

„Alter!", gab Keith zurück und hob abwehrend seine Hände, ein Zeichen der Schwäche, wie ich fand. Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, beschloss die Gruppe sich aufzulösen und Essen aufzusuchen. Ich riss mich zusammen, jetzt oder nie, und wandte mich an meinen Retter.

„Ähm, hey."

Elijah drehte sich zu mir um, er war ein ganzes Stückchen größer als ich, was mir irgendwie gefiel.

„Danke", sagte ich, „das war nett."

Ich hoffte, dass er etwas sagen würde, doch er nickte nur kurz, bevor er sich wegdrehte und seinen Jungs hinterher joggte. Ich glaubte noch ein Lächeln auf seinen Lippen gesehen zu haben.

Vielleicht ging ich deshalb gut gelaunt zu meiner ersten Theaterstunde an dieser Schule. Meine erste Theateraufführung hatte ich mit sechs Jahren gehabt, ich hatte einen Esel gespielt. Danach wollte ich mein Kostüm nicht mehr ausziehen. Zum Glück zog ich es doch aus, aber das Theater war aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Es ist weniger das Theaterspielen, das ich liebe, sondern vielmehr das Schreiben einer Geschichte, das Entwickeln meiner Ideen. Ich kann einfach aussteigen und einsteigen in eine andere Welt, in der alles möglich ist und in der man sein kann, wer man will.

Ich öffnete die Tür zum Workshop, ein schummriger, warmer Raum mit Zuschauerreihen und einer Holzbühne. Die Atmosphäre war mir sofort vertraut. Auf der Bühne saß eine kleine Gruppe Leute in einem Sitzkreis auf dem Boden, alle schwarz gekleidet, eine Einheit, eine Gemeinschaft. Ich fühlte mich sofort willkommen.

„Komm nur rein", sagte der Mann im Kreis, seine Stimme hallte zu mir hinauf. Ich trat ein und ging hinunter zur Bühne, die Blicke der anderen folgten mir. „Du bist Austin Whitlock, nicht wahr? Ich bin Mr Johnson, aber die Schüler nennen mich gerne Mr Butterfly. Willkommen im Theaterkurs."

Ich ging in die Mitte des Kreises, verbeugte mich einmal, dann setzte ich mich in eine Lücke, lächelte.

Alle Blicke lagen auf mir, wieder hatte ich den Drang, gedanklich in Worte zu fassen, was sie sahen. Einen schlanken, schwarzhaarigen Jungen mit dunklen Augen, der enge, modische Sachen trägt. Einen Jungen, dessen Bewegungen eher weiblich sind, dessen Blick nicht gelangweilt, sondern sprühend lebhaft ist.

Doch hier war es mir egal, hier war es nicht schlimm, ich zu sein, denn hier konnte ich alles sein, was ich wollte.

„Was führt dich zum Theater?", fragte Mr Butterfly, ich mochte ihn schon jetzt, denn er schien mir ausgeglichen und ehrlich, ein Künstler, ein Freigeist. Menschen wie ihn hatte ich mir schon immer als Vorbild genommen, denn sie konnten über Grenzen hinaussehen.

„Naja, es zieht mich irgendwie an, schätze ich. Wenn ich hier bin, fühle ich mich gut, es macht etwas mit mir, es gibt mir Kraft, ich selbst zu sein. Theater akzeptiert, weil es keine Grenzen hat."

Plötzlich wusste ich, dass ich angekommen war.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt