71 ~ Vampirhaut

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Der Laden, in den Jack mich führte, sah von außen deutlich kleiner aus als die Höllenbibliothek. Bibis Gebrauchtkleidung stand in dreckig aussehenden Buchstaben über der Tür. Nun ja, nicht ganz. Das letzte »i« fehlte und beide »u«'s standen verkehrt herum. Auch die anderen Buchstaben verliehen den Eindruck, als hätte sich jemand beim Anbringen nicht viel Mühe gegeben, so schief wie die hingen.

Eine Glocke ertönte, als wir den Klamottenladen betraten. Die Luft roch muffig, mit einer dezenten Note nach Verbranntem.

Viele Kleiderstangen standen in ordentlichen Reihen im Raum verteilt. Ich merkte gar nicht, dass wahllos verteilte Klamotten von der Decke hingen, bis ich mit dem Kopf einen Pullover berührte.

»Badebekleidung ist dort drüben rechts, direkt bei der Wand«, erklärte Jack, doch die hätte ich auch ohne seine Hilfe gefunden, da mehrere Badeanzüge und Bikinis an der Wand hingen. Eigentlich sahen sie ganz normal aus. Komplett weiß und vom Schnitt auch nicht anders als die Badebekleidung, die ich von der Erde kannte. Ich griff nach einem Bikiniunterteil. Es war ein angenehmes Gefühl, über die glatte Oberfläche zu streichen, jedoch war das Material so dünn, dass ich Angst hatte, den Bikini kaputt zu machen.

»Lina meinte, die Bikinis sehen ganz anders aus als die Herkömmlichen. Aber diese hier sehen doch ganz normal aus«, sagte ich zu Jack.

»Normal?«, fragte Jack und lachte. »Probier mal einen an und beurteile dann, wie normal du den findest.«

Ich begutachtete die Badebekleidung an der Wand, dann stöberte ich durch die Bikinis an der Kleiderstange, bis ich einen fand, der wirkte, als wäre er in meiner Größe und als könnte er meinen Po genügend bedecken.

Die Tür der Umkleide bestand lediglich aus einem ollen Vorhang, doch ich vertraute Jack, dass er diesen nicht aufreißen würde, um sich an meiner Nacktheit zu erfreuen.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, zog ich den Vorhang beiseite und betrachtete mich in dem einzigen Spiegel, den es hier im Laden gab. Ich musste mehrmals blinzeln, ich konnte meinen Augen kaum trauen. Das war doch nicht... Das war auf keinen Fall derselbe Bikini sein, den ich ausgewählt hatte.

Der Bikini, den ich ausgewählt hatte, hatte ausgesehen wie ein dünner weißer Lappen. Aber dieser hier war grau. Obwohl er, wie es bei Bikinis üblich war, nicht aus viel Stoff bestand, ließ er mich aussehen wie ein ziemlich sportliches und gleichzeitig sehr attraktives Model. Die orangefarbenen Streifen an den Seiten verstärkten nur den Eindruck.

Wow, war das ein schönes Orange. Es wirkte so lebendig, so leuchtend, und bei näherer Betrachtung konnte ich feststellen, dass die Streifen nicht nur aus einer Nuance bestanden, sondern aus vielen Orangetönen, manche beinahe gelb, welche sich miteinander vermischten, ineinander übergingen.

Ich wusste, woran mich das erinnerte. Jack. Seine Augen. Sie sahen genauso aus.

Verwirrt blickte ich Jack durch den Spiegel hindurch an. »Was ist das?«, fragte ich.

»Ein Bikini.«

»Wie lustig, Jack. Als hätte ich das nicht gewusst«, erwiderte ich. »Warum sieht er so aus?«

»Weil er aus Vampirhaut besteht. Diese Haut bewirkt, wenn sie von jemandem angezogen wird, dass sie genauso aussieht, wie du es dir wünscht. In diesem Fall, wie du dir deinen perfekten Bikini vorstellst.«

»Oh«, meinte ich. Das klang cool. Aber dennoch beschäftigte mich eine Frage: Hatte er auch gesehen, dass es sich bei den Streifen um ein Abbild seiner Augen handelte? Die Röte stieg mir ins Gesicht.

Verdammt, Monday, dachte ich. Beruhige dich. Was wäre denn so schlimm daran, wenn er weiß, dass du seine Augen schön findest?

Aber das war einfacher gesagt als getan. Trotz allem hatte ich Angst, er würde das seltsam finden oder würde mich möglicherweise zurückweisen.

Meine Hände wurden vor Nervosität ganz schwitzig, als ich bemerkte, wie Jack die Streifen auf meinem Bikiniunterteil musterte.

Ich sprach, bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich denn überhaupt sagen wollte.

»Das Orange...« Ich stockte. Wie sollte ich ihm das bloß erklären?

Jack stellte sich vor mich, zwischen mich und den Spiegel und legte eine Hand auf meinen Oberarm. Seine Hand war brennend heiß auf meinem unbekleideten Arm. Auf einmal wurde mir überhaupt bewusst, wie nackt ich war. Wie entblößt ich hier, lediglich in einem Bikini bekleidet, vor Jack stand. Würde er mich nicht wollen, jetzt, nachdem er mich so gesehen hatte?

Bevor ich an meinen Befürchtungen verzweifeln konnte, legte Jack mir seine zweite Hand auf den anderen Arm. »Du bist so süß«, sagte er mit einem Lächeln. Einem echten, strahlendem Lächeln. »Dass du dir für die Streifen ausgerechnet diese Farbe aussuchst. Der Bikini ist wunderschön.« Seine Wangen röteten sich. Nur leicht, aber dennoch entging es mir nicht. »Du bist so wunderschön Monday. Ich weiß, seit gestern ist nur ein Tag vergangen, aber ich kann nicht länger warten.«

Er beugte sich zu mir hinunter und hauchte mir einen Kuss auf den Mund, so zart, dass ich nur ein leichtes brennendes Prickeln wahrnahm.

Er bewegte seine Lippen langsam, vorsichtig. Es war wie eine Qual. Einerseits schön, andererseits wollte ich mehr, so viel mehr, wollte ihn mit Leidenschaft küssen. Ich wollte ihm zeigen, dass er der einzige war, den ich liebte.

Ich zog ihn an mich heran, presste meinen Körper ganz nah an seinen. Vorsichtig biss ich ihm auf die Unterlippe, als eine schrille Stimme uns unterbrach.

»Das hier ist kein Freudenhaus!«, kam es so laut von der Ladenbesitzerin, dass ich kurz zusammenzuckte. »Kauft etwas oder geht, aber diesen öffentlichen Sex werde ich hier nicht dulden.«

Augenblicklich lösten Jack und ich uns voneinander. Ich dachte darüber nach, der Besitzerin zu erklären, dass wir noch lange keinen Sex gehabt hatten, doch verzichtete darauf, als mir klar wurde, wie es aussehen mochte, wenn ein Mädchen im Bikini in einem Klamottenladen mit einem Jungen rummachte. Außerdem hatte ich keine Lust darauf mit dieser Frau zu diskutieren. Mit ihrem streng zurückgebundenen Pony und dem kantigen Gesicht sah sie ziemlich streng aus. Und wer wusste, wenn ich uns jetzt verteidigte, würde sie uns vielleicht nichts mehr verkaufen wollen. Und ich brauchte diesen Bikini.

»Tut uns leid«, sagte ich also stattdessen. »Ich darf mich aber noch umziehen, bevor ich den Bikini kaufe, oder?«

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt