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Aus dem Auto zu steigen fühlte sich beinahe an wie eine Befreiung, ich war kein Fan von langen Autofahrten. Man fühlte sich ausgelaugt und matschig und die Kleidung war zerdrückt. Mein Blick huschte immer wieder zur Haustür. Sie erschien mir wie unter Spannung, geladen, und ich hörte schon den Trommelwirbel in meinem Kopf. Mein Herz begann schneller zu werden, passte sich dem Trommelwirbel an, steigerte sich mit jedem Schritt in Richtung Veranda.

Doch als ich vor der Tür stand, erschien sie mir plötzlich tot. Das ganze Haus war so still, die Tür fest verriegelt, erstarrt, so wie ich es war. Ich fühlte mich nicht mehr willkommen, traute mich nicht, die Klingel zu drücken. Sie würde die Stille zerreißen, würde meinenVater dazu drängen, die Tür zu öffnen und sich über den Einzug zu freuen. Ich hatte Angst, ihn aus seinem fremden Leben zu ziehen, Angst, mich ihm vorzustellen.

Schließlich war es Chrissy, die die Klingel drückte. Als mein Vater seine Tür öffnete und uns nach drei Jahren unterbrochenem Kontakt wieder in die Augen sah, fiel die Spannung von mir ab.

Ich war froh zu sehen, dass er sich äußerlich kaum verändert hatte, ein bisschen Bauch war hinzugekommen, seine Haare waren eine Spur länger, doch ich hatte sofort wieder das Gefühl, alles an ihm zu mögen.

Wir schwiegen alle für einen Moment, musterten uns ausgiebig. Der Blick meines Vaters wanderte von Jada zu mir und ich hielt gespannt die Luft an. Ich hatte mich verändert, sehr.

Gedanklich folgte ich seinem Blick von meinen Haaren hinunter bis zu meinen Schuhen wie ein Scanner, sah, was er sah. Meine schwarzen Haare, glänzend, gestylt. Ich hatte am Morgen ewig dafür vor dem Spiegel gestanden und mit meinem Haarspray gekämpft, nicht, dass meinem Vater diese Bemühungen aufgefallen wären. Ich scannte weiter, gelangte zu meiner Jacke, nichts dabei, einfach nur schick, dann meine Hose, okay. Sie war eng, aber ich fand sie Bombe, weil sie so einen schönen Hintern machte. Bei meinen Schuhen angekommen, machten sich die Gesichtszüge meines Vaters selbstständig.

Ich hatte einen irritierten Blick befürchtet, aber dieser war geradezu schockiert, wenn auch sehr schnell vorbei, denn er wandte sich umgehend von mir ab um seine Tochter Chrissy zu begrüßen.

Chrissy, meine große Schwester, die meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, brachte mühelos ein Lächeln auf sein Gesicht. Jada und ich mussten widerstandslos zusehen wie er sie herzlich in seine Arme nahm, ihr sagte, dass er sie vermisst hatte. Kein Wort zu uns.

Meine Freude zerfiel zu Enttäuschung, ich fühlte mich von meinen guten Gefühlen hintergangen. Mein Vater winkte uns herein und führte uns wortlos in sein Esszimmer. Meine Erwartung wurde mit einem Mal zunichte als ich fremde Menschen an seinem Tisch sitzen sah.

Ich war so überrascht, dass ich für eine Weile nur starren konnte, was ich äußert unangenehm finde, denn es sieht nicht gerade attraktiv aus wenn man starrt. Der Tisch war nicht für vier Personen gedeckt, so wie ich es mir eigentlich ausgemalt hatte, eine private, vertraute Runde mit selbstgemachtem Essen und gemeinsamen Erinnerungen.

Stattdessen schaute ich in drei ebenso überraschte Gesichter. Das erste war das einer Frau, stark geschminkt und cremehaft verjüngt. Das zweite glich dem ersten bis auf das Alter, es musste neunzehn sein, so wie Chrissy. Das dritte war das eines Jungen, etwa siebzehn, so wie ich. Allerdings starrte er nicht, er war mit seinem Smartphone beschäftigt, was mir erlaubte, ihn so anzusehen.

„Das sind Charlize, Willow und Elijah Howard", stellte mein Vater sie vor. Keiner sagte etwas. „Und das sind meine Tochter Chrissy und die Zwillinge Austin und Jada."

Mir entging nicht die distanzierte Art, in der er mich und Jada beim Namen nannte und ich hätte ihn augenblicklich dafür hassen können, aber ich zwang mich freundlich zu lächeln.

Ich meckerte nicht wie sonst, sondern setzte mich brav an den Tisch, Jada tat es mir gleich und ließ sich nichts anmerken. Noch nie hatte ich mich so fehl am Platz gefühlt. Ich kratzte vornehm mit Messer und Gabel auf meinen Teller herum und versuchte dabei dem Essen auszuweichen, denn es schmeckte zerkocht.

Nach ein paar Sätzen gab ich es auf, dem oberflächlichen Gespräch etwas beizusteuern, es redete ohnehin nur Charlize. Sie kam mir sofort etwas künstlich vor, so wie sie ihre riesigen Brüste nach vorne schob bis ihre Bluse spannte. Ein Blick zu Jada und ich wusste, dass wir später zusammen darüber lachen würden.

Ein paar Mal begegnete mir der Blick des Jungen, Elijah. Ich kenne eine große Bandbreite von Blicken fremder Menschen, meistens werde ich neugierig angesehen mit einer Spur Erstaunen und einem Hauch Abneigung, ich nenne es gaffen.

Doch der Junge am Tisch gaffte nicht, er widmete mir kurze, nachdenkliche Blicke. Ich wusste, was er sah, doch er schien nicht belustigt oder abgeneigt. Trotzdem schaute er schnell wieder auf sein Smartphone, sobald ich zurückschaute.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt