49 ~ Die Spenderin

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»Evelyn«, sprach ich meine Mutter an, als ich sie endlich mal alleine im Wohnzimmer antraf. Nun ja, Mutter war gut, immerhin hatte sich ja herausgestellt, dass das alles eine Lüge war. Endlich ergab sich die Gelegenheit, sie darauf anzusprechen.

Evelyn blickte genervt auf. Sie hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht und war gerade dabei, Fernsehen zu schauen. Alles in ihrem Blick zeigte, dass sie gerade gar keine Lust darauf hatte, mit mir zu reden. Wie hatte ich jemals glauben können, dass sie meine Mutter war?

»Ja?«, erwiderte sie.

Ich ließ mich gegenüber von ihr in einen Sessel fallen. »Wie hast du Daddy eigentlich kennengelernt?«

Ihre Mine verdüsterte sich schlagartig. »Das ist ein Lebensabschnitt, über den ich nicht mit dir reden will. Ich bin jetzt mit Norbert zusammen. Das ist Vergangenheit.«

»Du kannst nicht für immer darüber schweigen«, entgegnete ich. »Ich will doch wissen, wie meine Eltern sich kennengelernt haben.«

Sie guckte mich noch immer böse an, aber immerhin beantwortete sie meine Frage. »Das ist keine interessante Geschichte. Ich war mit ein paar Freundinnen in einer Bar, dort hat er mich angesprochen. Mehr gibt es da nicht zu erzählen.«

»War das vor oder nachdem ich geboren wurde?«, fragte ich.

Evelyn guckte mich fassungslos an. »Davor, natürlich.« Ich schnaube wütend. Wie konnte sie es noch immer wagen, mich anzulügen?

»Ich weiß, dass ich nicht deine Tochter bin«, platzte es aus mir heraus.

Augenblicklich wurde sie kreidebleich und starrte mich aus erschrockenen Agen an. Sie verdiente es, so von mir konfrontiert zu werden, dafür, dass sie mich mein ganzes Leben lang belogen hatte.

»Ich bin deine Mutter« murmelte sie leise vor sich hin. »Ich bin deine Mutter...«

War sie nun verrückt geworden? Ich hatte ihr eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich davon wusste und nun log sie mich schon wieder an. Was war bloß falsch mit ihr?

»Ich habe dich in meinem Bauch getragen«, behauuptete Evelyn noch immer mit leiser Stimme.»Ach, nun versuch doch nicht, mir etwas vorzumachen, Evelyn. Wir sind uns doch überhaupt nicht ähnlich. Du liebst mich doch nicht einmal.«

»Ich liebe dich nicht?«, äffte Evelyn mich aufgebracht nach. »Wie wagst du es, so etwas zu behaupten?«

»Das merke ich doch in allem, was du tust. Nie unternimmst du gemeinsam Sachen mit mir. Dir ist es komplett egal, was ich mache. Du erkundigst dich nie nach mir. Was ich in der Schule oder in meiner Freizeit mache, interessiert dich nicht.«

Evelyn guckte mich mit bedauerndem Blick an. »Ist dies wirklich das, was du von mir denkst? Monday, mein Schätzchen, das stimmt doch gar nicht.« Mein Schätzchen, so hatte sie mich noch nie genannt. »Natürlich liebe ich dich. Ich versuche bloß, dir deine Freiräume zu geben. Ich muss doch nicht alles wissen, was du in deiner Freizeit machst. Und neulich waren wir gemeinsam Essen, das ist doch auch etwas.«

Ihr Blick wirkte tatsächlich, zum ersten Mal, liebevoll. Hatte sie vielleicht recht? Ich schüttelte energisch meinen Kopf. Das konnte gar nicht sein. Ich hatte doch die Träume gehabt. Ich war ein Halb-Dämon, von irgendjemandem musste ich das doch haben. Von Evelyn konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie ein Dämon war. Wednesday, so hieß meine echte Mutter.

»Selbst, wenn du mich liebst, macht dich das noch lange nicht zu meiner Mutter«, sagte ich eiskalt.

Evelyn seuftze. »Du hast ja recht«, gab sie endlich nach. »Ich wollte damals so gerne ein Kind haben. Dein Vater und ich hatten es lange versucht, aber wir haben es nicht geschafft, ich war unfruchtbar. In Deutschland waren Eizellspenden illegal. Deswegen sind wir beide nach Amerika gereist und haben Eizellen von einer Spenderin angenommen. Wednesday hieß sie. Neun Monate später bekamen wir zwei gesunde Kinder, dich und deine Zwillingsschwester Tuesday, die einen Tag nach dir geboren wurde. Wir haben uns dazu entschieden, dich der Spenderin zu überlassen und nur Tuesday aufzuziehen, zwei Kinder waren uns zu viel. Ihr beiden würdet euch allerdings in den selben Kindergarten gehen und euch auch am Wochenende oft genug sehen. Ganz trennen wollten wir euch nicht. Alles war perfekt. Aber dann hat Tony ...« Die nächsten Worte schienen ihr schwer zu fallen. »Er ist mir fremdgegangen. Mit dieser Wednesday. Hat mich alleine zurückgelassen. Ich musste arbeiten, konnte nicht immer auf Tuesday aufpassen. Eines Tages, als ich von der Arbeit zurückkam, war Tuesday verschwunden. Die Babysittern war mit ihr auf dem Spielplatz gewesen, von wo sie entführt wurde. Ich habe alles getan, um sie zu finden, aber ohne Erfolg.« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Ich starrte sie bloß fassungslos an. All diese neuen Informationen... Und alles so verworren. Wednesday, Evelyn. Wer war denn jetzt überhaupt meine Mutter? Konnte ich Evelyns Worten überhaupt glauben? Das alles wirkte mir viel zu außergewöhnlich, um wahr zu sein. Allerdings bezweifelte ich, dass Evelyn solch eine ausgeprägte Fantasie hatte. Wahrscheinlich müsste ich meine andere Mutter, Wednesday, aufsuchen, um die Wahrheit zu erfahren.

»Warum warst du dann wieder mit Daddy zusammen?«, fragte ich, als ich endlich wieder meine Sprache wiedergefunden hatte.»Dein Vater hat mir gesagt, dass er Wednesday verlassen hat. War wohl doch nicht die Richtige gewesen. Er wollte wieder mit mir eine Familie haben. Anfangs habe ich ihn abgelehnt, aber irgendwann habe ich nachgegeben. Ich wollte nicht, dass du alleine von ihm aufgezogen wirst. Du hast es vielleicht nicht mitbekommen, aber unsere Beziehung war anstrengend, wir haben uns oft gestritten.« Sie lächelte mich durch ihr tränenverschmiertes Gesicht an. »Aber all das war es wert, um in deiner Nähe zu bleiben.«

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt