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Meine anfängliche Begeisterung ließ nach. „Ständig hat er was zu tun", beschwerte ich mich bei Jesse. Wir telefonierten fast jeden Tag miteinander. „Wenn ich ihn sehe, reicht die Zeit meistens nur für Sex. Wir reden nicht mehr so viel."

„So ist das eben wenn man berühmt wird", erwiderte Jesse, „man muss den Fans geben was sie wollen, sonst ist man schnell wieder weg vom Fenster. Ich kenne hier viele solcher Leute, New York ist voll davon. Alle wollen berühmt sein, damit sie nicht untergehen in dieser Welt."

„Ich habe doch gesagt, dass ich Paris verschieben will, weißt du noch?"

„Honey! Heißt das, du willst doch gleich nach dem College gehen?"

„Naja", ich sah zum Fenster meines Zimmers hinaus, „es gibt da eine Schauspielschule, da könnte ich mich bewerben."

„Du hast dich schon informiert?" Er klang ganz überrascht.

„Ein bisschen", gab ich zu, „ich muss schließlich an meine Zukunft denken."

Jesse blieb einen Moment still.

„Jesse, noch da?"

„Natürlich, Schätzchen. Überlege dir das noch mal mit Paris, ja?"

Ich hörte einen leichten Vorwurf darin. „Ich liebe ihn, Jesse", sagte ich, „aber er verändert sich. Er liebt die Aufmerksamkeit der Menschen, wenn sie ihn erkennen und ansprechen. Wahrscheinlich gibt es ihm das Gefühl, wichtig für sie zu sein. Er ist ein Held, wenn er im Stadion die Arme hebt und die Fans ihm zujubeln."

„Aber Austin", sagte Jesse, „es sind doch nicht nur seine Siege, die ihn so beliebt machen, sondern seine Persönlichkeit. Er ist schwul und das mögen die Medien offensichtlich an ihm. Spricht das nicht für ihn? Er hat sich solange dagegen gewehrt und jetzt schmückt es ihn. Das es soweit kam, das hat er dir zu verdanken, deiner Liebe und deinem Glauben an ihn."

„Jesse, du bringst mich zum Weinen", sagte ich und blinzelte.

Ich hörte ihn lachen. „Ja, das ist ein Talent von mir, Menschen zum Weinen zu bringen", scherzte er fröhlich.

„Was täte ich ohne dich", seufzte ich.


Es schockierte mich wahnsinnig, als ich mich zum ersten Mal selbst in einer Zeitschrift sah. Es war ein Foto, auf dem wir zusammen zu sehen waren, wir gingen händchenhaltend durch eine Einkaufsstraße in Chicago. Ich erkannte mich selbst kaum wieder, es schien mir unwirklich, als wäre es eine fremde Person, nicht ich. Ich zeigte Elijah den Artikel und er lächelte. „Du bist jetzt auch berühmt", sagte er, so als hätte ich den Hauptgewinn gezogen.

„Und wenn ich das nicht sein will?", fragte ich skeptisch.

„Zu spät", erwiderte er und küsste mich auf die Schläfe. „Ich finde wir geben ein tolles Paar ab auf dem Foto." Seine Küsse wanderten meinen Hals hinunter und seine Hände zum Saum meines Shirts.

„Von wem sind die Blumen?", fragte ich, als mir plötzlich eine Vase mit schönen gelben Blumen ins Auge fiel, welche auf seiner Kommode stand. Er sah auf. „Von Mom."

Ich drehte meinen Kopf zurück zu ihm und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Seit wann schenkt sie dir Blumen?"

Er löste seine Hände von mir und zuckte die Schultern. „Seit sie in Chicago ist und sich mit mir zum Essen trifft", sagte er.

Ich starrte ihn entgeistert an. „Sie ist in Chicago?"

„Ja. Sie hat einen Klienten hier. Ich habe sie getroffen, letzte Woche. Gale war auch dabei."

Ich ärgerte mich ein bisschen darüber, dass ich es erst jetzt erfuhr, deshalb verschränkte ich die Arme und fragte: „Habt ihr euch wieder zerstritten?"

Er grinste. „Nö. Mom ist total stolz auf mich. Ich habe sie schon lange nicht mehr so glücklich erlebt."

Ich stand auf und ging zum Fenster, ein bodentiefes Fenster mit schweren, hellen Vorhängen, das Zimmer hatte mir schon immer gefallen, ein Traum, aber jetzt fühlte ich mich selbst davon hintergangen. „Also seid ihr jetzt wieder so richtig Mutter und Sohn? Sie ist jetzt also plötzlich darüber hinweggekommen, dass du schwul bist?"

Er stand ebenfalls auf, kam zu mir und drehte mich um, sodass ich ihn ansehen musste, sein hübsches Gesicht. „Es stört sie nicht mehr, ist das nicht was wir immer wollten?"

Ich nickte, aber ich fühlte nicht dasselbe. Elijah verstand sich wieder mit seiner Mutter und das hieß, dass er ihr ähnlicher geworden war. Ich betrachtete sein Gesicht, seine blauen Augen, die immer ehrlich zu mir waren. Ich liebte dieses Gesicht, niemals wollte ich es verlieren. Er senkte seine Lippen auf meine, es fühlte sich wie immer richtig an, fantastisch.

„Ich muss gehen", flüsterte er an meinen Lippen, ich hatte die Zeit völlig vergessen. „Ich bin in zwei Stunden wieder da, okay? Bediene dich hier, es gehört alles dir." Er löste sich widerspenstig von mir und verschwand zur Tür hinaus.

Ich entschloss mich, einen Spaziergang über den Campus zu machen, um nachzudenken.

Ein lauer Wind wehte über den Michigan See herüber auf die Uferpromenade, trug mich und meine Gedanken weiter, immer weiter.

Die Blumen auf Elijahs Kommode hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt, so als wollten sie mich ärgern. Da war sie auf einmal, Charlizes Liebe, wie ein Geschenk, das man sich erst verdienen muss. Eine Belohnung für besondere Verdienste. Würde sie mir auch Blumen schicken, wenn ich endlich eine Qualität vorweisen könnte? Wenn ich sie stolz machte? Es ärgerte mich, dass sie Elijah so einfach zu ihrem Jungen machte, nachdem sie ihn Jahre lang vernachlässigt hatte. Das Glück und die Liebe, die ich ihm an ihrer Stelle gegeben hatte, machte sie so schnell zu ihrem.

Ich war es, der Elijah aus ihren Zwängen befreit hatte, und nun begab er sich ohne zu zögern zurück. Als wäre es seine Erlösung, ihren Stolz zu erlangen, der auf nichts anderem beruht als auf purem Erfolgswahn.

Wie sehr kann Erfolg einen Menschen verändern? Wie viel kann man aufgeben um immer mehr zu bekommen? Wann kommt der Punkt, an dem man merkt, dass man zu viel geopfert hat?

Elijah ist stark, er ist ein guter Mensch mit einem großen Talent, doch immer wollte er mehr. Charlize verlangte es seit sein Vater nicht mehr der Mann im Haus gewesen war.

Je mehr Menschen ihn bewundern, desto näher kommt er seinen Erwartungen an das Leben, nämlich ein Vorbild für Menschen zu sein, so wie er es immer sein wollte. Ich ließ meinen Blick über den See schweifen. Von hier sah er aus wie ein Meer, endlos, doch ich wusste es besser.

Die Dinge, für die ich Elijah bewunderte, schien er zu vergessen, denn was für ihn Bewunderung wert ist, ist ein Leben wie das eines Superstars.

Ich wusste, ich hatte einen festen Platz an seiner Seite. In seiner Vorstellung war ich da, weil wir ohne einander nicht konnten.

Ich war weit gegangen ohne es zu merken und stellte fest, dass ich umkehren musste.


Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt