Beerdigungen sind beschissen. Warum sollte man den Tod einer geliebten Person feiern? Jeder war traurig und niemand freute sich da zu sein. Die ganzen Blumen sollten dem Raum zwar Freude verleihen, aber eigentlich machten sie es eher schlimmer als besser. Seit Tagen gingen ihm diese Gedanken durch den Kopf. Immer wieder hatte er über diese Feier nachgedacht und wenn er es nicht getan hatte, hatte er getrauert. Noch nie hatte er wegen etwas so sehr geweint, wie seit dem letzten Freitag wegen Elaine.
Sie war einfach weg. Erst wollte er es nicht glauben, doch dann hatte er versucht ihren Herzschlag zu hören. Auch er war weg. So wunderschön hatte sie vor ihm gelegen. Ein Lächeln trug sie auf den Lippen und sah so friedvoll aus.
Jetzt waren acht Tage vergangen. Es war Samstag und damit der achtundzwanzigste Oktober. Ein Jahr war es fast her, dass er sie kennen gelernt hatte. Ein Jahr, welches ihm nun viel zu kurz erschien. Wie war es möglich, dass eine Person in so kurzer Zeit zu seinem Leben geworden war? Die Antwort war leicht. Sie war einfach sie gewesen und das war Grund genug.
Vor der Kirche begrüßte er ihren Vater. Auch sein Gesicht sah verändert aus. Insgesamt sah er viel älter aus, als er ihn in kannte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es für ihn sein musste, seine Tochter verloren zu haben. Natürlich hatte er Elaine geliebt. Dies hatte er auch schon viel früher gewusst, als er es vor ihr zugegeben hatte. Aber er hatte ihr Freiraum gegeben, bis sie soweit war. Eigentlich hatte er schon bei ihrem ersten Kuss bemerkt, dass sie mehr als nur eine einfache Freundin war. Wie schwer war es ihm gefallen, seine Gefühle nicht ausleben zu können, doch er hatte irgendwie immer gewusst, dass etwas sie zurück hielt. Nun wusste er es.
Seit Los Angeles hatte er Zeit gehabt sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie sterben würde. Doch diese Zeit hatte nicht gereicht. Bis zu ihrem letzten Tag hatte er gehofft, dass sie sich noch einmal umentscheiden würde. Doch als sie dort gelegen hatte, wusste er, dass nichts und niemand ihre Entscheidung hätte verändern können.
So wunderschön lag sie dort.
Die Kirche selbst war gefüllt mit Blumen. Es waren alles die selben Hibiskusblüten, welche auch auf ihrem Kleid zu finden waren. Wieder einmal füllten sich seine Augen mit Tränen. Eine feine Hand berührte seinen Ellenbogen. Die großen Augen von Emma schauten ihn an, als er sich zu der Person umdrehten. Wässrig sah er sich selbst in ihren tränenden Augen.
Neben ihr stand Niklas. Er war gekommen und auch der Rest seiner Freunde war da. Sie waren alle ihrem Ruf gefolgt. Ein Schluchzen entkam seinen Lippen. Sofort nahm das kleinere, blonde Mädchen ihren Freund in die Arme.
Dies tat ihm gut.
Sobald er soweit war, gingen sie zu ihren Plätzen und ließen sich dort nieder. Raphael saß neben Josh und seiner Frau. Auch Elaines Bruder schluchzte leise.
Zum ersten Mal schaute Raphael nach vorne zum Altar. Dort blickte er direkt in ihr lachendes Gesicht. Es war ein wunderschönes Foto von ihr. Josh hatte es auf seiner Hochzeit von ihr geschossen. Dieser Tag fühlte sich an, als würde er schon eine Ewigkeit zurückliegen.
Um das Foto herum standen weitere Blumen. Insgesamt hatte Elaine sich wirklich Mühe gegeben, denn wie er wusste, musste keiner von ihnen für diese Feier wirklich groß etwas machen. Nur ein paar von ihnen hatten überhaupt einen Finger krümmen müssen. Und selbst diejenigen, die etwas getan haben, wurden von Elaine ausgewählt. Überall fand man die Handschrift seiner Frau. Seiner Frau...
Er vermisste sie so unheimlich.
Sein Blick wanderte nach hinten. Durch die Tür traten immer wieder Menschen. Jede Person kannte er, zumindest die meisten. So kamen ihre Großeltern, ihre Verwannten, ein paar Lehrer, ein paar der ehemaligen Mitschüler und auch Personen, die er zwar kannte, aber nicht erwartet hatte.
Ein kleines Lachen entwich ihm, als er in die Gesichter von ihren drei Freunden aus Australien sah. Niemals hätte er gedacht, dass Elaine auch sie eingeladen hatte. Rasch winkte er ihnen zu und auch sie hoben ihre Hand zur Begrüßung. Kate, Charlotte und Cooper setzten sich weiter nach hinten, genauer gesagt setzten sie sich zu Leon in die Reihe. Denn selbst ihn hatte Elaine natürlich eingeladen.
Kurz bevor die Beerdigung beginnen sollte, schlüpften noch drei weitere Besucher hinein. Diese blieben aber von den Meisten unbemerkt und die Personen, die es bemerkt hatten, kannten sie nicht. Schnell suchten sie sich einen Platz weiter hinten. Die Reihen waren gefüllt und dies war ganz nach Elaines Willen. Es hättte sie erfreut gesehen, wie viele zu ihrer Feier gekommen waren.
Dann begann der Pastor zu sprechen. Er sprach nicht das übliche, sondern Worte, die er zu dem jungen Mädchen sagen konnte. Vielleicht hatte er sie nicht so gut gekannt, wie andere, aber dennoch gut genug, dass er wusste, wie sie war. In den letzten Wochen ihres Lebens hatte sie einigermaßen viel Zeit mit ihm verbracht und so hatte er sie relativ gut kennen gelernt.
Dann waren die Reden der Freunde und Familie dran. Zu allererst sprach ihr Vater. Mitten in seiner Ansprache musste er aber eine Pause machen, da er vor Tränen nicht mehr weiterspreche konnte. Insgesamt hatte man das Gefühl, dass er eher mit Elaine als über sie sprach. Als nächstes war Emma und an der Reihe.
Sie erzählte von den Erfahrungen und Unternehmungen, die sie mit ihrer besten Freundin unternommen hatte. Auch sie weinte, während sie sprach. Dennoch wirkte sie irgendwie glücklich, wie sie dort vorne stand und so viel schönes berichten konnte.
Auf die Rede von Emma folgte die Rede ihres Bruders. Er sagte nicht viel. Doch seine Worte waren dennoch perfekt. "Ich werde dich nie vergessen, Schwesterherz und ganz wie du es gewünscht habe, habe ich deine Bilder in eine Diashow verwandelt. Darf ich vorstellen, der Grund, weswegen meine geliebte Schwester ihr Leben nicht verschwendet, sondern geliebt hat."
Bevor die Diashow begann, trat Mia auf die Bühne und stellte sich neben ihren Bruder.
"Auch ich habe deine Bitte erfüllt. Du hast gesagt, dass du mich liebst, wie ich bin, dass du mich immer geliebt hast, auch wenn wir so unterschiedlich sind, und dass du mich immer lieben wirst. Glaub mir, Elaine, auch ich werde dich immer lieben. Deswegen war es eine Ehre für mich, dass du mich um diese Kleinigkeit geben hast. Noch immer habe ich keine Ahnung, wie du davon Wind bekommen hast, dass ich Lieder schreibe. Aber du hattest eine fantastische Idee und ich danke dir dafür. Selbst nach deinem Tod hast du mir damit geholfen. So dann fange ich mal an, Josh du darfst nun die Diashow starten. Elaine, dieses Lied widme ich dir."
Gleichzeitig mit dem ersten Bild begann Mia an zu singen. Fast musste Raphael beginnen zu lachen, als er realisierte, dass Elaine selbst dafür gesorgt hatte, dass sich auch dieser Wunsch erfüllte. Sanft klang Mias Stimme durch den Raum. Die Bilder im Hintergrund zeigten viele schöne Erinnerungen aus dem letzten Jahr.
Nach der Diashow war dann schlussendlich Raphael an der Reihe. Sein Schwiegervater hatte es schon lange nicht mehr geschafft seine Tränen zurück zu halten. Hemmungslos liefen die Tränen über sein Gesicht.
Vorne am Mikrophon räusperte sich Raphael einmal. Dann begann er mit seiner Rede. "Es ist nun fast auf den Tag genau ein Jahr her, dass ich Elaine kennen gelernt habe. Ich weiß noch genau, weswegen ich sie damals angesprochen habe. Mein Kurs hatte Entfall und in der Mensa fand ich keinen meiner Freunde auf. Dann fiel damals mein Blick auf ein braunhaariges Mädchen, welches vertieft in ein Notizbuch war. Plötzlich schlug sie ihren Kopf auf den Tisch und ich fragte mich, wer sie war. Also lief ich zu ihr und sprach sie an. Noch heute danke ich mir selbst dafür, dass ich es getan habe, denn seien wir alle mal ehrlich. Es ist eine Schande, wenn man Elaine nicht kennen gelernt hat. In den darauffolgenden Wochen begann ich sie kennen zu lernen. Irgendwie hatte sie meine Interesse geweckt und gleichzeitig hatte meine Neugierde veranlasst, dass ich ihr helfen musste. Eigentlich dachte ich, dass es meine Aufgabe war ihr bei nur neunzig Wünschen zu helfen. Heute bin ich dabei ihre letzten Wünsche der Neunundneunzig zu erfüllen. Vielleicht wissen es viele von Ihnen schon, doch im Geheimen ist Elaine heute unter uns. Natürlich kann man sagen, dass sie dort in diesem Sarg liegt, aber das stimmt nicht. Sie ist hier zu finden. In jeder Rede, in jeder Blume und in jeder Person. Denn diese Feier gehört ihr. Es ist ihre Handschrift und ihre Art und Weise uns 'Auf Wiedersehen!' zu sagen. Nun rede und rede ich, dabei wusste ich bis vor ein paar Minuten noch gar nicht, was ich sagen könnte. Elaine kannte mich und so hat sie mir eigentlich verboten eine Rede zu halten. Sprechen sollte ich trotzdem. Aber dabei soll ich ihre Worte sagen."
Noch einmal räusperte er sich und blickte neben sich zu dem Sarg.
"Dann fang ich mal an: Wie eine weise Person schon einmal gesagt hat. Es gibt unendlich viele Zahlen zwischen 0 und 1. Damit zitiere ich jetzt übrigens gerade die Grabrede von Hazel Grace aus 'Das Schicksal ist ein mieser Verräter'. Seitdem ich selbst ihr Schicksal teilweise teile, liebe ich diese Geschichte noch mehr, als ich vorher getan habe. Vielleicht hatte ich nur die Unendlichkeit zwischen 0 und 1, doch selbst dafür kann man dankbar sein. Ihr solltet wissen, dass jeder Mensch in jedem Moment eine Wahl treffen muss. Vor genau einem Jahr habe ich die wohl schwerste Wahl meines Lebens getroffen. Ich habe mich dafür entschieden meine Unendlichkeit bei eins zu beenden. Das ist kein Grund traurig zu sein. Meine Unendlichkeit war perfekt. Ich habe mein Leben geliebt. Wahrscheinlich hätte ich es nicht so sehr geliebt, wenn ich nicht meinen Augustus getroffen hätte. Dafür danke ich sogar Gott. Übrigens er ist es auch gerade, der euch dieses Brief vorliest. Dies war übrigens nicht der letzte Brief den ich geschrieben habe. Aber auch nicht der erste. Mehreren von euch habe ich einen geschickt. Dieser ist aber der Letzte, den ihr bekommen werdet. Hiermit verabschiede ich mich von euch. In den letzten Tage solltet ihr eigentlich schon alles erledigt haben, was nach meinem Tod notwendig war. Ihr habt mein Testament vorgelesen bekommen, ihr habt eure Reden geschrieben und ihr seid hier her gekommen. Gerade eben habt ihr ein paar Bilder aus meinem letzten Lebensjahr gesehen. Ich habe viel erlebt in den 365 Tagen. Ein weiterer Grund, weswegen meine Wahl nicht traurig ist. Denn ich habe gelebt. Eine Unendlichkeit lang habe ich gelebt und ich bin dankbar dafür, dass ich in meinem Bereich zwischen 0 und 1 meine Zeit mit euch verbringen konnte. Jetzt bitte ich euch noch um eins. Lebt eure Unendlichkeit, genau wie ich es getan habe!"
Als Raphael den Brief zusammen faltete, fiel eine Träne auf den Boden hinab. Der gesamte Raum war still. Man hätte wohl eine Feder fallen hören können.
Dies war die letzte Rede der Beerdigung. Raphael lief zurück auf seinen Platz und in einem Trauerzug wurde der Sarg von Elaine aus der Kapelle hinaus getragen. Auf dem Friedhof fand sich schon ein tiefes Loch.
In dieses wurde der Sarg hinein gelassen. Die Trauernden versammelten sich um das noch offene Grab. Nach und nach trat jeder Besucher an das Grab heran und warf ein bisschen Erde und auch Blumen über das Holz. Zum Schluss wurde das Grab vollständig mit Erde bedeckt und die Gemeinschaft löste sich langsam auf. Nur ein paar wenige blieben noch.
Unter ihnen war auch Raphael. Doch auch ihre Tante, ihr Vater, Josh und Mia konnten sich noch nicht von dem Grab loseisen. Zu fünft standen sie vor dem Grab von Elaine.
Doch noch eine weitere Person in einem schwarzen Kleid blieb in der Nähe. Noch traute sie sich nicht zu der Familie rüber zu gehen.
Sie schaute auf den kleinen Setzling in ihrer Hand. Elaine hatte auch ihr in ihrem Brief eine Aufgabe zukommen lassen. Tief atmete sie durch und schritt auf die Fünf zu. Vorsichtig drückte sie sich zwischen Robert Engel und seiner Schwester Dora Engel vorbei. Schnell hockte sie sich hin und sanft planzte sie den kleinen Setzling ein. Es war ein Setzling zu einem Kirschbaum, genau wie Elaine es sich gewünscht hatte.
In diesem Baum wollte sie weiter leben und so würde sie es auf ihre Art und Weise schaffen unsterblich zu werden.
Dann erst stand die Frau in Schwarz wieder auf und blickte in die Gesichter der Familie. In allen Gesichtern spiegelte sich das Erkennen wieder, aber auch der Unglaube. Langsam ging sie den letzten Schritt auf Josh zu und schloss ihn in ihre Arme. Danach umarmte sie auch Mia und zum Schluss folgte der Vater der beiden. "Ich bin wieder zurück und da ich dies wohl unserer Tochter schulde, bleibe ich dieses Mal auch hier."
Die Familie Engel war wieder vereint und zumindest irgendwie war die Welt wieder in Ordnung.
Elaine war auf jeden Fall zufrieden, dass sie es geschafft hatte, ihr "Auf Wiedersehen" so umzusetzten, wie sie es sich vor einem Jahr vorstellte. Wie viel man doch in 356 Tagen, 8 544 Stunden, 512 640 Minuten oder auch 30 758 400 Sekunden erreichen konnte.
Da fragt man sich doch, was man in einem längeren Leben alles erleben kann. Mindestens seine eigenen, neunundneunzig, letzten Wünsche sollten doch erfüllbar sein.
~Ende
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How I would like to say Goodbye
General Fiction1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...
