Die ganz Nacht wurde Elaine im Krankenhaus behalten. Raphael wurde für die Zwischenzeit ins Hotel zurück geschickt.
Am darauffolgenden Tag machten sie sich nach Seattle auf. Mit dem Zug fuhren sie zu der Stadt von Elaines Lieblingsserie. Das war auch der Grund, weswegen sie unbedingt nach Seattle wollte. Irgendwie fand sie, dass sie, wenn sie schon einmal in Amerika war und somit die Möglichkeit bestand diese auch ausnutzen konnte. Bei ihrem Begleiter löste die Großstadt zwar keine so große Begeisterung hervor und auch ihr Wunsch auf der Zugfahrt dorthin die ganze Zeit über Netflix zumindest ihre Lieblingsfolgen mit ihr zu schauen traf bei ihm eher auf eine hochgezogenen Augenbraue, als auf das breite Grinsen, welches Elaine auf den Lippen trug. So holte sie schlussendlich ihre Kopfhörer hervor und schaute für sich alleine in das Handy, während Raphael schon einmal schaute, was er in der Stadt sehen und unternehmen wollte.
Auch für ihn war klar, dass Elaine hauptsächlich auf die Spuren ihrer Lieblingscharaktere gehen wollte, dennoch hoffte er nicht nur eine Grey's Anatomy Tour unternehmen zu müssen.
Diesen Stadtrundgang machten sie schlussendlich ganz zu Beginn. Der Himmel war klar und die Sonne schien. Der Ausblick von der Fähre, welche Elaine eindeutig als McDreamys Fähre wieder erkannte, zumindest war das so, wenn sie ihre Fantasie etwas spielen ließ, war atemberaubend und auch ihr Mitreisender konnte nicht anders, als Shepard zu zustimmen. Dies musste man wirklich einmal gesehen haben, wenn man schon hier war.
Fünf ganze Tage verbrachten sie Seattle, bevor sie sich auch schon in den nächsten Bus nach Portland setzten. Von Portland aus würden sie mit dem Zug weiter nach Süden reisen, solange bis sie zum Schluss in der Filmmetropole und Sitz von Hollywood wären. Los Angeles wäre auch schon ihr vorletztes Ziel, bevor sie von Las Vegas aus zurück nach Deutschland fliegen würden. Der Grund, weswegen sie in die Casinostadt fuhren, war eigentlich, dass der Flug von dort aus zweihundert Euro weniger kostete. Dies war der wahre Hintergedanken gewesen. Sie müssten schließlich nicht mehr Geld ausgeben, als unbedingt notwendig.
Langsam aber hatte Elaine nicht mehr so eine große Lust auf Busfahrten und sie freute sich schon darauf bald in einen Zug umsteigen zu können. Neben ihr saß Raphael und schlief. Doch sie war hellwach und hatte somit nichts zu tun außer zu warten. Es war also kein Wunder, dass ihr langweilig war. Sie wusste nicht, was sie machen könnte. So lehnte sie mit ihrem Kopf an der Fensterscheibe und schaute einfach nur nach draußen. Die Straßenschilder flogen vor ihren Augen vorbei und plötzlich las sie einen ganz bestimmten Namen. Ihr Kopf schnellte nach oben und voller Erstaunung starrte sie das Schild an.
Aber sie hatte sich wirklich nicht verlesen. Dort stand klar und deutlich der Name Vancouver auf dem Schild. Mit ihrer Hand schlug sie gegen Raphaels Schulter und versuchte ihn zu wecken. Dies gelang ihr schon nach ein paar Sekunden und ohne ein Wort sagen zu können zeigte sie immer wieder nach draußen auf das Schild.
Nach einem kurzen Moment schien auch Raphael zu verstehen, was sie meinte. Doch darauf wartete Elaine gar nicht mehr. Sie drückte auf die Bremse und schon hielt der Bus an der nächsten Haltestelle. Mit ihrer Hand schnappte sie sich ihren Rucksack und sprintete aus dem Bus.
Hinter ihr stieg auch ihr Begleiter etwas langsamer aus dem Gefährt und dann fuhr der Bus davon. Ihre Nerven waren zum zereißen gespannt und so sprach sie einfach den erstbesten Passanten an, der ihr entgegen kam, anstatt darauf zu warten, dass Raphael sein Handy herausholte, um die Karte zu öffnen.
"Entschuldigen Sie, aber wissen sie zufällig, wo sich die East 5th Street befindet?" fragte sie einen etwas älteren Herren.
Freundlich lächelte er sie an und erklärte ihr kurz den Weg von der Bushaltestelle bis zur gewünschten Straße. Dann fragte er sogar noch einmal nach, zu welchem Haus sie denn wollen würden und beschrieb ihr auf ihre Antwort hin sogar eine mögliche Abkürzung, um zu dem Haus zu gelangen. Dieses Mal war sie sich vollkommen sicher, dass sie richtig sein würden. Paul hatte ihnen nicht die falsche Adresse gegeben, sie hatten nur direkt an die falsche Stadt gedacht. Aber sie hatte es einfach nicht besser gewusst. Woher hätte sie auch wissen können, dass es auch in den Vereinigten Staaten einen Ort namens Vancouver gab und dass es dort sogar eine Straße und ein Haus mit genau der selben Adresse gab. Wirklich Schuld hatte also eigentlich nur ihre Unwissenheit und vielleicht das Internet.
Das Haus ihrer Mutter sah von außen sehr schön aus und ein Schild neben ihrem Briefkasten gab Elaine noch mehr Sicherheit, dass sie richtig waren. Auf diesem stand nämlich, dass von hier ein Catering Service arbeitete und dies schrie doch nach der richtigen Adresse. Anders als bei letzten Mal verhinderte ihre Aufregung nicht, dass sie sich bewegen konnte. Ganz im Gegenteil sie war zwar nervös, aber dadurch erst recht ein bisschen aufgedreht. Raphael war fast gar nicht hinter ihr her gekommen, so schnell ist sie gegangen.
Ihr Finger drückte auf die runde Klingel und dann machte sie wieder einen Schritt zurück. Ihr Begleiter stand noch vor der Treppe und ließ ihr somit freien Raum.
Die Tür öffnete sich und sie blickte in das Gesicht ihrer Schwester, nur dass dieses Gesicht nicht mehr ganz so jugendlich war und dass es ihre Augen besaß. Der Mund ihrer Mutter öffnete sich und es bildeten sich Tränen in ihren Augen. Auch Elaine spürte wie ihre Augen feucht wurden. Eine feine Träne löste sich und lief die Wange von ihrer Mutter hinab. Natalie starrte ihre Tochter an und konnte es nicht glauben.
Nicht einmal vorstellen mussten sie sich, die beiden hatten sich auf den ersten Blick hin wieder erkannt. Vorsichtig schritt die Mutter auf ihre Tochter zu. Es schien so, als hätte sie Angst zu verschrecken, aber diese Angst war unbegründet. Denn diese schlang direkt ihre Arme um den Rücken ihrer Mama.
In diesem Moment realisierte Elaine, dass sie gar keine Erklärung brauchte. Das war ihre Mutter und es war egal, weswegen sie sie und ihre Familie verlassen hatte, sie war dennoch ihre Mutter und würde es auch immer bleiben. Die ganze unterdrückte Wut verschwand und Elaine fühlte sich auf einmal wunderbar leicht. Auch wenn sie es nicht bemerkt hatte, doch hatte sie schon vor einer halben Ewigkeit ihr verziehen. Dies hatte sie einfach getan, obwohl sie eignetlich keinen Grund dazu gehabt hatte.
Aber diese einfache Umarmung rechtfertigte alles. Ihre Mutter rechtfertigte alles. Ein Schluchzen kam über ihre Lippen und eine tiefe Freude durchflutete sie. Endlich war sie vollkommen Zuhause. Denn hier gehörte sie her. Jedes Kind brauchte beides, seinen Vater und seine Mutter. Ungeachtet der Tatsache, dass man es vielleicht selbst nicht einmal wusste und es somit also nicht vermisste, irgendwie fehlte dennoch immer ein kleiner Teil seines selbst. Dies wusste Elaine nun.
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How I would like to say Goodbye
Ficción General1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...
