ACTEZEHN oder wie Elaine zum ersten Mal eine Oper besuchte

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Ihr Blick wanderte durch das eindrucksvolle Gebäude. Noch nie war sie in das Stadttheater von Hannover gegangen. Es war einfach nicht möglich. Es war nun einmal so, dass ihr Dad nicht das meiste Geld verdiente und er hatte jedes übrige Geld für seine Kinder oder Urlaube gespart. Deswegen war es ganz normal, dass Elaine und ihre beiden Geschwister noch kein einziges Theaterstück gesehen hatten, außer die zweimal mit ihrer Schule, aber die waren nie in diesen großen Hallen gewesen. Normalerweise waren solche nervigen Veranstaltungen stets ind der Schulaula oder in dem anderen Theater von Hannover.
Lächelnd drehte sie sich zu dem Jungen hinter ihr um. "Ist das dein Ernst?"
Er nickte nur. "Mein voller Ernst. Freust du dich?"
Natürlich freute sie sich, aber es war doch wirklich nicht nötig gewesen. Sie konnte doch nicht einfach zulassen, dass alle möglichen, teuren Wünsche erfüllen. Es war wohl echt wirklich nicht nötig, dass jemand ihr ihre Wünsche erfüllte.
"Ja, ich freue mich natürlich, aber das war nun echt nicht nötig gewesen."
"Ich wollte es aber, also gab es für mich nichts, was dagegen sprach. Bitte keine Wiederrede. Und nur damit du es weißt, es waren nicht meine Karten, eigentlich wollte mein Onkel heute seine Frau in diese Oper ausführen, aber die ist leider krank geworden. Also ist das vollkommen in Ordnung, wenn du mich nun zu unseren Plätzen begleiten würdest."
Ganz galant hielt er ihr den Arm hin und schnell ergriff sie die Chance. Fröhlich zu ihm hinaufblickend hackte sie sich bei ihm unter. Auch er lächerlte sie an und so liefen sie gemeinsam zu ihren Plätzen. Es waren zwar nicht die besten Plätze, aber für sie reichten diese beiden Plätze vollkommen. Sie waren perfekt. Auch wenn sie direkt hinter einem großen fetten Mann saß und sie sich deswegen noch nicht so sicher war, ob sie die ganze Oper sehen können würde. Ehrlich gesagt war sie sich schon ziemlich sicher, dass sie wohl nicht alles zu sehen bekommen würde. Schließlich sah sie schon jetzt nur die halbe Bühne.
"Wie ist deine Familie so, Raphael?"
"Meine Familie ist fantastisch. Meine Mutter ist vielleicht etwas bewöhnungsbedürftig, aber ich liebe sie alle trotzdem."
"Was ist denn an deiner Mutter so gewöhnungsbedürftig?" fragte sie ihn und war wirklich interessiert.
SIe konnte sich einfach nicht vorsellen, dass jemand gewöhnungsbedürftiger sein könnte. als der Junge direkt neben ihr.
"Das kann man nicht beschreiben. Wie soll ich sagen, meine Mutter muss man einfach erleben. Vielleicht lernst du sie bald kennen und dann weißt du bestimmt, was ich meine." er lachte und es schien so als würde er noch etwas sagen wollen, doch dann wurde das Licht gedimmt und das Stück begann.
Nur konnte sie sich nicht wiklrich auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren, auch konnte sie nicht sagen, woran es nun genau lag.
Vielleicht fand sich der Grund bei dem Mann vor ihr, doch sehr sie sich das einzureden versuchte, schaffte sie es nicht so einfach sich sebst zu überzeugen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie die Handlung nicht wirklich verstand oder auch einfach daran, dass sie irgendwie das Gefühl hatte gerade ihr erstes Date zu haben und dass der Junge neben ihr sie ein kleines bisschen nervös machte.
"Verstehst du das?"
"Ich habe keine Ahnung, was da gerade auf Bühne passiert." sie kicherte, als ihr klar wurde, dass er auch keinen Plan hatte.
Aber wegen ihrem Gekicher drehte sich der Mann vor ihr um und schaute die beiden wütend an. Schnell verkniff sie sich ihr Lachen und versuchte ihr Blick wieder auf das Geschehn vor ihr zu richtig. Doch sie konnte es einfach nicht lassen ihren Blick immer mal wieder zu ihrem Sitznachbarn wandern zu lassen. Doch jedes Mal, wenn sie auch nur einen Hauch von Ahnung besaß, dass er auch zu ihr schauen konnte, tat sie so, als hätte sie die ganze Zeit nur nach vorne gesehen.
Erleichterung überkam sie, als das Licht wieder anging und die Pause begann. Sofort entschuldigte sie sich und flüchtete auf die Toilette. Dort stellte sie sich einfach vor den Spiegel und starrte ihrem Spiegelbild die ganze Zeit in die Augen. Sie fixierte sich selbst und wiederholte in ihren Gedanken immer wieder einen Satz. Ich habe einen Hirntumor. Immer und immer wieder wiederholte sie dies wie ein Mantra. Ich habe einen Hirntumor, ich habe einen Hirntumor, ich habe einen Hirntumor und ich werde in einem Jahr tot sein. Doch eigentlich sollte es eigentlich eher etwas, wie 'Ich habe einen HIrntumor und werde bald sterben, Raphael nicht, er und ich werden niemals ein Date haben' heißen. So lautete nämlich das eigentlich das Mantra, dass hinter dem Mantra steckte.
Bevor sie die Toilette wieder verließ, schaute sie sich noch einmal auf eine andere Art und Weise im Spiegel an. Sie schaute sich selbst an. Ihr Blick wanderte zu ihren Augen, dann zu ihrer leicht schief aussehende Nase, als nächstes fielen ihr ihre Muttermale auf und dann sah sie ihre schmalen Lippen. Sie war nicht besonders schön, sie war ein ganz normales Mädchen und das Einzige besondere an ihr war wohl ihr Tumor. Dies war zwar ein trauriger Gedanke, aber es war nun einmal so. Ihre Brille hatte sie ausnahmsweise mit ihren Kontaktlinsen ersetzt und somit konnte sie sich leider nicht hinter ihr verstecken, wie sie es sonst allzu gerne tat. Ihre Brille war ihr ganz privates kleines Schutzschild, aber heute brauchte sie sie nicht.
Ihre Augen wanderten weiter hinab zu ihrem Kleid. Heute sah sie schön aus. Lange her war es, dass sie sich soviel Mühe mit einem Outfit gegeben hatte und dennoch war sie im Vergleich zu den anderen Damen eindeutig underdressed.
Ein Gong ertönte und deutete damit das Ende der Pause an. Die Oper ging weiter. Schnell machte sie sich auf den Weg zu ihren Plätzen zurück. Dort wartete auch schon Raphael auf sie. Ganz entspannt saß er da und bemerkte sie erst, als sie sich neben ihn setzte.
Das Licht wurde wieder gedimmt und die zweite Hälfte begann. Dieses Mal konnte sie sich besser auf die Handlung konzentrieren und immer wenn sich ein anderer Gedanke in ihre Gedanken versuchte einzuschleichen, wiederholte sie einfach noch ein weiteres Mal ihr Mantra. Zumindest bis er ihre Hand in seine nahm und sanft über ihren Handrücken streichelte. Es fühlte sich nicht nur richtig und gut an, es war einfach perfekt und schon musste sie ihr Mantra nicht nur zwischendurch, sondern die ganze Zeit in ihren Gedanken wiederholen. So schaffte sie es aber durch die zweite Hälfte und dann bis zu ihr nach Hause.
Schnell verabschiedete sich von ihm und huschte ins Haus. Ihre Gedanken brachten sie vollkommen durcheinander und sie wollte möglichst schnell wieder Klarheit in ihren Kopf bringen. Warum wünschte sie sich so sehr ein Date? Nein, warum wünschte sie sich ein Date mit Raphael, das war doch verrückt, oder nicht?

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt