Wie Elaine nach kurzer Zeit herausfand, ging es in diesem Spiel darum nach und nach etwas zu sagen, was man noch nicht gemacht hatte. Danach trank jeder, der diese Sache schon einmal getan hatte einen Schluck aus seinem roten Becher. Wie sich herausgestellt hatte, hatte sie selbst nur sehr wenig von dem getan, was die anderen nannten.
"Ich hab' noch nie ein Date fluchtartig verlassen, weil mir der andere überhaupt nicht gefallen hat." meinte Leah und Emma trank direkt einen großen Schluck und auch Niklas trank etwas.
Fragend schaute sie Emma tief in die Augen. Sie formte mit ihrem Mund ein 'Später' und vertröstete sie somit auf ein Gespräch.
Danach war Raphael dran. Er schaute Elaine an und sprach etwas aus, worauf sie einen trinken musste, aber kein anderer im ganzen Raum. "Ich hab' noch nie einen Freund gehabt, der krebskrank ist."
Alle schauten sie Raphael verstört an und als Elaine dann zweimal etwas trank, wurde auch sie komisch angeschaut. Doch auf Emmas Blick hin zuckte sie nur mit ihren Schultern.
Das größere Problem war eher, das nun sie dran war und sie war die Letzte der Runde. Was danach kommen würde wusste sie nicht. Wahrscheinlich würden sie genau noch eine Runde spielen, doch wirklich Lust hatte sie darauf auch nicht.
"Los, sag was!" Niklas stupste sie an.
"Ich habe noch nie daran gedacht, wo ich in fünfzig Jahren sein werde und wusste es nicht genau."
Vielleicht war es nicht die typische Aussage, aber es war das Erste, was ihr eingefallen war. Es könnte sein, dass jetzt jeder von ihr dachte, dass sie ein Mädchen war, dass schon ihr ganzes Leben durchgeplant hatte. Doch das war ihr egal. Sie wusste genau, wo sie in fünfzig Jahren sein würde. Sie würde vergraben sein, unter der Erde und hoffentlich hatten sich ihr Vater und ihre Geschwister an ihre Anweisungen gehalten. Denn dann würde über ihr ein Kirschbaum gewachsen sein.
Vorher, vor der Diagnose, war sie dieses durchgeplante Mädchen gewesen. Sie hatte genau gewusst, dass sie in fünfzig Jahren in einem schönen nicht zu großen Haus als Ehefrau eines süßen Kerls mit drei Kindern leben und dazu würde sie als Uniprofessorin arbeiten. Sie hatte sich über die Jahre zur Uniprofessorin hochgearbeitet, zu Beginn wollte sie noch Grundschullehrerin werden, dann wollte sie an einem Gymnasium arbeiten und schlisßlich war sie auf Uniprofessorin gekommen.
Doch nun hatte sich das Blatt gewendet. Sie würde sterben und sie würde wohl sagen, dass sie noch nicht wirklich mit dem Thema Ruhe gefunden hatte. Aber dies war auch wirklich nicht ganz so einfach. Immerhin ging es um ihren eigenen Tod und mit achtzehn zu wissen, wann man stirbt, war nicht unbedingt die Sache, die man wissen wollte.
Wie sich heraus stellte, hatte fast keiner aus der Runde mehr Lust auf das Spiel Ich hab' noch nie und somit entschieden sie sich zu Flaschendrehen. Die Regeln waren einfach und selbst Elaine kannte sie.
Einer dreht die Flasche und dies zweimal, danach küssen sich die Beiden, auf die die Flasche gezeigt hatte.
Wie gesagt leicht, solange man nicht dabei seinen ersten Kuss verliert und dies würde wohl oder über in der nächsten Zeit passieren. Scheinbar war genau diese Tatsache Raphael auch aufgefallen, doch da war es längst schon viel zu spät. Denn da zeigte direkt beim ersten Flaschendrehen die Flasche auf sie. Nun war noch nicht entschieden, wen sie küssen musste.
Ein Junge, den sie nicht mit Namen kannte, nahm die Flasche ein zweites Mal in die Hand. Elaines Blick fixierte sich ganz starr auf das Gefäß der Hölle und wartete ab. Sie beobachtete, wie der Junge die Flasche auf den Boden legte, die Hände sich zum Drehen bereit machte und schließlich losließ. Alle im Raum verfolgten mit ihren Augen die drehende Flasche, wie sie langsamer wurde und schlussendlich anhielt.
Scheinbar hatte Gott Gnade mit ihr und ließ ihr noch etwas Zeit um ihren ersten, perfekten Kuss zu haben. Denn sie hielt direkt vor Emma und ein Kuss mit der vermeitlich zukünftigen besten Freundin zählte nun wirklich nicht. Schnell krabbelte Emma zu ihr rüber und nach nicht mal fünf Sekunden war es auch schon wieder vorbei.
So ging es noch lange so weiter. Immer wenn die Flasche kurz vor ihr langsamer wurde hielt sie die Luft an, aber sie hatte durchgängig Glück und somit stoppte die Flasche nicht mehr vor ihr.
Das Spiel war eindeutig lustiger als das davor. Es wurde später und ihr Becher wurde leerer, aber auch wieder nachgefüllt.
Die Leute lachten viel und so spektakulärer der Kuss aussah, desto lauter war der Beifall.
Nur war es wirklich interessant, aber tief in ihr drinnen erhoffte sie sich darauf heute keinen Kuss zu bekommen.
Dann zeigte die Flasche auf Raphael. Ihr Herz klopfte auf einmal schneller und die Vorstellung ihn gleich dabei zusehen zu müssen, wie er eine Andere küsste, tat einfach nur weh in ihrem Herzen. Doch dann war das Schicksal gefallen und die Flasche zeigte auf... sie.
Nun schlug ihr Herz noch höher. Raphael schaute ihr in die Augen und nahm ihre Hand. Dann zog er sie auf die Beine und führte sie aus dem Zimmer. Auf den Protest der Anderen hörte er ganr nicht, sondern lief unbeirrt weiter.
Ihr Weg führte sie in den Garten in eine geschützte Ecke. Dennoch konnte man Emma und den Rest durch ein Fenster sehen, was bedeutete, dass sie auch gesehen wurden. Nur störte sie dies nicht, denn in diesem Moment zählten nur Raphael und sie.
Ihr Kopf legte sich in den Nacken und ihre Augen verlieren sich in seinen Augen.
Er legte seine Hand in ihren Nacken und zog sie näher zu sich heran. Ihre Lider schlossen sich und dann legten sich seine Lippen auf ihre. Es war kein besonders langer Kuss, aber dennoch war er wunderschön. So schön sanft und einfach perfekt.
Als er sich langsam wieder zurück zog, ließ er ihre Hände dennoch nicht los. Irgendwie war er für sie so gut wie perfekt. Auch wenn ihr Traum wohl ein Kuss während des Sonnenunterganges war und der Rest sollte aber genau so sein, wie in diesem Moment.
Doch der erste Kuss war nie so wie man sich ihn vorstellte, dennoch findet jeder seinen Kuss auf seine Art und Weise perfekt. So war es auch mit ihrem.
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How I would like to say Goodbye
General Fiction1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...
