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Erst nachdem Austin am Sonntagabend nach Kenosha gefahren war, begriff ich, was Bart mir angetan hatte.

Ich wurde wütend.

Die Distanz der anderen, die bösartigen Kommentare, meine schlechte Leistung, der Bruch mit meinem Team, all das war passiert, weil Bart mich verpetzt hatte. Er hatte die Brücke zerstört, die mich zu meinem Ziel geführt hätte. Alle Pfeiler, die diesen Traum gestützt haben, waren weggebrochen.

Ich hätte nicht gedacht, dass er so herzlos sein konnte. Wir waren Freunde gewesen, wir hatten viel geredet und zusammen gelernt. Ich wusste, dass er nicht besonders empathisch war, aber ich hätte nie gedacht, dass er mich so hintergehen könnte.

Unwillkürlich musste ich an den Charity-Ball denken, als ich ihn geküsst hatte, in einem Anflug von Schwäche, einem Zeitpunkt, in dem ich die Kontrolle verloren hatte.

Aber Bart war es nicht wert gewesen, auch nur ein Fünkchen meiner Zuneigung zu bekommen.

Ich hatte mich in ihm geirrt, er war ein Idiot.

Ich spürte, wie sich eine Träne den Weg über meine Wange bahnte und wischte sie wütend weg. Ich brauchte jetzt einen Ort, an dem ich allein sein konnte: Das Stadion.

Langsam überquerte ich das große Feld, das von Flutlichtern beleuchtet wurde. Stille lag über den leeren Sitzreihen.

Hier war schon immer meine Heimat, mein Lieblingsort gewesen.

Ich war wütend auf Bart, auf mich, auf die ungerechte Welt.

In der Mitte des Feldes blieb ich stehen und legte mich dann auf den Boden, Arme und Beine von mir gestreckt. Ich schloss die Augen, wollte, dass mich diese beschissene Welt einfach in Ruhe lässt. Was hatte ich ihr angetan, dass sie mich immer wieder verletzte? Warum hatte sie sich plötzlich gegen mich gewendet?

Alles war glatt gelaufen, es war perfekt gewesen. Bis...

„Machst du das öfter?"

Ich zuckte zusammen, als ich einen Mann direkt über mir sprechen hörte. Schnell öffnete ich die Augen und erschrak noch einmal als ich sah, wer dort stand. „Gale?"

Mein Großcousin stand über mir, in den Händen einen Besen und eine große Kehrschaufel. Er trug eine blaue Latzhose und sah ungepflegt aus mit einem Dreitagesbart und den strähnigen, schulterlangen Haaren.

„Ich mache hier sauber und was machst du?"

Ich setzte mich schnell auf. „Ich..." Irgendwie hatte ich keine Lust, mir eine angemessene Lüge auszudenken.

Gale streckte mir seine behaarte, kräftige Hand hin. „Komm hoch. Ich schaue nicht gerne auf andere runter."

Aber ich blieb sitzen. Ich hatte das Gefühl, nie wieder diesen Platz verlassen zu wollen. Schließlich setzte er sich zu mir.

„Ist das eine Art von Meditation?" Er legte lässig seine Unterarme auf seine Knie.

„Das ist eine Art Die-Welt-ist-scheiße-Position", antwortete ich leise.

Gale betrachtete mich. „Irgendwie logisch, dass du deswegen an diesem Ort bist."

Da war ein vertrautes Lächeln in seiner Stimme und ich hatte das Gefühl, wieder ein Kind zu sein.

„Das war schon früher dein Zufluchtsort wenn es dir scheiße ging. David und ich haben dich immer hier gesucht, wenn du weggelaufen bist. Und hier warst du. Auf dem Feld. Hast Bälle geworfen. Ich wusste damals schon, dass du Profi wirst."

Ich vergrub die Hände in meinen Haaren. „Dann hast du dich getäuscht."

„Hey hey hey", machte er und legt mir eine Hand auf die Schulter, so wie es mein Vater früher oft getan hatte. „Ich habe mich nie in dir getäuscht. Kannst du dich noch daran erinnern, als du mit fünf Jahren dein erstes Spiel gewonnen hast? Ich wusste, dass du es schaffst und du hast es geschafft. Also wo liegt das Problem? Was lässt dich so zweifeln, Kleiner?"

„Ich bin nicht mehr der kleine Junge von damals, Gale. Ich habe mich sehr verändert. So sehr, dass ich mir selber im Weg stehe", antwortete ich und seufzte tief.

„Was habe ich verpasst?", fragte er sanft.

Missmutig fuhr ich mit den Fingern über das kurze Gras. „Die Pubertät."

Er runzelte die Stirn. „Du wirkst nicht wie ein problematischer, drogenabhängiger, Rockmusik-fanatischer Ausreißer-Teenie."

Austin hätte jetzt gelacht. Ich konnte es nicht. „Ich bin schwul, Gale."

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt