»Eine Eizellspende?«, fragte Lina mich, nachdem ich ihr am nächsten Tag von der Konversation mit Evelyn erzählt hatte. Sie saß mir gegenüber an einem Tisch in der Pausenhalle und aß einige Weintrauben, die sie von Zuhause mitgebracht hatte. Jared und Jack hatte ich seit Sonntag noch nicht zu Gesicht bekommen und das war auch gut so. Zur Zeit wusste ich nicht, wie ich ihnen gegenübertreten sollte. »Ich weiß nicht, das kommt mir alles ziemlich ausgedacht vor. Wie soll dein Vater diese Wednesday dann überhaupt kennengelernt haben? Ich dachte so eine Spende wäre anonym. Ich glaub, Evelyn lügt dich an.«
»Aber warum sollte sie mich anlügen?«, erwiderte ich. »Sie ist mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht meine Mutter. Das habe ich einerseits in meinem Traum gesehen und andererseits hat sie es ja selbst zugegeben. Wäre ich adoptiert oder so, dann hätte sie es mir auch einfach sagen können. Was für einen Sinn ergibt das für sie, wenn sie sich solch eine komische Geschichte ausdenkt?«
»Ich hab doch auch keine Ahnung«, murmelte Lina gedankenverloren. Dann lächelte sie. »Aber hey, das wäre ja mega cool, wenn du noch irgendwo eine Zwillingsschwester hast, von der du nichts wusstest. Das ist ja so spannend wie Das doppelte Lottchen.«
»Das ist doch etwas ganz anderes. In dem Buch wurden die Zwillinge bei der Scheidung ihrer Eltern getrennt. Meine angebliche Schwester wurde entführt, schon vergessen?«
»Natürlich nicht!«, meinte Lina augenrollend. »Ich wette mit dir, dass Wednesday sie entführt hat. Nachdem dein Vater sie mit dir verlassen hat, wollte sie sich ganz bestimmt nicht von beiden ihrer Kinder trennen und hat stattdessen einfach Tuesday gestohlen. Und dann sind Evelyn und dein Vater wieder zusammengekommen. Danach wurdet ihr beide getrennt von einem Elternteil aufgezogen. Klingt doch logisch, oder nicht?«
Ich schüttelte lachend den Kopf. »Du hast eindeutig eine zu große Fantasie.«
Lina stimmte mit in mein Lachen ein. »Na ja, meine Theorie ist auch nicht weniger glaubhaft als die Geschichte von Ev...« Die Worte schienen Lina im Hals stecken zu bleiben und sie starrte wie erstarrt auf einen Punkt hinter mir. Ihre fröhliche Stimmung war auf einmal wie weggeblasen.
Ich schaute mich besorgt um, aber ich sah nichts verdächtiges. Irgendetwas war geschehen. Was hatte sie bloß gesehen?
»Lina?«, fragte ich und wedelte mit meiner Hand vor ihrem Gesicht herum. »Was ist los?«
Es dauerte, bis meine beste Freundin ihre Sprache wiederfand. »Sag mir...«, begann sie mit kaum hörbarer Stimme. »Sag mir, dass ich mir das einbilde.«
Langsam begann Panik in mir aufzusteigen. Was meinte sie? Waren wir etwa wieder von Dämonen umgeben und ich war zu blind, um das zu sehen? Sicherheitshalber griff ich mir an den Hals und vergewisserte mich, dass meine Silberkette noch an Ort und Stelle war.
»Sind wir in Gefahr?«, fragte ich und stand auf, um einen besseren Überblick über die Pausenhalle zu erhalten. »Sind wir von Dämonen umzingelt? Wollen sie mich wieder umbringen?«
Linas Blick glitt langsam zu mir und ich meinte, Verwirrung darin zu erkennen. Sie stieß einen traurigen Seufzer aus. »Nein, nein«, hauchte sie dann leise. »Aber Adam.« Sie machte eine kleine Pause, dann fuhr sie fort. »Und Veronica. Ich kanns nicht glauben.«
»Lina!«, stieß ich entrüstet aus. »Ich verstehe nicht, was du meinst. Sprich bitte in ganzen Sätzen.«
Anstatt mir zu antworten, deutete Lina auf eine Bank, welche nur unweit von uns entfernt stand. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, was Lina meinte. Dort, auf der Bank, dicht aneinander gepresst, saßen Adam und Veronica und küssten sich. Dieser Anblick war so kurios, dass ich es selbst kaum glauben konnte. Adam und Veronica lebten auf anderen Welten, wie hatten die beiden sich so nahe kommen können? Hätte Lina nicht dasselbe gesehen, hätte ich gedacht, meine Augen spielten mir einen Streich. Lina... Oh nein, meine arme, unschuldige Lina. Sie stand auf Adam. Für mich war es schon unangenehm gewesen, Jared mit anderen Mädchen zu sehen, aber immerhin war ich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in ihn verliebt. Zumindest redete ich mir das ein.
Lina hingegen mochte Adam aufrichtig. Ich konnte mir gar nicht ausmalen, wie sie sich gerade fühlte. Schnell setzte ich mich neben sie und nahm sie in meine Arme. »Das mit den beiden habe ich echt nicht kommen sehen. Aber er wird bestimmt nicht der einzige sein, für den du eine Temperatur empfindest, es gibt sicherlich noch andere«, versuchte ich sie zu trösten und tätschelte ihr unbeholfen den Rücken. Im Trösten war ich noch immer schlecht, aber Lina brauchte mich gerade und irgendwie musste ich mich darum kümmern, dass sie sich besser fühlte.
Langsam löste Lina sich aus meiner Umarmung und rieb sich schniefend mit dem Handrücken über die Nase. »Es ist okay«, behauptete sie, doch ihre Miene sagte etwas anderes. »Ich finde Adam interessant und ich mochte ihn, aber aus Angst, keine Temperatur bei ihm zu spüren, habe ich ihn nie angefasst. Ich denke, ich habe mir einfach zu sehr gewünscht, ein normaler Mensch zu sein. Ein normaler Teenager, der sich in einen Jungen verlieben kann und nicht ein Monster, welches herzlos Menschen tötet. Ich meine, selbst wenn ich mich richtig verlieben würde, wer würde so jemanden wie mich zurück lieben können?«
Ihre Worte konnte ich nicht nachvollziehen. Lina wirkte so menschlich. Sie konnte Gefühle für andere haben, ohne eine Temperatur für diese zu spüren. Bis auf die Tatsache, dass Dämonen Lebensenergie tranken und in die Hölle reisen konnten, was gab es noch, was die Menschen von ihnen unterschied? Mir fiel auf die Schnelle nichts ein.
»Lina, du bist alles andere als ein Monster«, beschwichtigte ich sie. »Allein dein Wunsch zeigt doch, wie menschlich du bist. Man kann gar nicht anders, als dich zu lieben, denn du bist der süßeste und netteste Mensch, beziehungsweise Dämon, den es gibt.«
Meine beste Freundin schaute mich ungläubig an. »Ich bin doch nicht süß«, sagte sie dann und sah mich mit funkelnd wütenden Augen an, aber ich merkte, dass meine Worte sie berührten.
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Monday - Dämonen der Vergangenheit
ParanormalKann man jemanden verurteilen, nur weil er ein Dämon ist? Triff Monday, sechzehnjährige Dämonenjägerin. Seitdem ihr Vater von einem Dämonen getötet wurde, macht sie ihren Job nicht mehr aus Pflicht, sondern nur noch aus Hass. Alles was sie will, ist...