02 ~ Unauffällig sein ist das Motto des Tages

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Ein Schlag auf die Nase holte mich aus meinen Träumen. Verwirrt setzte ich mich auf und starrte auf das Bett neben mir. Es dauerte einige Sekunden, bis ich den Jungen, dessen Hand vom Bett hing und dabei unruhig hin und her schaukelte, als meinen neuen Stiefbruder erkannte. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es Zeit war, um für die Schule aufzustehen. Ich stand auf und torkelte schlaftrunken zum Badezimmer.

Nachdem ich im Bad fertig war, warf ich einen Blick nach draußen. Die Sonne schien so hell, als würde sie nie etwas anderes machen. Als hätte es diesen heftigen Regen heute Nacht gar nicht gegeben.

Was würde ein normales Mädchen in meinem Alter anziehen? Ich wühlte in meinem Koffer und konnte mich nicht zwischen einer langen Jeans und einer Hotpants entscheiden. Letztendlich zog ich die Jeans und ein weißes T-Shirt an. Weiß. Mal wieder. Unwillkürlich musste ich an den Typen aus dem Haus mit der Nummer 70 denken.

Ich legte mir meine silberne Kette um. Sie war schlicht, ohne irgendwelche Anhänger, doch ich liebte sie. Nicht nur, weil sie wunderschön und praktisch war. Daddy hatte sie mir zum achten Geburtstag geschenkt. Seitdem war sie mein Glücksbringer.

Heute würde ich Glück gebrauchen. Eine neue Stadt, eine neue Schule. Wenn ich nicht auffiel und keine Probleme machte, würden mich hoffentlich alle in Ruhe lassen.

Danach packte ich meine Schultasche: Ein Collegeblock, ein Kugelschreiber und nicht zu vergessen: das Dämonenmesser. Könnte ja sein, dass ich in der Schule ein paar Dämonen begegnen würde.

Nach einem kleinen Frühstück fuhr ich zusammen mit Adam zur Schule. Ich hatte Norberts Fahrrad bekommen, welches mir aber viel zu groß war. Hier würde sich in nächster Zeit wirklich viel ändern müssen, wenn ich ein halbwegs erträgliches Leben haben wollte.


»Die Schule besteht eigentlich nur aus dem Naturwissenschaften-Gebäude, dem Mittelstufen-Gebäude, dem Oberstufen-Gebäude und einer Pausenhalle«, erklärte Adam mir auf Nachfrage. Warum redete er so verdammt wenig?

In der ersten Stunde mussten wir zu einer Vollversammlung der Oberstufe, wo wir unsere Stundenpläne bekamen. Adam war genauso wie ich in der elften Klasse.

Nach der Versammlung gab es zum Glück eine kurze Pause, bevor der eigentliche Unterricht beginnen würde. Der fand heute erst ab der dritten Stunde statt.

Ich setze mich mit Adam in eine Ecke der Pausenhalle. Hatte er gar keine Freunde, die er nach den langen Sommerferien begrüßen wollte?

Mein Blick wanderte über die Schüler, die sich in der Halle in kleineren Grüppchen unterhielten.

Er blieb an jemandem hängen, der mir merkwürdig vertraut vorkam. Als er sich zu uns drehte, erkannte ich ihn. Es war unser Nachbar. Der mit den saphirblauen Augen. Der mich gestern vollkommen durchnässt gesehen hatte. Was, wenn er der ganzen Schule davon erzählen würde? Er wirkte so eingebildet, dass er sicher jedem davon erzählen würde, nur um im Mittelpunkt zu stehen. Warum musste er auch ausgerechnet auf unsere Schule gehen?

»Wer ist das?«, fragte ich Adam und zeigte unauffällig auf ihn.

»Ernsthaft?«, fuhr er mich an.

»Was denn? Ich hab doch nur ge– «

»Was finden alle Mädchen so toll an ihm?«, fragte er.

»Ich finde ihn nicht toll.« Was hatte Adam denn jetzt für ein Problem? Man wird sich doch wohl mal nach einem Mitschüler erkundigen dürfen.

»Monday, du solltest dich wirklich von ihm fernhalten. Er ist kein guter Umgang für dich.«

»Ich werde ja wohl selbst entscheiden, wer gut für mich ist und wer nicht. Auch wenn unsere Eltern zusammen sind, heißt dass noch lange nicht, dass du mein Bruder bist und alles für mich entscheidest!« Wütend stand ich auf und rannte aus der Pausenhalle.

Die nächsten vier Stunden hatte ich Physik. Mein Profilfach, welches nicht ich, sondern meine Mutter ausgesucht hatte. Wie unfair war das denn bitte?

Als ich das Naturwissenschaften-Gebäude gefunden hatte, stellte ich mich davor und wartete, bis die Pause zu Ende war.

Nach und nach kamen die Schüler und betraten das Gebäude. Ich ging ihnen hinterher.

Die Physikräume waren nicht schwer zu finden, es gab ganze zwei Stück davon. Ich schaute auf meinen Stundenplan, um zu sehen, in welchem Raum ich Unterricht hatte. »Physik 2«. Na toll. Das hätte mir weitergeholfen, wenn die Nummern auf den Türen nicht übermalt wären. Wer zum Teufel machte denn so etwas?

Ich stupste einen Jungen mit Kapuze, der mit dem Rücken zu mir stand, an, weil gerade sonst niemand zu sehen war.

Langsam drehte er sich um. Erst jetzt erkannte ich ihn. Er war mein Nachbar. Seitdem Adam gesagt hätte, er wäre kein guter Umgang für mich, hatte ich erst recht den Drang herauszufinden, was es mit ihm auf sich hatte.

Er hielt meine Hand fest. Dann zuckte er kurz zusammen und starrte mir überrascht direkt in die Augen. Oh mein Gott, seine wunderschönen blauen Augen. Wie sollte ich bloß meinen Blick davon abwenden?

Ich schüttelte meinen Kopf, um wieder klare Gedanken zu bekommen. Dabei entzog ich ihm meine Hand.

»Weißt du, welcher Raum Physik 2 ist?«, fragte ich.

Er zeigte auf den linken Physikraum. »Bist du auch im Physikprofil?«, fragte er.

»Ja. Also bist du im gleichen Profil wie ich?« Komischerweise konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.

»Nope. Ich bin in der zwölften Klasse.«

Ach nö. Wahrscheinlich konnte er mir meine Enttäuschung ansehen. Er öffnete die Tür zum ersten Physikraum. Dann drehte er sich kurz zu mir um. »Man sieht sich!«, rief er noch, bevor die Tür hinter ihm zufiel.

Er wirkte doch völlig normal, oder? Mist, jetzt hatte ich ganz vergessen, nach seinem Namen zu fragen.

Ich ging zu meinem Physikraum. Wo sollte ich mich hinsetzen? Noch war fast alles frei.

Zu meinem Glück winkte ein Mädchen aus der ersten Reihe mir zu.

»Hey!«, rief sie. Eigentlich hasste ich es, in der ersten Reihe zu sitzen, aber ich wollte nicht unhöflich sein, also setze ich mich neben sie. »Ich bin Veronica. Du bist neu hier, oder?«, fragte sie.

»Ja. Und du?«

»Ich bin schon seit der fünften Klasse auf dieser Schule«, meinte sie und lächelte mich freundlich an. »Du bist doch Adams neue Schwester?«

»Also, Schwester würde ich das nicht gleich nennen – «, korrigierte ich.

»Vielleicht findet er dann ja endlich mal Freunde«, plapperte sie drauf los.

»Wie? Er hat keine Freunde?« Naja, das würde immerhin erklären, warum er vorhin in der Pausenhalle niemanden begrüßt hatte.

»Er ist die ganze Zeit am lernen und so. Für die Schule. Voll der Streber, wenn du mich fragst. Und deswegen hat er nie Zeit, um sich mit irgendwem zu treffen.« Mich wunderte, warum sie davon wusste, dass er mein »Bruder« war, wenn er doch keine Freunde hatte, denen er so etwas erzählen konnte.

Ich wollte gerade nachfragen, als der Lehrer reinkam und um Ruhe bat. Sofort war es mucksmäuschenstill in der Klasse. Wahrscheinlich war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um nach Veronicas Quellen zu fragen.


Nach einem sehr ereignislosen, vierstündigem Physikunterricht hatte ich endlich Schulschluss.

Adams Fahrrad stand noch im Fahrradständer, also entschloss ich mich dazu, auf ihn zu warten.

»Hey Monday!«, sagte plötzlich jemand hinter mir. Noch bevor ich mich umdrehte, konnte ich ihn an seiner Stimme erkennen. Meinen Nachbarn.

»Warum weißt du meinen Namen, obwohl ich deinen nicht weiß?«, fragte ich.

»Sorry, wenn ich mich nicht vorgestellt hab.« Er lächelte zerknirscht. »Ich bin Jared. Warum bist du noch hier? Wartest du auf mich?«

»Nein, ich warte auf Adam.«

Seine Miene blieb neutral. Warum hatte ich vorhin bloß so enttäuscht gucken müssen?


»Na dann. Bis morgen!« Er lief davon.

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt