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„Ich...", begann er, „muss mit dir reden."

„Über?", fragte ich alarmiert. Dieser Satz hieß nichts Gutes.

„Uns", sagte er und stellte seinen Laptop beiseite. „Elijah, was bedeute ich dir?"

Ich holte tief Luft. Gerade weil ich diese Frage schon so oft beantwortet hatte, wirkte sie jetzt umso bedrohlicher auf mich.

„Alles. Das weißt du."

Er schüttelte langsam den Kopf, was mir Sorgen machte. Seine Stimme zitterte. „Jedes Mal wenn wir gemeinsam unter Menschen sind, bin ich Fehl am Platz. Sieh dich um, all deine Freunde sehen das genauso. Ich gebe dir keine Schuld Elijah, denn es liegt an mir. Ich habe das Gefühl nicht hierher zu gehören. Ich möchte nicht immer der schwule Junge sein, der dir hinterherrennt. Mich verbindet nichts mit diesen Leuten. Und diese Leute sind dir sehr wichtig, das weiß ich. Sobald ich aufkreuze beginnt die Geheimnistuerei und ich habe das Gefühl, dir im Weg zu stehen." Tränen stiegen ihm in die Augen.

Ich, ganz erschrocken, stand auf und hockte mich vor ihm nieder. „Hey, was sagst du da?", fragte ich sanft und legte meine Hände auf seine Knie, „niemand ist mir so wichtig wie du. Und niemand ist gegen dich."

„Das stimmt nicht, Elijah", widersprach er schluchzend, „das ist eine Lüge! Wie sollen wir uns ernst nehmen, wenn die anderen es nicht tun? Ich kann es nicht!"

„Ich nehme uns doch ernst." Ich war ein bisschen verzweifelt. „Warum glaubst du mir nicht? Was ist passiert?"

Er atmete stockend ein, rang nach Luft bevor er sprach. „Mein Vater ist gestorben!" Jetzt liefen ihm Tränen über das rote Gesicht.

„Kurt ist tot?" Voller Mitleid griff ich nach seiner Hand.

„Nicht Kurt! Stefan!", schluchzte er, „er hatte einen Herzinfarkt, vor drei Wochen! Ich wollte ihn anrufen, schon vor Monaten! Aber ich habe es nicht getan, verstehst du? Ich habe es nicht getan!"

Er redete von seinem richtigen Vater, dem biologischen, nach dem er gesucht hatte und nach dem ich mich nicht bei ihm erkundigt hatte.

„Jetzt werde ich ihn niemals kennenlernen! Ich war so nah, so nah dran! Ich hätte einfach nur..." Er versteckte sein nasses Gesicht in seinen Händen. „Jetzt ist alles zu spät! Warum habe ich gezögert? Warum?"

Ich nahm ihn in die Arme, wollte ihn trösten, weil ich ihn nicht weinen sehen wollte. Er machte auch mich traurig.

„Du kannst nichts dafür. Du konntest es nicht wissen. Niemand kann das."

Ich strich ihm über die Wange und fing ein paar Tränen auf. „Du darfst dir nicht die Schuld geben, hörst du?"

„Aber hätte ich ihn früher angerufen, dann hätte ich ihn kennengelernt!", schluchzte er verzweifelt, „ich habe es vermasselt! Wie soll ich mir das je verzeihen?"

Er stand auf und entzog mir seine Hände. „Sieh mich an, Elijah. Und schau dich an. Du hast so große Träume. Das ist gut, aber nicht wenn es eine Entscheidung zwischen diesen Träumen und mir sein muss. Dein Team, dein Coach, die anderen, alle haben Vertrauen in dich. Ich will nicht ihre Enttäuschung sein, Elijah. Sie wollen mich nicht und manchmal habe ich das Gefühl, du willst mich auch nicht. Ich liebe dich, aber im Moment ist alles so durcheinander. Ich weiß nicht was ich machen soll."

Seine Worte taten mir weh. Er benannte, was zwischen uns stand, sprach es aus. Es machte mir Angst, er machte mir Angst, Angst ihn zu verlieren.

Ich stand ebenfalls auf, ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und fuhr mir aufgelöst durchs Haar. Dann drehte ich mich wieder um.

Ich konnte das hier nicht zulassen.

„Und was heißt das jetzt?", rief ich verzweifelt. „Was willst du? Was soll ich besser machen? Ich liebe dich! Verdammt, ja ich verstehe, dass du mit den anderen nicht klarkommst. Ich verstehe, dass dich die Sache mit Stefan belastet. Aber du lässt dich von allem angreifen!"

Hilflos hob ich die Hände. „Wo ist dein Selbstbewusstsein hin? Der Austin, der aufrecht geht?"

Ich ließ meine Hände wieder sinken und seufzte tief. Ich hatte Fehler gemacht. Ihn alleine am Rand stehen lassen. Ihm nicht zugehört. „Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass das gestern passiert ist."

Er wischte sich über das Gesicht. „Vielleicht ist es besser, wenn wir eine Pause einlegen. Ich kann das gerade nicht. Das ist mir alles zu viel."

Er hob seinen Laptop auf, während mein Herz einen Schlag aussetzte.

„Warte nein", beeilte ich mich erschrocken zu sagen, „ich mach' das wieder gut!"

Aber er sah entschlossen aus und ich erkannte, dass ich keine Chance mehr hatte. Die Erkenntnis schnürte mir die Kehle zu.

Er schüttelte den Kopf. „Gebe mir die Zeit, bitte. Ich muss nachdenken."

„Wie lange?" Ich musste es flüstern, weil ich meiner Stimme nicht traute.

„Wir sehen uns auf Coreys Hochzeit."

„Das sind fünf Wochen!" Eine unendlich lange Zeit.

Doch ich verdiente es, denn ich hatte es vermasselt, hatte mir selbst mehr Aufmerksamkeit geschenkt als ihm, hatte mich in Selbstmitleid ziehen lassen, obwohl er für mich da gewesen war.

Langsam ließ ich mich in den Sessel sinken. Ich sah es als meine gerechte Strafe, die härteste, die er mir geben konnte.

Stumm sah ich auf. Er war fort.

Ich würde es besser machen, das nahm ich mir fest vor. Ich würde diese Beziehung nicht länger kaputt machen. Sie war das Wertvollste was ich hatte. Warum hatte ich ihm das nicht gezeigt?

Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten, aber in fünf Wochen würde ich es besser machen.

„Versprochen", flüsterte ich.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt