41 ~ Von Schäfchen und Seelen

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189, 190, 191, 192, 193 ... Mit geschlossenen Augen zählte ich die Schafe, welche in meinem Kopf grasten, in der Hoffnung es würde mich so sehr langweilen, dass ich endlich einschlafen würde.

Es half nichts und als ich nach ungefähr 300 Schafen einen Druck in meiner Blase verspürte, war schon gar nicht mehr an Schlaf zu denken. Müde schwang ich meine Beine über die Bettkante, stand auf und schlich auf Zehenspitzen durch das Zimmer, um Lina nicht zu wecken. Dann öffnete ich leise die Zimmertür und schloss diese wieder, sobald ich im Flur stand. Auf einmal war es stockfinster. Verzweifelt tastete ich nach dem Lichtschalter und verfluchte mich innerlich, dass ich mein Handy im Zimmer gelassen hatte und somit die integrierte Taschenlampe nicht nutzen konnte. Erst dann fiel mir ein, dass ich ein Halbdämon war und meine Dämonenaugen nutzen konnte. Lina hatte mir noch vorm Schlafengehen beigebracht, wie ich meine Augenfarbe wechseln konnte. Ich konzentrierte mich und stellte mir meine blutroten Augen vor und dann geschah es auch schon. Der Gang vor mir wurde urplötzlich erleuchtet und ich konnte jede Kleinigkeit sehen, sogar die kleine Spinne, welche es sich in ihrem Nest in einer der Ecken gemütlich gemacht hatte.

Erleichtert ging ich den langen Gang entlang und ins Badezimmer. Dort angekommen schloss ich die Tür hinter mir zu und setzte mich auf die Toilette. Ich war froh, dass ich auf dem Weg nicht Jared begegnet war, wodurch wahrscheinlich wieder eine unangenehme Situation entstanden wäre, aber gleichzeitig war ich auch ein kleines bisschen traurig Jack nicht gesehen zu haben.

Ich wurde aus Jacks Verhalten einfach nicht schlau. Erst hatte er mit mir geflirtet, zumindest hatte ich sein Würdest du mit mir durchs Feuer gehen so aufgefasst und dann hatte er mich im Portal geküsst, nur um es im Nachhinein zu bereuen? Warum erachtete er den Kuss als Fehler? Ich musste unbedingt noch einmal mit ihm reden um zu klären, was denn zwischen uns lief. Wenn ich denn überhaupt den Mut dazu aufbringen würde. Allzu oft waren wir nun schon unterbrochen worden.

Für meinen Teil fühlte ich mich bereit eine Beziehung zu wagen. Es fühlte sich bei Jack nicht so an, als wäre es falsch und bloß aus Verzweiflung, so wie bei Jared. Mit Jack hatte ich das Gefühl, ich könnte ihm vertrauen und meine Vergangenheit hinter mir lassen. Immer wenn ich Jack berührte, füllte er meinen Körper mit dieser wunderschönen Wärme. Ja, solch eine gewaltige Hitze hatte ich auch in der Hölle vernommen, aber in Jacks Nähe fühlte ich mich auch auf der Erde wohl. Jareds Kälte war auch angenehm gewesen, allerdings war sie nicht das, was ich tief in meinem Innersten begehrte. Die Hitze, die ich mit Jack verspürte, fühlte sich richtig an. Jack fühlte sich richtig an.

Auf einmal klopfte es an der Tür. »Monday, bist du da?«, ertönte Linas Stimme.

Wie lange war ich schon auf dem Klo gewesen? Handelte es sich um Sekunden oder um Minuten? Ich hatte kein Zeitgefühl mehr.

»Ich komme gleich«, erwiderte ich.

Eilig zog ich mir meine Schlafanzughose hoch und betätigte die Spülung, dann wusch ich mir meine Hände und ließ meinen Blick durch das Badezimmer gleiten, auf der Suche nach einem Handtuch. Als ich zu meinem Bedauern keines fand wischte ich mir rasch die Hände an meiner Hose ab und öffnete die Badezimmertür, hinter der Lina mir mit total verwuschelten Haaren entgegen blickte.

»Du hast so lange gebraucht«, murmelte sie schläfrig. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

»Tut mir leid. Aber warum? Du hast doch immer so einen tiefen Schlaf«, sagte ich.

»Ich habe keinen tiefen Schlaf mehr, seitdem dieser unsichtbare Dämon dich attackiert hat, hier, in unserem eigenen Haus. Ich fühl mich hier nicht mehr sicher.« Linas Worte waren nicht lauter als ein Flüstern. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum er es überhaupt auf dich abgesehen hat.«

»Vielleicht wollte er Rache?«, rätselte ich. »Keine Ahnung. Aber so wie es aussieht war er der Einzige. Du musst dir keine Sorgen machen.«

Ich legte ihr schützend einen Arm um die Schultern. »Musst du noch ins Bad?«, fragte ich.

»Nein, ich bin bloß aufgestanden, um nach dir zu schauen«, erwiderte Lina, noch immer mit leiser Stimme.

»Dann komm, lass uns wieder ins Bett gehen«, schlug ich vor. Als Lina zustimmend nickte, sah sie unendlich müde aus, also ließ ich meinen Arm um ihre Schultern liegen, als wir uns langsam auf den Weg zurück zu ihrem Zimmer machten. Erst, als ich die Tür hinter mir zumachen musste, ließ ich sie wieder los, schob die Tür zu und drückte leise die Klinke nach unten. Als ich mich wieder zu Lina umdrehte, lag sie schon in ihrem Bett und hatte ihre Augen geschlossen. Schlief sie etwa schon wieder?

Vorsichtig setzte ich mich neben sie und deckte sie zu, erst dann legte auch ich mich hin.

»Monday, bist du noch wach?«, flüsterte Lina nach kurzer Zeit.

»Ja«, erwiderte ich. »Ich dachte du schläfst schon.«

»Noch lange nicht«, murmelte Lina leise und hielt ihren Blick starr an die Decke gerichtet. »Weißt du, ich fühle mich so müde und energielos, weil ich seit einigen Tagen keine Menschenenergie mehr zu mir genommen habe. Seitdem ich diesen unsichtbaren Dämonen getötet habe, ging es einfach nicht mehr. Immer wenn ich versuche mehr Energie zu tanken muss ich daran zurückdenken. Ich habe Angst, dass ich ihnen aus Versehen ihre ganze Seele aussauge, dass ich sie aus Versehen töte. So oft muss ich an den Durchsichtigen zurückdenken...« Sie stockte kurz. »In meinen Träumen sehe ich immer wieder, wie er sich in den letzten Sekunden vor mir materialisiert hat, sodass ich seinen erschrockenen Gesichtsausdruck sehen konnte. Er wusste gar nicht, was passiert war. Und dann war es auch schon vorbei und er hat sich vor meinen Augen in Asche aufgelöst... Diese Träume, ich hasse sie. Ich fühle mich, als wäre ich die ganze Zeit bloß im Halbschlaf, in einem Moment sehe ich mich in meinem Zimmer wieder und im nächsten töte ich den Unsichtbaren aufs Neue. Wenn ich träume ist es so klar, sodass ich manchmal gar nicht weiß, was echt ist und was nicht.« Lina wischte sich über ihr Gesicht und wandte mir ihren Blick zu, doch trotz ihres Wischens konnte ich noch die Tränen in ihrem Gesicht glänzen sehen. »Tut mir leid, Monday, ich wollte dich nicht so vollquatschen über meine Probleme, welche dich wahrscheinlich gar nicht interessieren.«

»Nein, nein, rede nur weiter«, widersprach ich. Es tat mir weh, sie so zerstreut und verängstigt zu sehen. »Freunde sind doch dazu da, um sich gegenseitig zuzuhören.«

»Danke, Monday«, flüsterte Lina. Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass es ihr vielleicht ähnlich erging wie mir. Sie war so eine liebe und wundervolle Person, die ich sehr früh ins Herz geschlossen hatte. Aber wie schwierig musste es unter normalen Umständen sein, als Dämon Freunde zu finden? Konnte man überhaupt Freundschaften schließen mit den Menschen, die man aussaugte? Ich für meinen Teil wusste nicht, ob ich mit dem schlechten Gewissen leben könnte. Jared konnte es, das sah man ja an seiner und Kims Beziehung.

Soweit ich wusste hatte Lina eigentlich viele Freunde, aber keinem konnte sie so sehr vertrauen, um ihnen ihre Dämonensachen anzuvertrauen. In der Schule war sie immer das glückliche, liebe Mädchen, welches keinerlei Probleme hatte. Abgesehen von ihren menschlichen Freunden hatte sie nur ihre Familie und Jack. Ich war somit der einzige weibliche, nicht mit ihr verwandte Dämon, dem sie ihre Ängste anvertrauen konnte und sie wiederum meine einzige Freundin in dieser Stadt, welche durch meine neuen Dämonenfreunde nun gar nicht mehr so schlimm wie am Anfang schien. Ich mochte es hier und ich wollte da sein für Lina. Am liebsten würde ich all ihre Ängste einfach fortwischen.

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt