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Ich hatte das Haus kaum betreten, da kam Jada mir entgegen, aufgeregt, und zerrte mich ins Wohnzimmer. Ich wollte beleidigt sein, weil sie mich nicht nach meiner ersten Theaterstunde fragte, aber das konnte ich nicht, weil Elijah und Willow Howard in unserem Wohnzimmer standen. Kurt lehnte am Fenster, das Telefon am Ohr, und nickte im Sekundentakt.

„Was ist los?", flüsterte ich.

„Bei denen gab's einen Wasserrohrbruch", flüsterte Jada zurück, jeder im Wohnzimmer konnte uns hören.

Kurt legte das Telefon auf und drehte sich zu uns um, sein Gesichtsausdruck glich dem eines Geschäftsmanns der seine Firma gerade noch aus der Finanzkrise retten konnte. „Elijah, Willow, ihr werdet solange hier wohnen bis der Rohrbruch repariert ist und die Schäden behoben sind."

„Ich kann auch bei 'nem Kumpel wohnen", sagte Elijah.

„Charlize will aber, dass ihr hier wohnt."

Weder Chrissy noch Willow sahen sonderlich begeistert aus. „Okay", meinte Elijah schließlich, „ich bring meine Sachen rein." Er verließ das Haus um sie aus dem roten Sportwagen zu holen, der vor unserem Haus total deplatziert wirkte. Mit Erstaunen fiel mir auf, dass er eine Menge neue Technik ins Haus trug.

Kurzerhand beschloss Kurt, dass Jada, Willow und Chrissy sich ein Zimmer teilten und Elijah in mein Zimmer kam. Ich war für einen Moment in einer Schockstarre gefangen, dann rannte ich nach oben in mein Zimmer, warf mich auf den Boden und schob hastig meine privaten Sachen unter mein Bett. Zeitschriften, Notizhefte, Skizzen, Einkaufstüten und Liebesromane.

Ich fühlte mich völlig hilflos, panisch und überfordert, da ich noch nie einen Jungen in meinem Zimmer gehabt hatte außer Jeffrey, aber dieses Kapitel hatte ich abgeschlossen.

Ich hatte keine Ahnung was ich zu Elijah sagen sollte, über was mit ihm reden? Er schien mich nicht sonderlich zu mögen.

Meine Nervosität machte sich darin bemerkbar, dass ich zusammenzuckte, als Elijah schließlich zu meiner Tür hereinkam, bepackt mit Dingen, die ich in meinem Zimmer noch nie gesehen hatte. „Hotel Kurt. Na hoffentlich mit Vollpension", meinte er, warf lässig seine Tasche auf Jadas frisch bezogenes Bett und setzte sich daneben. Ich zweifelte langsam daran, dass er in ihr Bett passte.

Wieder konnte ich ihn nur ansehen, wie er lässig auf seinem Hintern hockte, den Rücken an die Bettkante gelehnt, die Beine aufgestellt und die Arme locker darauf gelegt. Diese blonden Haare, die unverschämt zerzaust waren, weil er sich manchmal unbewusst mit der Hand durch das Haar raufte. Ich konnte seine Muskeln unter dem T-Shirt deutlich sehen.

„Du starrst", sagte er, meinte es aber offensichtlich nicht böse. „Noch nie einen komplett durchtrainierten Oberkörper gesehen?"

„Doch, schon oft." Ich gab mir gedanklich eine Ohrfeige. Elijah lachte. „Keith meint das nicht so", sagte er dann.

„Ich habe schon viele solche Leute erlebt", erzählte ich, versuchte gleichgültig auszusehen und starrte auf meine Finger, während ich die Haut am Ansatz meiner Nägel nach unten schob.

„Tut mir leid", erwiderte er. Ich sah ihn an, er wirkte tatsächlich bedrückt deswegen.

„Es ist sieben", stellte ich fest, „hast du Hunger? Ich kann was machen."

„Du machst Essen?" Er sah tatsächlich überrascht aus.

„Kurt kocht miserabel."

„Dann passt er doch zu meiner Mom." Er grinste. Es brachte mich zum Lächeln. Wir gingen in die Küche, ich gab ihm Anweisungen und er befolgte sie widerstandslos. Es war lustig zu beobachten wie ungeschickt er sich anstellte. Wir unterhielten uns nicht, wir fanden es beide leichter so.

Beim Essen ging jeder seinen Gedanken nach, bis ich Kurt darauf hinwies, dass er schmatzte. Der Blick, den er mir daraufhin zuwarf, war so verärgert, dass ich aufstand, meinen Teller nahm und in der Küche weiter aß. Jada ließ es sich nie anmerken, aber sie fand mein zickiges Verhalten immer sehr amüsant. Ich nahm es ihr nicht übel, auch wenn ich fand, dass sie meinen Protesten öfters beitreten sollte.

Elijah verzog sich nach dem Essen vor den Fernseher, also nutze ich die Zeit im Bad und legte mich mit meinem Smartphone ins Bett. Ich gehöre definitiv zu den Leuten, die ihr Handy für lebensnotwendig halten. Wir leben halb in der Realität, halb in luxuriösen, stylischen Internetwelten, die andere Menschen für uns sichtbar machen. Sie halten uns vor, was wir erreichen könnten, aber wahrscheinlich niemals werden. Ich schaute mir stundenlang Bilder vom Leben anderer Menschen an, ihre Traumhäuser, ihre kreativen Ideen, ihren Sinn für Schönheit. Ich bekam dann das Gefühl, ein kleines bisschen dazu zu gehören und das Bedürfnis, der Welt auch ein bisschen etwas von mir zu geben. Vielleicht war es eine schreckliche Angewohnheit von mir, so wie Mom es nannte, ständig präsent sein zu wollen.

Es ist ein Mitteilungsbedürfnis, ein Bedürfnis, mein Dasein zu beweisen, indem ich Bilder von mir zeigte und sichtbar machte, was mich beschäftigte, was ich schön fand. Ich wollte, dass sie mich sahen, mich wahrnahmen und sich von mir inspirieren ließen, also mischte ich mich ein in der Welt der fiktiven Perfektion und der falschen Ideale.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt