5. Kapitel

119 6 0
                                    

Ich war mir weiterhin sicher, dass Bart und ich doch einige Gemeinsamkeiten hatten. Eine davon stellte sich an Thanksgiving heraus: Ich kam zu dem Entschluss, dass mein Verhältnis zu meiner Familie nicht viel besser war als das von Bart zu seiner Familie.

„Meinst du wirklich das reicht?", fragte Austin mich, als wir vor der Haustür zum Appartement meiner Mom in Minneapolis standen. Er meinte den Blumenstrauß, sein kleines Dankeschön.

Ich nickte und dachte daran, dass ich ihn bezüglich der Einladung angelogen hatte. Meine Mutter öffnete uns die Tür, lächelte, nahm den Blumenstrauß entgegen und ließ uns eintreten. Ein großer Tisch voller Essen erwartete uns zusammen mit meiner Schwester und ihrem Freund, einem ordentlich gekleideten, etwas ängstlich drein blickenden Studenten.

Willow umarmte mich und auch Austin und stellte ihren Begleiter als John vor. Wir setzten uns und Willow begann zu erzählen, vom Studium, vom Praktikum, von John. John war ein stiller Typ, zu still für meinen Geschmack, aber Mom mochte ihn. Seine Eltern hatten ein Weingut und er hatte ihr eine Flasche zur Verkostung mitgebracht.

Immer wenn ich zu Austin hinüber blickte, stocherte er missmutig in seinem Essen herum. Meine Mom hatte bisher kein Wort zu ihm gesagt, sie hatte ihn nicht mal wirklich angesehen. Ich griff unter dem Tisch nach seiner Hand, ärgerte mich über meine Mutter und wollte, dass er wusste, dass ich ihr bescheuertes Verhalten bemerkt hatte. „Hey", flüsterte ich ihm zu, „ich freue mich, dass du hier bist."

Der Blick meiner Mom zuckte zu uns und im selben Moment beugte sich Austin zu mir und gab mir einen Kuss. Es war ein trotziger, ziemlich bitterer Kuss, eine eindeutige Nachricht an meine Mutter. Sie unterbrach ihren Redefluss und starrte mit verzerrtem Gesicht zu uns herüber.

Für einen Moment herrschte unangenehme Stille. Austin begegnete ihrem schockierten Blick, auch ich sah die Abneigung in ihren braunen Augen und mit einem Mal hatten wir genug.

Ruckartig erhob sich Austin und schmiss seine Stoffserviette auf den Tisch. „Was hast du für ein Problem?", rief er sauer, „wieso kannst du mich nicht einfach akzeptieren?"

Die Stille dehnte sich aus, während meine Mom mit gesenktem Blick auf ihren Teller starrte, so wie sie es auch immer getan hatte, wenn ich mich bei ihr beschwerte. Im nächsten Moment drehte Austin sich um und verließ den Raum. Ich konnte ihn verstehen, seine Wut über diese Familie. Ich selbst war wütend. „Echt Mom, er hat recht", sagt ich und folgte Austin nach draußen, wo ein kühler Wind wehte.

In meinen Gedanken sah ich sie immer noch am Tisch sitzen, regungslos, aber gefasst. Wie konnte sie sich überhaupt meine Mutter nennen? Sie wies Austin ab und damit auch mich. Das hatte sie schon damals, als sie erfahren hatte, was ich für Männer fühlte. In ihr war kein Fünkchen Empathie, kein Herz, das versuchte, mich zu verstehen. Sie lebte in einer Welt voller Regeln und Prestige, eine Welt ohne Fehler. Jetzt war ich der Fehler, ich hatte ihre heile Welt zerstört. Sie hatte noch Hoffnung, es könnte wieder gut werden, doch ich wusste es besser.

Entweder musste sie sich damit abfinden oder ich würde sie nicht mehr länger besuchen. Wieso sollte ich in ihr regungsloses Gesicht sehen, das mich nur verurteilte? Wir beide hatten das nicht verdient.

Ich dachte auch an meine Schwester, die sich nie für mich eingesetzt hatte. Sie war meiner Mutter viel zu ähnlich, kümmerte sich nur um sich selbst. In diesem Moment hasste ich sie beide. Ich hasste meine Familie dafür, dass sie keine war.

Der Junge, den ich liebte, saß auf einer Parkbank, eingewickelt in seinen großen Rundschal. „Du darfst sie nicht ernst nehmen", riet ich ihm, als ich mich neben ihn gesetzt hatte.

„Tut mir leid, aber ich ertrage das nicht mehr", erklärte er mir aufgebracht, „mit John, den sie heute kennengelernt hat, ist sie schon ein Herz und eine Seele, aber ich, ich bin es nicht mal wert, angesprochen zu werden! Sie, sie hat nur stille Vorwürfe für mich übrig! Sie schenkt mir null Aufmerksamkeit! Was bin ich für sie? Eine Schande, das bin ich. Ein aufgestylter, affektierter, mädchenhafter..."

„Hey, Stopp! Hör auf." Seine Worte erschreckten mich. „Meine Mom hat uns nichts zu sagen, okay? Du bist nichts von alldem, du bist... das was ich will. Ich lasse nicht zu, dass sie zwischen uns steht." Ich zog ihn näher zu mir heran. Egal was andere über ihn dachten, ich liebte ihn für das was er war.

Zärtlich strich ich ihm über die Wange. Jedes Mal entflammte das Gefühl in mir, das Austin vor Monaten das erste Mal in mir erweckt hatte. Davor hatte ich so etwas nie gefühlt. Bis Austin kam und alles darstellte, was mir noch gefehlt hatte. Ich kann es nicht beschreiben. Ich kann nicht beschreiben, was ich in ihm sehe. Nämlich alles.

„Mom wird es nie verstehen", sagte ich leise, „so wie ich nicht verstehe was in mir vorgeht, wenn ich dich berühre."

Austin legte langsam seinen Schal um meinen Hals, sodass er unsere Körper miteinander verband. Unsere Gesichter waren sich ganz nah. „Niemand muss es verstehen. Liebe ist so."

Und als er jetzt seine Arme um mich legte und meine Lippen auf seine trafen, konnte ich für einen Moment vergessen, dass meine Familie nicht hinter mir stand. Ich brauchte sie nicht mehr, brauchte keine Schwester und keine Mutter, ich hatte gelernt, ohne sie auszukommen. Alles was ich brauchte waren mein Traum, Profi Footballspieler zu werden, die Unterstützung von Menschen, die mich -anders als meine Familie- bewunderten und Austin, den einzigen Mensch, den ich wirklich liebte.

Vielleicht wäre alles einfacher, wenn Maggie meine Schwester gewesen wäre. Sie wollte mich immer wieder treffen, fragte jeden Tag wann ich Zeit hatte. Es war ungewöhnlich für mich, mich alleine mit einem Mädchen zu verabreden, doch Maggie liebte es, einfach nur mit mir zu reden.

Meistens saßen wir in einem Café und sie zeichnete, während ich an einer Hausarbeit schrieb. „Warum gibst du dich eigentlich mit Bart ab?", wollte sie diesmal wissen, während sie Richtungsachsen in die Schwarzweißkopie eines Gemäldes einzeichnete, „ist er nicht total nervig mit seinen Ansprüchen, seiner Besserwisserei und den ständigen One-Night-Stands in seinem Zimmer?"

Ich hatte ihr schon viel über Bart erzählt, wahrscheinlich wusste sie mehr über ihn als all die anderen Studenten. „Ja manchmal schon", gab ich zu und dachte an die Brünette, die er gestern in sein Zimmer mitgenommen hatte. „Aber ich bewundere wie sehr er einfach alles immer im Griff hat. Alles was er hier anfasst, funktioniert. Er kriegt immer was er will. Ich glaube seine Tipps sind wertvoll. Und irgendwie sind wir uns ähnlich. Wir haben beide Ziele für die wir alles tun würden", erklärte ich und nahm einen Schluck von meinem Kaffee. „Und wir sind Kämpfer. Wir haben beide schwierige Familien." Sehr schwierig, fügte ich gedanklich hinzu.

Maggie betrachtete mich eingehend, während sie darüber nachdachte. „Er ist arrogant, aber er sieht gut aus. Könnte das ein Grund sein, wieso du ihn magst?"

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt