VIERUNDVIERZIG oder wie Elaine einen Meilenstein hinter sich brachte

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Nicht nur die Schule begann für die Schüler einen Tag später, für die Abiturienten begann nun auch die Klausurphase der Abiturklausuren. Nur ein paar Tage nach dem Ende der Osterferien stand für Elaine und ihre Freunde die Deutschklausur auf dem Plan. Die Anspannung unter den Zwölftklässlern war zum Zerreißen gespannt. Jeder von ihnen wusste, wie viel für ihn auf dem Spiel stand.
Manche der Schüler schienen gar nicht mehr still sitzen zu können auf ihren Plätzen in der Aula. Aber auch Elaine war nicht weniger ängstlich, auch wenn für sie eigentlich nur die Note am Ende eine persönliche Bedeutung hatte und für sie auch nicht für ihren Studienplatz oder ihren künftigen Arbeitsplatz auch nur irgendeine Bedeutung hatte. Ihre einzige Arbeitsstelle würde für immer das kleine Café in der Innenstadt von Hannover sein.
Dennoch wollte Elaine sich selbst wohl einfach zeigen, dass niemand und nichts sie daran hindert normal zu sein und das zu erreichen, was sie sich normalerweise vorgenommen hätte. Nicht selten hatten ihre Freunde schon gefragt, was denn nun ihr Plan nach dem Abitur wäre.
Jeder in ihrem Umfeld meinte dann zu ihr, dass es nicht verantwortbar war, dass ihr einziger Plan eine lange Amerika Reise war. Dabei brauchte sie gar keinen Plan.
Die Reise würde während den Semesterferien der Universitäten verlaufen, sodass Raphael nach dem Urlaub dennoch wie von ihm geplant beginnen kann zu studieren. Es lag sowas von nicht in ihren Wünschen, dass er seine Lebensplanung und damit seine Zukunft für sie soweit veränderte. Ihre letzten Wochen würde sie ihren Lieben und in Ruhe verbringen. Bis dahin müsste sie sich langsam auch an ihr Testament und alles, was zu einem Tode nun einmal dazu gehörte kümmern.
Denn sie würde nicht zulassen, dass ihre Freunde oder ihre Familie ihren Plan umwerfen würden. Sie selbst wollte ihre Beerdigung planen, gestalten und am liebsten miterleben, irgendwie auch wenn sie schon tot war.
Wenn man sich schon dazu entschied zu sterben, sollte man es auch richtig machen. Zumindest war sie selbst dieser Meinung.
Doch diese Sachen mussten noch ein bisschen warten. Erst einmal standen ihre Prüfungen im Vordergrund.
Die Erste davon meinte sie sogar ziemlich gut geschafft zu haben. Es war bestimmt nicht eine vollkommene Glanzleistung und die beste Analyse der Stufe, aber dies wollte sie schließlich auch gar nicht. Nun blieben nur noch zwei Klausuren übrig und dann gab es nur noch ihre mündliche Prüfung, vor der sie eigentlich am meisten Angst hatte. Sie war in den meisten Fächern nicht wirklich schlecht, die einzigen Probleme sich für die Themen zu begeistern hatte sie in genau zwei Fächern. Religion und Geschichte, doch eines der beiden mussten sie in ihr Abitur mit rein nehmen und so hatte sie sich für Geschichte entschieden.
Ihre anderen vorherigen Auswahlmöglichkeiten hatte sie schon zu Beginn der Oberstufe abgewählt. Somit hatte sie sich halt zu Beginn des Jahres zwischen der Pest und Cholera entscheiden müssen.
Die Zeit zwischen den schriftlichen Prüfungen verlor sich schnell. Nun war stand schon Englisch vor der Tür und mit einem letzten Mal tief einatmen schritt sie zum vorletzten Mal für eine Abiturklausur durch die Tür der Aula.
Sie suchte sich einen Platz irgendwo in der Mitte. Bevor sie sich hinsetzte gab sie ihr Handy vorne ab und packte dann ihre Stifte und ihre Blätter heraus. Bis die Klausur beginnen würde, blieb ihr noch ein kleines bisschen Zeit und so las sie sich noch ein letztes Mal ihre Notizen durch. Um Punkt acht verschwanden diese wieder in ihrer Tasche und die Anspannung kroch durch ihre Adern. Sie entschied sich für eines der drei Themen und begann ihre letzte Klausur.
Das Thema gefiel ihr irgendwie. Den amerikanischen Traum hatte sie schon als Themenbereich in der ersten Qualifikationsphase gemocht. So hatte sie vom Beginn an keine großen Probleme mit dem Schreiben. Ihr Stift flog über das Papier und Wort für Wort füllte sie ihre Seiten.
Die Zeit verflog mit jedem Satz. Immer wieder blickte sie zur Uhr und hoffte, dass die vier Stunden ausreichen würden.
Schlussendlich reichten sie gut aus. Am Ende hatte sie sogar die Zeit sich ihren ganzen Aufsatz noch einmal durchzulesen. Damit hatte sie es besser, als sowohl Leah und Raphael, welche wirklich bis zur letzten Sekunde noch geschrieben hatten, wie sie zehn Minuten später von ihnen erfuhr. Emma hatte ihre Zeit auch relativ gut eingeteilt, denn auch sie hatte irgendwie es noch geschafft ihre Klausur wenigstens noch einmal überfliegen zu können. Alle drei waren der Meinung, dass die Aufgabenstellungen ziemlich gut gestellt waren und man leicht viel zu ihnen schreiben konnte.
Als sie durch die Eingangstür liefen schrie Leah einmal ganz laut: „Wir sind frei!"
Damit brachte sie ihre Mitschüler um sich herum zum Lachen. Die Schwarzhaarige lachte aber wohl dennoch am lautesten, zumindest solange bis Emma sie an die mündliche Prüfung wieder erinnerte. Dies dämpfte ihre Laune umso einiges.
Fröhlich verabschiedeten sich Raphael und Elaine sich von den beiden verrückten Mädchen und machten sich auf zu Elaine nach Hause. Sie hatten sich schon am Sonntag in den Ferien vorgenommen ihre Nachmittage zusammen mit einer für Elaine ziemlich wichtigen Sache zu widmen.
Die Suche nach ihrer verschwundenen Mutter stellte sich nämlich schnell als alles andere als einfach heraus. Ihr Vater hatte die meisten Erinnerungen an sie entweder verbrannt oder anderweitig vernichtet.
Doch wozu lebten sie im einundzwanzigsten Jahrhundert, wenn sie nicht im Internet mehr über die blonde Frau, welche Elaine und ihre Geschwister zur Welt gebracht hatte, herausfanden. Das erste Problem ergab sich dabei, dass sie scheinbar wieder ihren Mädchennamen angenommen hatte nach der Scheidung und somit nicht mehr Engel mit Nachnamen hieß, wie Elaine jahrelang gedacht hatte. Also musste sie ihre Tante fragen, wie ihre Mutter denn nun hieß. So hörte Elaine zum ersten Mal in ihrem Leben den Namen Natalie Fischer. Für sie war ihre Mutter immer Nelli gewesen.
Der richtige Name brachte sie aber schon ein ganzes Stück wieder weiter. Denn nun hatten sie zumindest einen alten Facebookaccount von ihrer Mutter oder zumindest von fünf blonden Natalie Fischers, wo einer dieser Accounts ein Bild von einer Frau in Laatzen zeigte. Dies war dann also ihre Mutter. Bei genauerem Betrachten erkannte sie das Gesicht ihrer Mutter wieder und sie war unheimlich froh, dass sie nun zumindest mal wieder ein klares Bild von ihr in ihren Gedanken hervorrufen konnte.
Auch das fragende Gesicht, welches Raphael immer trug, sobald sie auf diesen Wunsch ihrer Liste zu sprechen kamen, schaffte sie ausnahmsweise vollkommen zu ignorieren. Sie fühlte sich so, als hätte sie endlich einen Meilensteil geschafft und das fühlte sich fantastisch an.

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt