Mit Lina in meinen Armen klingelte ich an der Haustür ihrer Familie. Als niemand aufmachte, klingelte ich erneut, immer und immer wieder.
Nach dem gefühlt hundertsten Klingeln wurde die Tür endlich aufgerissen. Jack sah genervt aus, wahrscheinlich von meinem Sturmklingeln. Aber sobald er seine ohnmächtige Schwester erblickte, spiegelte sich meine Besorgnis in seinen Augen.
»Was soll ich mit ihr machen? Sie ist einfach ohnmächtig geworden!«, rief ich nervös aus, unsicher, wie ich mich um Lina kümmern sollte.
»Hat sie ihre Begabung eingesetzt?«, fragte Jack. »Bring sie am besten in ihr Bett. Was sie jetzt am meisten braucht, ist Ruhe.«
Er ließ mich hindurch und begleitete mich durch das Haus. Im Flur begegneten wir Jared. Ich nahm ihn nur am Rande wahr, meine Umgebung schien ganz verschwommen.
»Was ist passiert?«, fragte Jared, doch ich antwortete ihm nicht, sondern trug Lina zuallererst in ihr Zimmer, wo ich sie auf dem Bett niederließ.
»Was können wir machen, damit es ihr besser geht?«, fragte ich die Jungs besorgt.
»Wie konnte das überhaupt passieren?«, fuhr Jack mich zornig an. »Was hast du gemacht?«
Ich zuckte kaum merklich zusammen. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt wie in letzter Zeit.
»Es war nicht meine Schuld«, behauptete ich, doch innerlich plagten die Gewissensbissen. Wäre ich nicht so egoistisch gewesen und nicht einfach davon gestürmt, bloß weil Jack mich abgewiesen hätte, dann wäre das vielleicht nie passiert. »Ich bin nach Hause gegangen und dann war ich plötzlich von unzähligen Dämonen umzingelt. Sie wollten mich töten –«
Auf einmal wirkte Jacks Blick nicht mehr ausschließlich wütend. Sorge gesellte sich dazu, doch sie konnte nicht ganz den verärgerten Gesichtsausdruck verdrängen. »Bist du verletzt?« Es gab mir Hoffnung, dass er sich anscheinend doch noch um mich kümmerte, aber dem konnte ich nicht allzu viel Beachten schenken. Dafür war ich viel zu besorgt um Lina.
»Nein, ich nicht, aber Lina. Sie ist ohnmächtig geworden, nachdem sie ihre Begabung eingesetzt hat. Wird sie wieder aufwachen?« Ich versuchte meine zitternden Hände zu verstecken, indem ich meine Arme vor dem Körper verschränkte, während ich Jack mit letzter Hoffnung ansah.
»Bis jetzt ist sie immer danach aufgewacht, da gibt es nicht viel, was wir machen können«, erklärte Jack. Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte. »Sie ist danach bloß immer sehr erschöpft. Kein Wunder, bei so einer großen Energiezunahme, sie kann das alles gar nicht so schnell verarbeiten.«
»Uns hat sie mal erklärt, das ist so, als wenn man zu viel Essen würde«, warf Jared ein. »Dann ist man auch manchmal müde. Bei ihr ist das bloß viel extremer.«
Während Jack sich wieder zurückzog, um den Nachtisch vorzubereiten, blieben Jared und ich bei Lina.
»Na, Streit im Paradies?«, fragte er, nachdem die Tür hinter Jack zugefallen war. Er war der Letzte, mit dem ich über meine Beinahe-Beziehungsprobleme reden wollte.
»Das geht dich gar nichts an«, fauchte ich ihn an. Erst im Nachhinein bereute ich es und befürchtete, dass Jared wieder ausrasten würde, doch nichts dergleichen geschah.
»Alles klar«, erwiderte er zu meinem Verblüffen.
»Es tut mir leid, dass du von den Dämonen angegriffen wurdest«, fügte er dann hinzu. »Ich kann dich später gerne nach Hause bringen.«
»Nicht nötig«, meinte ich und drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn nicht anschauen zu müssen. Ich hatte keine Lust auf seine Gesellschaft.
»Ich bestehe aber drauf.« Jared gab nicht nach. »Was wollten die Dämonen überhaupt von dir?«
»Sie wussten, dass ich Halb-Mensch, Halb-Dämon bin«, erklärte ich widerwillig.
»Woher zum Teufel haben sie davon erfahren?«, fragte Jared mit verwirrt klingender Stimme.
»Ich habe keine Ahnung. Wer weiß, vielleicht hast du mich ja verraten«, scherzte ich.
Es dauert nur Sekunden, da hatte Jared mich gegen die nächste Wand gepresst. Ich schnappte erschrocken nach Luft. »Du weißt ganz genau, dass ich so etwas nie tun würde«, knurrte er bedrohlich leise.
Seine Hände drückten schmerzhaft gegen meine Schultern, während er mich zornig anstarrte. Warum verstand er denn keinen Spaß?
»Lass mich los«, zischte ich. »Ansonsten war es das mit deiner zweiten Chance.«
Jared schien kurz zu überlegen, dann lockerte er tatsächlich seinen Griff. »'Tschuldigung«, murmelte er und ließ seinen Blick zum Bett schweifen. »Oh, Lina, du bist ja wach!«, rief er dann.
»Lina?«, stieß ich ihren Namen aus und alle anderen Gedanken in meinem Kopf wurden in den Hintergrund gedrängt. Blitzschnell drehte ich mich zu ihr um, raste auf sie zu und warf mich auf das Bett, um sie in eine kräftige Umarmung zu ziehen.
»Du bist noch am Leben«, stellte ich erleichtert fest.
Lina lachte. »Pass auf, du erdrückst mich ja fast!«
Vorsichtig ließ ich etwas von ihr ab und setzte mich auf die Bettkante. »Bist du okay?«, fragte ich.
»Ja, klar, bloß ein wenig überfordert mit der ganzen Energie.« Sie seufzte. »Du kannst Glück haben, dass ihr dir gefolgt bin –«
»Warum bist du mir überhaupt gefolgt?«, unterbrach ich sie.
»Naja, ich habe dich mit meinem Bruder streiten gehört und dachte, du bräuchtest vielleicht jemanden zum Trösten. Nie hätte ich gedacht, dass du von diesen Dämonen überfallen wirst. Wie wussten die überhaupt, dass du Halb-Mensch bist?«
»Ich weiß es nicht«, gab ich es zu. Es war eine Frage, die mich zugegebenermaßen sehr beunruhigte. Keiner von meinen Freunden würde mich verraten, oder etwa doch? Jared, Jack und Lina. Ich vertraute ihnen. Wer hätte es sonst noch sein können? Adam? Er wusste, dass ich ein Dämonenjäger war. Genauso wie jeder Dämonenjäger in meiner Heimat. Aber keiner davon wusste, dass ich ein Halb-Dämon war, zumindest soweit ich davon eine Ahnung hatte. Wer konnte schon sagen, wem mein Vater von meiner Dämonenmutter erzählt hatte?
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Monday - Dämonen der Vergangenheit
ParanormalKann man jemanden verurteilen, nur weil er ein Dämon ist? Triff Monday, sechzehnjährige Dämonenjägerin. Seitdem ihr Vater von einem Dämonen getötet wurde, macht sie ihren Job nicht mehr aus Pflicht, sondern nur noch aus Hass. Alles was sie will, ist...