35

90 5 1
                                    

Ich schüttelte den Kopf und wollte mit Bart sprechen. Da mein Glas noch voll war, kippte ich es auf Ex hinunter. Mein Körper machte mich sogleich darauf aufmerksam, dass mein Magen leer war. Mein Blickfeld verschwamm, der Alkohol war mir sofort zu Kopf gestiegenen.

Mit dem leeren Glas in der Hand ging ich zu Bart, packte ihn am Arm und zog ihn zum Ausgang. Draußen war es kalt, aber der Alkohol wärmte mich von innen, ich fragte mich, wie viel Prozent der Drink gehabt hatte. Bart war mir wortlos gefolgt, vielleicht war mein Griff auch zu fest gewesen. Wenn man betrunken ist, merkt man das nicht. Wir blieben zwischen den hohen Säulen des alten Gebäudes stehen.

„Du stehst auf Coreys Verlobte?" Ich zog die Augenbrauen hoch und wollte noch einen Schluck Alkohol trinken, aber mein Glas war immer noch leer.

Bart blickte die Straße entlang und lehnt sich gegen eine der riesigen Säulen, an der er klein aussah. „Das ist vorbei."

„Sah nicht danach aus", widersprach ich. Mein Atem bildete eine Wolke in der kalten Luft und verschwand dann so wie mein Gleichgewichtssinn. Ich schwankte. „Nichts sieht so aus wie es wirklich ist", gab er tonlos zurück und ich konnte nicht verstehen was er damit meinte.

Nachdenklich, zumindest wollte ich so aussehen, denn eigentlich war mein Kopf leer, stellte ich mein Glas auf dem Boden ab. Wieder schwankte ich, schaffte es aber, einen ordentlichen Schritt auf Bart zuzugehen. „Weißt du, was lustig ist? Du kannst jedes Mädchen haben und verliebst dich in eins, das du nicht haben kannst, weil es deinem Bruder gehört." Ich fand das wirklich lustig, zumindest für einen Moment. Im nächsten fand ich es traurig.

„Das Einzige, worüber ich keine Kontrolle habe."

Ich lachte, aber es klang nicht nach mir. Es war ein seltsames Kichern. Ich war betrunken und das nur von einem Glas. Der Alkohol vernebelte meinen Kopf und die Lichter der Stadt wirkten plötzlich greller, sodass ich mich auf Barts Gesicht konzentrieren musste. Ein nachdenkliches Gesicht. „Man kann nicht Kontrolle über alles haben", sagte ich und wunderte mich über einen so klugen Satz aus einem nicht mehr klar denkenden Kopf.

Bart betrachtete mich mit einem triumphierenden Lächeln. „Aber über vieles." Wieder wusste ich nicht, was er meinte.

Manchmal war es, als würde er verschlüsselt sprechen. Wo waren wir gerade? Ach ja, Kontrolle. Nicht Kontrolle über alles. Das kannte ich, es gab so vieles über das ich keine Kontrolle hatte, zum Beispiel hatte ich keine Kontrolle über meine Gefühle. Ich konnte nicht entscheiden, wen ich liebe. Ich konnte mich nicht dafür entscheiden, schwul zu sein. Das hatte das Leben für mich entschieden. So wie den Tod meines Vaters. Und ich musste mich daran gewöhnen, damit zurechtkommen, es einfach akzeptieren und das Beste daraus machen.

Aber es war nicht einfach. Dieses verdammte Leben war nicht einfach, meine Familie war nicht einfach und meine Traumkarriere war nicht einfach. Und dann war da noch dieser Bart, unverschämt gutaussehend mit seinem scheinbar perfekten Leben. Ein Gesicht wie ein Filmstar, ein Lächeln wie ein Bösewicht. Offenbar unzerstörbar.

Eine unerwartete Welle der Verzweiflung baute sich über mir auf, erfasste mich mit voller Wucht. Gerade hatte ich diese Gedanken zu Ende gedacht, da machte sich mein Körper auch schon selbstständig, lehnte sich zu Bart hinüber und presste meine Lippen auf seine, fest und verzweifelt, ohne mein Okay. Ich küsste ihn energisch, seine Lippen schmeckten nach Sekt.

Plötzlich wurde mir bewusst, was ich da gerade tat und ich schnellte zurück, schwankend. Kaum war er frei, drückte er sich wortlos von der Säule ab und verschwand durch das Eingangsportal.

Ich blieb stumm und mit leerem Kopf zurück, setzte mich auf die Stufen der Treppe, die hier hinauf führte und betrachtete die Stadt vor meinen Augen. Sie sah wunderschön aus.

Vielleicht würde ich ja einmal hier leben, wenn ich es geschafft hatte. Ich würde ein schönes Appartement kaufen, eines, das auch Austin gefallen würde. Wir würden uns jeden Abend die Lichter ansehen.

Einen Augenblick später war Austin da und setzte sich neben mich.

„Was machst du hier draußen?", wollte er wissen und schlang die Arme frierend um sich.

„Das ist ein wunderschöner Abend", sagte ich. All meine Verzweiflung hatte sich in Luft aufgelöst. Austin war bei mir. Er nahm meine Hand zwischen seine und lehnte sich an mich.

„Ja. Gehen wir rein, es ist kalt."

Ich nickte, wollte aufstehen, aber es drehte sich viel. Austin half mir auf. „Wie viel hast du getrunken während ich weg war?"

Ich zeigte auf das leere Glas, das ganz einsam auf dem Boden stand. Austin schüttelte den Kopf, nahm meine Hand und zog mich nach drinnen. Ich konzentrierte mich auf seine warme Hand in meiner.

Sie ließ mich den ganzen Abend nicht mehr los.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt