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Ich wollte ihn wiedersehen, ich wollte seine Nähe. Ich hatte sie die ganze Zeit gewollt. In diesem Moment kam ich mir unglaublich dumm vor, weil es zu spät war, ich hatte es vermasselt. Da waren Gefühle für Elijah in mir, deren Bedeutung ich ignoriert hatte und jetzt kamen sie in einem Ruck, überfluteten mich.

Doch dann spürte ich Jadas Arm um meine Schultern, was mir Trost gab, und ich ließ mich von ihr zurück ins Haus bringen. Kurt saß in seinem Sessel, sein Gesicht hatte eine ungesunde rote Farbe, sein Blick war wie eingefroren. „Das tut mir wirklich leid mit Charlize", sagte ich, weil ich mich schuldig fühlte, weil ich es kaputt gemacht hatte. „Seit ihr da seid ist es nicht mehr dasselbe mit ihr gewesen", erwiderte er kühl, „das klappt nicht mit euch."

Ich brauchte einen Moment um zu verstehen, was er damit meinte. „Es klappt nicht mit uns?"

„Bevor ihr kamt war Charlize glücklich mit mir!"

Ich konnte es nicht fassen. „Was dich interessiert ist nur dein bequemes Leben! Wie konnten wir nur glauben, dass alles wieder wie früher wird? Weißt du was? Wir gehen zurück zu Mom, denn sie liebt uns, während du uns nur das Gefühl gibst, dass du uns nie wolltest!", schrie ich.

„Dann geht doch!", schrie er zurück, „geht zurück zu eurer Mutter, die mir vorgegaukelt hat, ihr wärt meine Kinder! Aber ihr seid die Brut irgendeines Typen, der auf mich geschissen hat! Und das habe ich jetzt davon!" Seine Worte verhallten im Raum, zurück blieb eine kalte Stille, die mir fast den Atem raubte. Ich hatte mich so in ihm getäuscht, von meinem Vater war nichts mehr übrig geblieben. Wir waren gekommen mit der Hoffnung, einander zu vergeben, denn in mir war noch immer die Liebe eines Sohnes gewesen, doch jetzt war sie endgültig ausgelöscht. „Gut", sagte Jada, „wir gehen."

Kurt hielt uns nicht auf, also packten wir unsere Sachen, ließen nichts in diesem Haus, was ihn an uns erinnern würde. Ich hatte gerade angefangen dieses Zimmer zu mögen und mich daran zu gewöhnen, doch jetzt schien es mir falsch. Ich freute mich auf mein Zimmer, auf mein Haus, meine Straße.

„Austin, was war das mit dir und Elijah?", fragte Jada, als wir unsere Koffer im Auto verstauten. „Ich hätte mich aus seinem Leben raus halten sollen."

Sie nahm mich in den Arm und drückte mich, so wie früher, wenn ich geweint hatte. „Du weinst wegen ihm, habe ich recht?"

Ich nickte und ein paar Tränen tropften in ihre Haare. „Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt und ich habe es vermasselt."

„Manchen Menschen begegnet man zweimal im Leben. Vielleicht bekommst du noch eine Chance. Irgendwann", tröstete sie mich, trat zurück und schloss den Kofferraum. „Und jetzt gehen wir nach Hause." Ich sah ein letztes Mal zurück, doch da war nichts, was mich halten könnte, also stieg ich in das Auto. „Neuanfang?", fragte Jada.

„Neuanfang", wiederholte ich und zwang mich zu einem Lächeln.


Mom brach in Tränen aus, als sie uns wieder in ihre Arme nehmen konnte und weil ich so sentimental war, weinte ich mit ihr. Jeffrey, der schon früher wieder zurückgekommen war, half mir beim Auspacken. Er war glücklich, mich wieder bei sich zu haben. Ich für meinen Teil machte mir einen genauen Plan. Erst strich ich mein Zimmer in der Farbe Wassermelone, dann ging ich shoppen, erneuerte meinen Kleiderschrank und schließlich beschloss ich, Elijah zu vergessen und Jeffrey zu lieben.

Was folgte war ein Sommer in Miami, mit meinen besten Freundinnen aus Park Falls, die mich wieder aufbauten, unvergesslich war es, ein schöner Sommer am Meer. Im Herbst machte ich einen weiteren Schritt: Jada und ich meldeten uns am College an, dem Carthage in Kenosha, Wisconsin. Ich wollte unbedingt das Theaterstipendium.

Jeffrey engagierte sich in einer Hilfsorganisation für Entwicklungsländer, er liebte es, mit anzupacken. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Zu meinem achtzehnten Geburtstag reisten wir zusammen nach New York, für ein paar Tage. Ich verliebte mich in diese Stadt und ihre Schönheit im Winter. Silvester kam, ich war froh darüber. Jeffrey entwickelte die Idee, ein Jahr nach Afrika zu gehen um dort vor Ort zu helfen, er redete ausschließlich davon und ich hörte ihm zu, verstand, dass ich ihn gehen lassen musste. Er zögerte lange, doch ich redete ihm ein, dass er es bereuen würde, wenn er nicht ging.

Mir wurde klar, dass meine Gefühle für ihn nicht mehr dieselben waren. Ich liebte ihn auf eine starke Weise, doch sie war nicht aufregend, sie erfüllte mich nicht mehr. Der Abschied fiel mir schwer, aber ich blieb stark. Ich würde ihn wiedersehen und bis dahin würden wir uns schreiben, in Kontakt bleiben. Jeffreys letzte Worte „Ich liebe dich" wirkten so wahr, ich befürchtete, nie wieder den Ernst dieser Worte erfassen zu können, ohne ihn. Ich hatte Angst, dass meine Welt erneut zusammenfallen würde, aber das tat sie nicht, im Gegenteil, ich fühlte mich frei.

Ich hatte vor, den Rest der Schulzeit bis zu meinem Abschluss zu genießen und das Leben auf mich zukommen zu lassen. Und es kam auf mich zu. Nur nicht so wie ich es mir vorgestellt hatte. Es rief bei uns Zuhause an und sagte: „Kurt hat Krebs."

Mom traf eine schnelle Entscheidung, welche mein Leben erneut umwälzte: Wir würden alle zurück nach Beaver Dam gehen, um ihn zu unterstützen. Alle bis auf Chrissy, sie studierte bereits. Keiner von uns wusste wie lange wir fort sein würden. Wir stiegen mit gemischten Gefühlen ins Auto. Es schien mir, als würde ich aus einem Traum erwachen, als ich die erste Häuserreihe von Beaver Dam erblickte. Fast ein Jahr war vergangen. Ich konnte es in wenigen Sätzen zusammenfassen, es schien auf einmal so unbedeutend.

Mit jedem Meter wurde das was vor mir lag wichtiger. Plötzlich wusste ich warum. Elijah. Ich würde ihn wiedersehen. Mein Herz meldete sich mit einem Satz. Die Zeit ohne ihn erschien mir wie ein Film, den ich zurückspulen konnte, er durchlief meinen Kopf, doch meine ganze Aufmerksamkeit galt einem Bild:

Elijahs Gesicht, ganz nah an meinem.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt