SECHSUNDZWANZIG oder wie Elaine bemerkt, dass sie zu viel getrunken hatte

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Als sie am nächsten Morgen aufwachte, wurde Elaine erstmal von einem stechenden Gefühl in ihrem Kopf begrüßt. Schmerzerfüllt kniff sie ihre Augen wieder zu. Was war in der letzten Nacht denn nochmal alles passiert? Diese Frage zu beantworten war nicht ganz so einfach, denn nach dem Kuss war alles ein bisschen verschwommen und insgesamt einfach nur verwirrend. Zumindest für sie war es das. Plötzlich klopfte es an ihrer Zimmertür und Emma schaute durch die Tür hinein. Sie trug ein Tablett mit einem Wasserglas und etwas zum Essen in ihr Zimmer. Dies hatte das Mädchen nämlich in den letzten Minuten festgestellt.
Freundlich lächelnd setzte ihre Freundin sich neben sie und leitete sie an das Wasser und die Asperin, die daneben lag zu schlucken. Danach hockten sich die beiden nebeneinander und frühstückten gemeinsam. Neben Elaines Teller lag ein gefalteter Zettel und ein Briefumschlag, welche sie erst nach dem Essen bemerkte.
"Was ist das?"
"Das weiß ich nicht so genau. Aber das hat mir Raphael gestern für dich in die Hand gedrückt. Der Briefumschlag ist wohl dein Geschenk. Was auf dem Zettel steht, kann ich dir aber nicht sagen."
Gespannt schaute ihr ihre Freudin über die Schulter, während sie zuerst den Briefumschlag öffnete. Zum Vorschein kamen zwei Tickets, genauer gesagt zwei Flugtickets nach Australien. Durch ihre Recherchen im Internet wusste sie, wie teuer die beiden Tickets gewesen sein mussten und deswegen erschrak sie umso mehr, denn dieses Geschenk konnte sie umöglich annehmen. Doch auch Emma schien mehr als verwundert über dieses Geschenk. Nur lachte sie danach und diese Reaktion verwunderte ihre Freundin noch viel mehr.
"Das glaub ich nicht. Er schenkt dir einfach so einen Flug nach Australien und ich muss mich für diese Reise abrackern wie sonst was. Wie fies ist das denn?!" regte sie sich auf, nachdem sie sich einigermaßen erholt hatte.
Nun musste auch Elaine etwas schmunzeln. Aber ihre Neugierde verhinderte, dass sie sich zu sehr ablenken ließ. Hinter den zwei Flugtickets steckte noch eine kleine Nachricht. "Liebe Elaine, ich weiß, dass du jetzt wahrscheinlich am Überlegen bist, ob du dieses Geschenk überhaupt annehmen kannst. Nur damit du es weißt, das kannst du auf jeden Fall. Ich habe das Geld genau dafür verdient und deswegen werde ich es dir nicht erlauben, dass du mein Geschenk nicht annimmst. Das zweite Ticket ist übrigens für mich... Alles Gute zum 18. Geburtstag wünscht dir Raphael."
Es war nicht viel und doch brachte diese Nachricht ein Lachen über ihre Lippen. Während sie also lachend auf Emmas Bett lag, faltete diese den Zettel auseinander.
In der Zeit, in der sie anfing den Text sich durchzulesen, bekam sie eine kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen. Verwirrt überreichte sie ihrer Freundin den Zettel.

4. Geküsst werden ✔
6. Mit einem Jungen tanzen ✔
10. schon zwei Partys besucht (sind mehrere) ✔
12. Betrunken sein ✔
14. Eine Nacht durchmachen (warst bis sechs Uhr wach, das zählt wohl) ✔
20. Papas Regeln wiedersetzen ✔
55. Erwachsen werden✔
62. Auf High Heels laufen können ✔
69: Aus dem Kirchenchor austreten (SMS an Chorleiter sollte doch reichen) ✔

PS: Das ist nur falls du dich nicht vollständig an gestern erinnern kannst... Ich hab von allem ein Beweisvideo, also kannst du mir das alles glauben.

Er hatte Recht, sie konnte sich nicht einmal an die Hälfte der Sachen, die sie getan haben soll erinnern, aber scheinbar stimmte es.
"Meine Güte, was ist gestern nach dem Flaschendrehen passiert, Emma!"
"Scheinbar ziemlich viel." sie lachte los und erklärte dann, dass sie sich auch nur noch daran erinnern kann, dass sie gesehen hatte, wie Raphael und sie sich geküsst hätte. Alles danach, meinte Emma, wäre dem Filmriss zum Opfer gefallen. Irgendwie fanden es die beiden sehr lustig, dass sie sich beide an nicht mehr erinner konnten. Doch ihre gute Laune wurde von Elaines Handy unterbrochen. Es war ihr Vater, der sich fragte, wo sie denn bliebe. Schnell machte sie sich fertig und hechtete danach nach Hause. Dort wurde sie auch schon von ihrem Vater begrüßt, der alles andere als glücklich aussah.
Nur schien er durch ihre verkürtzte Lebenszeit Nachsicht mit ihr zu haben und verbannte sie nur für das Wochenende ins Haus.
Den restlichen Tag verbrachte sie in ihrem Bett, doch am Sonntag hatte sie ihren Kater besiegt und langweilte sich.
Dadurch, dass sie nun nichts zu tun hatte, entschloss sie sich dazu etwas zu kochen. Dann schaute sie sich aber ihre Wünsche an und fand eine bessere Idee.
Sie würde etwas backen und zwar nicht nur irgendetwas, sondern den Plaumenkuchen ihrer Mutter. Dafür musste sie nur zu aller erst das Rezept wiederfinden. In ihren Erinnerungen wühlend schaute sie durch alle Rezeptbücher, die das Haus der Familie Engel hergab. In dem allerletzten und am besten verstecktesten Büchlein wurde sie schließlich fündig. Direkt, als sie das Buch gesehen hatte, wusste sie, dass es das richtige war.
Es war zwar klein aber handgeschrieben und das einzige handgeschriebene Buch war das ihrer Mutter gewesen. Ihre Tante hatte über die Jahre zwar auch Rezepte gesammelt, doch ihre waren allesamt ausgedruckte Exemplare und ihr Vater kaufte höchstens Kochbücher. Nur ihre Mutter hatte stets alle Rezepte in dieses Büchlein geschrieben.
Der Pflaumenkuchen wurde sogar durch ein Lesezeichen gekennzeichnet und war somit sehr leicht wiederzufinden. Leider viel ihr auf, dass sie nicht einmal die Hälfte der Zutaten für den Kuchen Zuhause hatten, obwohl sie erleichtert feststellte, dass sie immernoch mehrere Tüten Pflaumen eingefroren hatte. Früher hatten sie das ganze Jahr lang immer so viele Pflaumen besessen, doch ihr war nie bewusst gewesen, dass ihr Vater es immer noch so handhabte. Glücklich schickte sie Mia zum Einkaufen und begann einfach schon einmal mit den vorhandenen Zutaten.
Als Mia zurückkehrte bot Elaine ihr an mitzuhelfen und Mia nahm das Angebot an. Zwar wusste sie nicht, welche Bedeutung dieser Pflaumenkuchen für die Familie Engel hatte, dennoch machte es den beiden Schwestern viel Spaß mal wieder etwas zusammen zu machen. Das Ergebnis der beiden ließ sich auch eindeutig sehen lassen. Doch weder ihr Vater noch Josh wollten etwas von dem Kuchen probieren. Diese Tatsache stimmte Elaine traurig, denn eigentlich hatte sie sich durch den Kuchen etwas anderes erhofft. Sie wollte selbst damit abschließen, denn dieser Pflaumenkuchen war der Erste, den sie seit dem Tag jemals gegessen hatte und für sie war es ein Abschluss mit der letzten Trauer, die sie mit ihrer Mutter verband.

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt