74 ~ Ich liebe dich, Monday

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»Es kommt mir in letzter Zeit so vor, als würdest du woanders leben«, begrüßte Evelyn mich im Hausflur, während ich noch dabei war, meine Schuhe auszuziehen. »Wo warst du denn?«

»Bei Lina«, sagte ich und ließ sicherheitshalber Jacks Namen aus, da Norbert genau in diesem Moment durch die Küchentür lugte, um uns mitzuteilen, dass das Essen fertig war. Der hatte ja bei der letzten Erwähnung von Jack schon schlecht genug reagiert.

»Lina?«, wiederholte Evelyn, ohne auf ihren Freund einzugehen. »Ist das eine Schulfreundin?«

Als ich nickte, schien sie ganz begeistert. »Oh, wie schön, dass du so früh schon eine Freundin gefunden hast.«

Ich beäugte sie misstrauisch. Was war bloß in sie gefahren? Normalerweise scherte es sie doch einen Dreck, wie es mir ging. Hatte sie einen Hintergedanken? Sie musste einen haben, anders konnte ich es mir gar nicht erklären.

Ich zog meinen letzten Schuh aus, dann ging ich ohne ein Wort an ihr vorbei in die Küche.

Der Geruch von Tomatensauce stieg mir in die Nase. Hatte es nicht neulich schon Nudeln mit Tomatensauce gegeben? Es schien eines von Norberts Lieblingsgerichten zu sein.

Adam war gerade dabei, das Besteck auf den Tisch zu legen, als ich mich zu Norbert an den Tisch setzte. Als alle saßen, füllte Norbert uns das Essen auf.

Ich löffelte die Nudeln in mich hinein, ohne Evelyn und Norbert, die einzigen, die miteinander redeten, zu beachten. Nur Adam warf ich ab und zu misstrauische blicke zu. Seitdem er mir mit dem Ellenbogen ins Gesicht geschlagen hatte, traute ich ihm nicht mehr so richtig. Wer war er? Und wo war der Adam hin, der den ganzen Tag gerne Hausaufgaben machte und eine 5 im Sport hatte?

Nun, wenn ich ihn jetzt so anguckte, wirkte er genau wie früher. Und doch verriet mir mein Gefühl, dass er etwas verbarg. Er musste schon vorher gewusst haben, dass er ein Dämonenjäger war. Warum bloß hatte er es mir verschwiegen?

»Monday, hörst du Norbert überhaupt zu?«, holte Evelyn mich mit lauter Stimme aus meinen Gedanken.

»Hm?«, nuschelte ich. Da ich gerade einen riesigen Bissen Nudeln in meinem Mund hatte, traute ich mich nicht, ihn aufzumachen.

»Ich wollte wissen, wie die Party gestern war«, erklärte Norbert.

Oh. Ich warf Adam einen wütenden Blick zu. Wieso musste er unseren Eltern denn alles erzählen? Konnte der nicht einmal seine Klappe halten?

Ich kaute eilig meine Nudeln und schluckte die letzten Essensbrocken hinunter. Erst dann antwortete ich. »Gut«, sagte ich.

»Adam hat mir erzählt, dass du mit dem Geburtstagskind in die Kiste gehüpft bist«, fuhr Norbert fort, allerdings ohne sein Fressen zu unterbrechen. »Und er meinte auch, dass dieser Junge schon mit sehr vielen Mädchen etwas hatte. Du weißt, dass ich das eigentlich nicht befürworte. Habt ihr wenigstens verhütet?«

Ich konnte es nicht glauben, dass er mich auf so etwas ansprach. Aber als hätte seine Ansprache nicht gereicht, verdarb der Anblick auf seinen offenen Mund mir endgültig den Appetit.

Der Stuhl fiel hintenüber, als ich ruckartig aufstand.

»Entschuldigung, aber du bist weder mit mir verwandt, noch wärst du eine weibliche Bezugsperson. Was gibt dir das recht, mich darauf anzusprechen? Ich werde nicht mit dir über mein Sexleben reden!«

Wütend stürmte ich aus dem Zimmer heraus. Wütend auf Norbert, weil er mich darauf ansprach, aber auch wütend auf Adam, dass er diesem davon erzählt hatte.

Dann fiel mir etwas ein: Ich hatte noch immer Hunger. Schnell ging ich wieder zurück, nahm mir meine volle Nudelschüssel und verschwand wieder.

Ich stampfte die Kellertreppe hinunter und schmiss mich auf die Matratze, den Kopf in meinem Kissen vergrabend.

Ich hasste diese Familie. So unglaublich. Wie sehr wünschte ich mir, dass Daddy noch hier wäre. Auch wenn er meine echte Mama aus dem Haus geschmissen hatte, so hatte er doch immer mich geliebt. Er wollte immer das beste für mich und er hätte garantiert nicht so bescheuert reagiert wie Norbert.

Ich krallte meine Hände in das Kissen und schluchzte.

Wäre Daddy noch hier, dann hätte ich nicht so einen blöden Stiefbruder, der jede Kleinigkeit an seinen Vater verpetzte.

Ich hörte seichte Schritte, die die Treppe hinunter kamen, aber ich drehte mich nicht um, meine Tränen wollte ich niemandem zeigen.

»Monday, bist du okay?«, fragte Evelyn. »Es tut mir leid, dass Norbert so direkt ist, aber so ist er nun mal. Er will nur das beste für dich.«

»Warum ...«, begann ich, doch unterbrach mich rasch, als ich merkte, wie verweint meine Stimme noch klang. Ich schniefte durch meine Nase und setzte mich auf, wobei ich mein Gesicht an meinem Unterarm abwischte. »Warum bist du heute so nett zu mir?«

Evelyn begab sich auf meine Augenhöhe, indem sie sich vor meine Matratze hockte. »Was du neulich gesagt hast – du weißt schon, dass du denkst, ich würde dich nicht lieben – hat mir tagelang zu schaffen gemacht. Ich habe nachgedacht, warum du das so empfindest. Ich zeige meine Gefühle nicht gerne, da bin ich genauso wie du. Monday, ich liebe dich. Und ich will, dass du das weißt.«

Ich wandte meinen Kopf zur Seite, damit sie meine erneut aufkommenden Tränen nicht sehen konnte.

»Ich bin nicht so verschlossen wie du«, murmelte ich.

»Nein, vielleicht bist du das nicht«, gestand Evelyn. »Du bist viel mutiger als ich. Als du klein warst, hast du gesagt, dass du mich liebst. Evelyn, ich liebe dich, hast du gesagt, als ich dich abends zu Bett gebracht habe. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich darüber gefreut habe. Aber Mama hast du mich nie genannt. Einmal ist es aus dir herausgerutscht, aber dann hast du dich sofort wieder korrigiert.« Sie legte eine Hand auf meinen Oberarm und streichelte sanft darüber. »Auch wenn ich nicht deine genetische Mutter bin, habe ich dich schon immer als mein Kind angesehen. Du bist meine Tochter und ich liebe dich.«

Anstatt zu antworten, weinte ich stumm. Sie blieb noch einige Sekunden, oder vielleicht waren es auch Minuten, dann nahm sie ihre Hand fort und ging wieder die Treppe hoch.

Vielleicht hatte sie recht, dass ich tatsächlich in gewisser Weise meine Gefühle zu verbergen versuchte, genauso wie sie.

Während mir die Tränen über die Wangen liefen, schlich mir ein zaghaftes Lächeln auf die Lippen. Evelyn sorgte sich um mich, sie liebte mich. Und doch hatte ich nicht Ich liebe dich zurück sagen können, nicht nach all den Jahren, in denen ich mich von ihr vernachlässigt gefühlt hatte.

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt