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„Du siehst unglaublich heiß aus!", rief Austin, als wir uns in unserem Hotelzimmer für den Ball richteten. Er klatschte in die Hände, so wie er es immer macht, wenn er vor Freude nicht stillstehen kann. Schon den ganzen Tag war er bestens gelaunt, strahlte für alles Begeisterung aus. Es ist eine Seite, die ich an ihm liebe. „Eigentlich ist es ja egal, wie ich aussehe", sagte er, als er sich vor dem Spiegel drehte und widersprach damit praktisch seinem Wesen, „ich kenne dort sowieso niemanden."

„Die ganze Highsociety ist eingeladen", erzählte ich, „Bart ist der Held der Universität."

„Halleluja." Auch wenn Austin sich sehr über Barts Wiedergutmachung gefreut hatte, war er immer noch kein Fan von ihm. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen.

Eine halbe Stunde später trafen wir im Festsaal ein und mir wurde zum ersten Mal richtig klar, in was für gehobenen Kreisen die Kents verweilten. „Schillernde, wunderschöne, reiche Leute zwischen künstlichen Schneeflocken und glitzernden Eiskristallen" wie Austin das Ganze kommentierte. „Es ist als würden wir einen Traum betreten", flüsterte er erstaunt. Kitschige, klassische Musik rauschte um unsere Ohren und weiße Teppiche führten uns unter einem Dach von riesigen Schneeflocken hindurch.

Ich hob meine Hand und nahm Austins silbern glitzernde Haarsträhne zwischen die Finger. „Hübsch", sagte ich, weil er wissen sollte, dass er mit Abstand das Schönste hier war.

„Zwischen all den anderen bin ich nichts", meinte er.

Ich schmunzelte, weil er so verzweifelt klang. „Wärst du nichts wärst du nicht hier."

„Ich bin nur hier weil du Bart kennst."

„Richtig. Und jetzt genießen wir das einfach." Kein Ort für philosophische Gedanken.

„Also", sagte er, lächelte und legte einen Arm um meine Taille, „kein Verstecken heute?"

Bevor ich antworten konnte, dass uns ja niemand hier kannte, tauchte Bart auf. Er trug einen silbernen Anzug, der ihm wirklich gut stand. Neben ihm musste ich scheiße aussehen. Wie nicht anders zu erwarten, klebte eine junge Frau an seiner Seite, trotzdem wirkte er angespannt. „Willkommen. Meine Familie freut sich, dass ihr gekommen seid und wünscht euch einen unvergesslichen Abend."

Austin und ich sahen uns an und lachten. Manchmal hatten selbst wir denselben Gedanke. Dann legte ich Bart eine Hand auf die Schulter und sagte grinsend: „Mach dich mal locker."

Eine gute halbe Stunde lang füllten sich Saal und Sektgläser. Als die Kents schließlich auf die Bühne stiegen, sah ich zum ersten Mal Barts Geschwister. Sie standen ordentlich nebeneinander, völlig idiotisch, wie ich fand. Der Älteste, Corey, daneben Bart, dann seine jüngere Schwester Andorra und schließlich der jüngste Sohn, Andrew. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Besonders Bart und Corey schienen jüngere Abbilder ihres Vaters zu sein, der jetzt an das Mikrofon trat. Ein aufrechter Mann mit grauen Haaren. Neben ihm stand seine Frau.

„Der Winter-Wonder-Charity-Ball beruht auf einer langenTradition der Familie Kent. Und auch dieses Jahr möchten wir nicht darauf verzichten. Wir alle, meine Söhne, meine Tochter, meine Frau und ich, legen viel Wert auf Familie. Die Familie ist ein starkes Band, unzerstörbar. Ich gebe diese Werte stolz an meine Kinder weiter, damit sie sie weitergeben können. Vertrauen ist einer dieser Werte. Man muss sich Vertrauen hart erarbeiten. So wie alles andere im Leben. Als Vater hat man viel Verantwortung. Natürlich möchte man seine Söhne nicht dem Leben überlassen, bevor sie nicht gelernt haben wie man erfolgreich ist. Ich kann mit Stolz verkünden, dass mein Ältester, Corey, bald seine eigene Familie haben wird und heiße seine Verlobte, die reizende Rebecca, herzlich Willkommen. Es ist eine Stärke, wenn man auf seine Familie zählen kann so wie ich es tue, ohne dabei enttäuscht zu werden. Wir möchten heute Abend auch andere Menschen nicht enttäuschen. Menschen, die den Erfolg einer Familie nicht teilen können. Für diese Menschen sind heute die Spenden, die hoffentlich zahlreich zusammenkommen werden."

Während Walter Kent sprach, beobachtete ich die Familie. Ich hatte das Gefühl, dass tatsächlich eine seltsame Spannung zwischen ihnen lag, die sie zu verstecken versuchten. Das hier war der Versuch einer glücklichen Familie, welcher schon lange gescheitert war. Ich fühlte mit ihnen.

„Wer ist der Erste von links?", fragte mich Austin flüsternd.

„Das ist Corey. Warum?"

„Ach nur so."

Musik setzte wieder ein und alle strömten auf die Tanzfläche. Austin wollte tanzen und ich willigte ein, denn der Pianist wurde von einem DJ abgelöst und die Stimmung im Saal schraubte sich hoch.

Wir mischten uns unter die Tanzenden, blaues Licht zuckte über unsere Köpfe hinweg. Ich blickte mich um, stieß hier und da auf einen neugierigen Blick, verlor ihn dann wieder und war froh darüber. „Hör mal auf immer auf die Blicke der anderen zu achten", beschwerte sich Austin, während wir in der Menge tanzten.

„Wie soll ich das machen, wenn sie uns alle so anstarren?", gab ich zurück.

„Indem du einfach nur mich anschaust", schlug er vor und sah lächelnd zu mir hinauf.

„Nur dich." Ich nickte und ließ meinen Blick über Austins strahlende Augen hinunter zu seinem roten Mund, über sein schmales Kinn hinunter zu seinem Schlüsselbein und weiter wandern... Und tatsächlich verschwamm meine Umgebung zu einem Meer aus Silberfarben, das sich im Takt der Bässe bewegte. Da waren nur ich und er und ich fühlte mich gut. Musik ist eines dieser Wundermittel, die einen alle Sorgen vergessen lassen. Plötzlich zählten nur noch die Klänge, die mich durchdrangen, mein Körper, der sich von der Musik leiten ließ und Austin, der meinen Blick gefangen hielt. Es wurde einer von diesen Momenten, die nicht aufhören sollten.

Aber irgendwann tauchten wir wieder auf und Austin löste sich von mir, entschuldigend, um kurz zu verschwinden.

Ich kam mir ohne ihn plötzlich blöd vor, also verließ ich die Tanzfläche und stellte mich an die Bar, denn dort ist es okay, allein zu sein. Der Barkeeper, der sich offenbar keine Gedanken über mein Alter gemacht hatte, schob mir ein großes, volles Glas über die Theke und ich griff dankbar danach. Der Alkohol war süßlich und brannte gleichzeitig vielversprechend.

Aus den Augenwinkeln sah ich Bart, wie er sich mit der jungen Frau unterhielt, die zuvor von seinem Vater als die Verlobte seines älteren Bruders vorgestellt worden war. Die beiden standen nah beieinander und ich erkannte etwas zwischen ihnen, eine Vertrautheit. Ich kenne diese Körpersprache. Auf der High School hatte ich sie bei meinen Kumpels beobachten können. Menschen haben eine bestimmte Körpersprache, wenn sie etwas voneinander wollen.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt