55 ~ Das seltsame Training

645 46 4
                                    

Ich saß alleine auf der Matratze im Keller und wartete darauf, dass Adam zum Training kam. Nach der Schule hatte er sich für sein unangemessenes Verhalten vom Vortag entschuldigt. »Es tut mir leid, du hattest recht. Ich habe keine Ahnung für Dämonen. Ich habe überreagiert«, hatte er gesagt und, nachdem ich seine Entschuldigung widerwillig angenommen hatte, darum gebeten, dass ich ihn weiter trainiere.

Als ich das Öffnen der Kellertür hörte, sprang ich auf und versteckte mich eilig in dem kleinen Hohlraum hinter der Treppe.

Das Knarzen der Stufen über mir kündigte Adams Kommen an.

»Monday, wo bist du?«, fragte Adam, sobald er den Kellerboden erreicht hatte.

Mit einem Kampfschrei stürmte ich auf ihn zu und streckte meine Hand nach seinem Herzen aus, ganz so, als wäre ich ein Dämon, der ihm die Lebensenergie aussaugen wollte. Ehe ich überhaupt wusste, was los war, hatte Adam mich an den Schultern gepackt, mir sein Knie ins Gesicht gestoßen und mich mit dem Oberkörper voran zu Boden gedrückt.

Die Schmerzen in meiner Nase erreichten mich erst, als ich schon auf dem Boden lag. Eine dickflüssige Flüssigkeit lief mir über das Gesicht. Blut.

Ich rollte mich auf den Rücken. Über mir kam Adams Kopf in den Fokus.

Ich setzte mich leicht schwankend auf. »Adam, was war das denn?«, fragte ich verwirrt.

»Reflexe«, erwiderte er und wandte sich ab. »Sorry, wenn ich dir wehgetan habe.«

»Du hast mir nicht wehgetan, das ist gar nichts«, meinte ich und wischte mir über den blutigen Mund.

Dabei war es überhaupt nicht »gar nichts«. Adam, mein Stiefbruder, der eigentlich bis vor ein paar Tagen gar keine Ahnung von Dämonen und Jägern gehabt hatte, hatte mich gerade bezwungen, als wäre es ein Leichtes.

»Was verheimlichst du mir?«, fragte ich.

»Ich denke, wir haben für heute genug trainiert«, erwiderte Adam ausweichend und ging Richtung Treppe, doch ich versperrte ihm den Weg, bevor er sie erreichen konnte.

»Du kannst mir doch nicht sagen, dass das nur Reflexe waren«, sagte ich.

»Als ich klein war, habe ich mal Judo gemacht«, behauptete Adam und ging an mir vorbei.

Ich schaute ihm hinterher und nahm mir vor, ihn in Zukunft näher im Auge zu behalten.


Die altbekannte Dunkelheit empfing mich. Mir war deutlich bewusst, dass ich mich im Schlafzustand befand. Zwar hatte ich mit Lina ausgemacht, in der nächsten Nacht meine Fähigkeit auszutesten, doch ich wollte nicht länger warten. Was könnte es denn schaden, es heute wieder auszuprobieren? Mit Jack vielleicht?

Ich rief mir sein Gesicht ins Gedächtnis und dachte an ihn. Wie ein Mantra wiederholte ich seinen Namen.

Jack. Jack. Jack.

Es geschah plötzlich. In einem Moment befand ich mich noch im Nichts, im nächsten plumpste ich mit einem dumpfen Geräusch auf einen harten Untergrund. Rechts und links von mir spürte ich Wände. Etwas weiches hing mir ins Gesicht. Ein leichter Geruch von Waschmittel ging von dem Weichen aus. Es war seltsam. Hören, spüren und riechen konnte ich, etwas, wovon ich nicht gewusst hatte, dass ich dazu in meinen Träumen fähig war. Jedoch war ich noch immer von Dunkelheit umgeben.

Das dachte ich zumindest, bis ich einen sehr kleinen Lichtstrahl wahrnahm, der aus einem winzigen Loch kam. Mir dämmerte, dass ich mich in einem Schrank befand. Ich kniete mich vor die Öffnung und spähte hindurch.

Von dort konnte ich eine in grau gestrichene Wand erkennen und davor ein großes Bett. Auf der Bettkante saßen zwei Personen und unterhielten sich. Bei der rechten handelte es sich um niemand geringeren als Jack. Neben ihm saß ein genaues Abbild meiner selbst, aber im Gegensatz zu dem rosahaarigen Mädchen von gestern hatte sie den gleichen Haarschnitt wie ich in demselben kastanienbraunen Farbton. Befand ich mich gerade tatsächlich in einem Traum von Jack, in dem er von mir träumte? Das konnte doch gar nicht sein. Wieso sollte er von mir träumen, wenn er gar nichts mehr von mir wollte? Dies musste mein eigener Traum sein, so viel war klar.

»Ich stehe nicht auf Jared«, sagte mein Doppelgänger gerade und schaute Jack mit verträumtem Blick an. Sah ich wirklich so idiotisch aus, wenn ich so guckte? Dies konnte nicht der Zwilling aus meinem leztzten Traum sein. Bei dem rosahaarigen Mädchen hatte es besser ausgesehen, als sie geistesabwesend ins Nichts geguckt hatte. Flüsternd fügte mein lächerlich dreinschauender Doppelgänger hinzu: »Ich will nur dich, Jack.«

»Hast du das auch zu Jared gesagt?«, fragte Jack. »Dass du nichts mehr von ihm willst?«

»Ja, jedoch hat er es nicht gut aufgenommen. Er meinte, er will nicht mehr mit mir befreundet sein. Aber das ist es wert, wenn ich dafür dich habe.« Ihr Blick schien, wenn möglich, noch verträumter, als wäre sie bis über beide Ohren in Jack verliebt.

Ich beschloss für die Zukunft, nie jemanden so anzugucken. Das sah einfach nicht cool aus.

»Oh, Monday, das sieht unheimlich süß aus, wenn du mich so anguckst«, meinte Jack nun. Dieser idiotische Blick sollte süß sein? Ohne dass ich es zurückhalten konnte, entfuhr mir ein grunzendes Lachen.

Jacks Kopf schnellte zu mir. »Was war das?«, fragte er und stand auf, doch bevor er auf mich zukommen konnte, hielt die andere Monday ihn an seinem Handgelenk fest und zog ihn wieder neben sich.

»Geh jetzt nicht«, sagte sie und streichelte behutsam seine Wange. »Ich will dich.« Ihr Gesicht kam seinem immer näher und dann, als ihre Lippen nur noch wenige Millimeter von seinen entfernt waren, schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn.

Es war seltsam, mir selbst beim Küssen zuzusehen. Ein schlechtes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, als ich sah, wie zärtlich Jack meiner Doppelgängerin über die Haare strich. Ich wollte, dass er mich küsste, nicht diese Kopie von mir, auch wenn sie eine ziemlich exakte war.

Jedoch wollte ich gleichzeitig nicht verpassen, diesen Kuss mitzuerleben und von hier war meine Position ziemlich schlecht. Ich stützte mich mit einer Hand an der Wand vor mir ab und versuchte mich näher an das Schlüsselloch zu pressen. In der Theorie hatte das wie eine plausible Idee geklungen, doch nun spürte ich, wie die Wand nachgab. Ich suchte mit der anderen Hand nach dem weichen Etwas, was ich vorhin wahrgenommen hatte, doch ich war zu langsam. Mit einem lauten Quietschen gingen zwei Türen vor mir auf und ich fiel mit dem Kopf voran in das Zimmer. Ein lautes Plums ertönte, als ich auf dem Boden landete. Aus dem Augenwinkel nahm ich den Schrank wahr, aus dem ich gefallen war. Ich wandte meinen Blick Jack und meiner Doppelgängerin zu.

»Ups«, sagte ich. Es war das einzig Passende, was mir in diesem Moment einfiel.

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt