Der Freitag kam und zum ersten Mal nach Wochen wachte Elaine nicht wie gewohnt in ihrem Bett in Hannover auf. Um sie herum war alles weiß. Die Bettdecke war weiß, die Wände waren weiß und der einzige Grund, weswegen sie sich noch Wohl fühlte war die Tatsache, dass Raphael dennoch neben ihr lag. Glücklich lächelnd kuschelte sie sich näher an ihren Liebsten ran. Seine Hände hielten sie am Bauch fest. Ein Blick auf ihr Handy zeigte ihr, wie spät es eigentlich schon war. Sie waren erst spät in der Nacht in der Schweiz angekommen. In der Wohnung von DIGNITAS kamen sie unter und schliefen zumindest danach direkt ein.
Die Sonne schien durch das große Fenster auf das Bett und langsam fragte sie sich, ob ihr geliebter Begleiter nicht allein von der Sonne wie sie geweckt würde. Aber gleichzeitig kannte sie die Antwort. Nur eine andere Person oder ein Wecker konnten die Schlafmütze frühzeitig aus seinem Schlaf reißen. Wenn man ihn nicht weckte, dann schlief er solange, bis sein Körper sich selbst zum Aufwachen zwang und ihm damit sagte, dass er nun genug Energie für den Tag hatte. Dies konnte aber auch erst nach zwölf Stunden geschehen und so machte Elaine sich daran ihren Mann möglichst freundlich und liebevoll zu wecken. Zu Not würde sie auch noch auf die Wassereinmer Methode zurückgreifen, doch das war wirklich nur die allerletzte Möglichkeit.
In einer halben Stunde würde ihre Familie ankommen und dann würde es beginnen.
Vorsichtig strich sie über das Datum auf ihrer Haut. Sie war sich nicht sicher, ob sie traurig oder froh sein sollte, dass es nun soweit war.
Auf der einen Seite sagte sie sich, dass es endlich der zwanzigste war und auf der anderen Seite dachte sie, dass dies schon ihr letzter Tag in ihrem Leben war.
Zumindest war es ein schöner Tag. Die Sonne schien und es schien so, als würde der Sommer noch einmal seine letzten Reserven auskosten, um den Tag warm und sommerlich zu gestalten.
Sie stand auf und ihr erster Weg führte sie zu ihrem Spiegel. Ihr Körper hatte sich verändert. Sie war viel dünner geworden. Noch vor einem Jahr hätte sie sich über diese Tatsache gefreut, denn dann hätte sie einfach so ihr Traumgewicht und ihren Traumkörper erlangt. Nun war dies nichts mehr, worüber sie sich wirklich freuen konnte, denn ihr Körper kam allein von ihren Medikamenten.
Gleichzeitig war heute das erste Mal, dass sie gerne ihr verändertes Spiegelbild betrachtete. Zumindest würde sie in ihrem Traumkörper sterben, sagte sie sich und griff nach dem einem Kleid. Dieses hatte sie in einem Laden in Los Angeles gekauft. Genau für diesen Tag. Denn sterben war nicht einfach, zumindest wenn man es plante und die Theorie außer Acht ließ. Elaine hatte lange auf diesen Tag hingearbeitet. Jeder Schritt von ihr war bis ins kleinste Detail geplant. Sozusagen war dieser Tag sowie ein Hochzeitstag für andere Frauen.
Als erstes zog sie sich das dunkelblaue Kleid über. Der Stoff passte sich ihrem Körper perfekt an und leicht ließ sich der Reißverschluss hinten nach oben ziehen. Die zwei kleinen Cutouts an der Seite zeigten ihre leicht gebräunte Haus. Gleichzeitig gaben sie dem Kleid neben seinem leichten Blumenmuster das gewisse Etwas. Aber das Beste an den Ausschnitten war, dass der eine ihr Tattoo zeigte. Man würde auch im Grab noch verstehen, dass sie es so gewollt hatte. Jeder Gast der Trauerfeier sollte ihren Handschrift erkennen. Dieses Tattoo und dieses Kleid waren ein Teil ihrer Planung. Jede Blume, welche ihre Beerdigung schlücken würde, war auf das Muster des Kleides abgestimmt.
Dies war ihr Tag und die Beerdigung würde die Krönung des Jahres sein, sozusagen die Kirsche auf der Torte. In ihrem Koffer, den sie mitgenommen hatte, war neben dem Kleid nur doch Schmuck und Schminke zu finden. Heute brauchte sie ihre Medikamente seit Monaten zum ersten Mal nicht nehmen. Sie konnte sich direkt fein die Kosmetikprodunkte auf die Haut schmieren, ihre Augenbrauen nachziehen, den Lidschatten auf ihr Augenlid verteilen und sich ihre Wimperntuschen. Ein feiner Lipgloss trug sie noch auf ihren Mund auf und mit einem Kussmund betrachtete sie ihr Werk.
Die feine silberne Kette um ihren Hals war kühl und passte zu ihren Ohringen. Noch immer schimmerten ihre Haare in den Spitzen bläulich, doch das zweite Färben hatte ihren Haaren nach Monaten des Blaues wieder einen natürlichen Braunton verpasst. Allein ihre Spitzen waren geblieben, wie sie waren und so trug sie schon sein Monaten stolz ihren Ombrelook. Die Pierings im Ohr waren zur Feier des Tages gegen Neue ausgetaucht worden und auch diese waren auf den Rest des Schmuckes abgestimmt. Nur ihr Bauchnabelpiercing war nicht neu. Als letztes legte sie ein paar Armbänder um ihr rechtes Handgelenk. Diese waren eine Kombination aus silbernen und goldenen Bändern, sodass auch ihr Ehering zum restlichen Schmuck irgendwie passte.
Noch nie hatte sich Elaine solch eine Mühe mit ihrem Aussehen gegeben. Allein die Haare ließ sie fast so, wie sie waren, mit der kleinen Ausnahme, dass sie die vorderen Stänen hinten mit einer Haarklammer befestigte.
Raphael sah im Vergleich zu ihr eindeutig underdressed aus. Er trug eine einfache Jeans mit einem weißen T-Shirt, aber er war auch nicht der Stern des Tages.
Es klopfte an der Tür und glücklich öffnete Elaine ihrer Familie die Tür. Hinter ihren Besuchern kam auch die DIGNITAS Betreuerin mit in den Raum. Ihre Schwester und ihr Bruder konnten ihren Augen kaum glauben, als sie Elaine in ihrem Aufzug dort stehen sahen. Noch nie hatten sie ihre Schwester so erwachsen erlebt. Insgesamt waren sie schon nicht ganz unüberrascht geswesen, als sie die Einladung nach Zürich bekommen haben. Lange hatte Elaine ihrer Familie ihre Entscheidung erklären und erläutern müssen, doch schlussendlich hattten sie sie verstanden und das war die Hauptsache.
Außerdem waren sie da und dies erfreute die Achtzehnjährige natürlich besonders. Bisher wussten die anderen aber noch nichts weiter über den folgenden Verlauf nach diesem Tag. Ihre Tante hatte Kuchen mitgebracht und den verzehrten sie als erstes. Dann wurde Elaine von der Betreuerin dazu aufgefordert ein Gespräch unter vier Augen zu führen.
Etwas aufgeregt war sie danach schon, denn es war so weit.
Sie öffnete den Behälter und schluchte das Medikament. Wie die Betreuerin es ihr geraten hatte, lag sie schon auf dem Bett.
Ihr Vater saß neben ihr und hinter ihm standen Dora, Josh und Mia. Raphael hatte sich im Nebenraum zurück gezogen, um der Familie ein bisschen Zeit unter sich zu geben. Tränen flossen über das Gesicht ihres Vaters und auch in den Augen der anderen fanden sich solche. Nur Elaine lächelte liebevoll ihre Familie an. "Seid doch nicht traurig! Schaut euch doch das Wetter an, wie wunderschön es draußen ist. Es ist nicht eure Schuld. Ich will das hier. Ich will es so. Papa, es tut mir leid, dass ich zu schwach bin. Denn ich habe Angst. Nicht vor dem Tod, ich habe Angst vor den Schmerzen und mit dieser Möglichkeit kann ich sie umgehen, bevor sie zu schlimm werden. Dies ist nicht das Ende, das Jahr ist noch nicht vorbei. Noch ist Oktober und erst nächsten Samstag ist es um."
Ihre Hand umschloss die ihres Vaters und auch die andere Griff nach denen ihrer Geschwister. Langsam wurde sie müder, doch sie war noch nicht fertig. Sie musste sich erst noch von Raphael verabschieden.
Als Raphael durch die Tür trat, hatte sie sich schon von ihrer Familie verabschiedet und nun war es an ihnen den Raum zu verlassen.
Mit einer Handbewegung deutete sie dem jungen Mann an zu ihr zu kommen. Er setzte sich neben sie auf den Stuhl, auf dem eben noch ihr Vater saß.
Seine Worte zu ihr waren geflüstert und doch verstand sie sie nur allzu gut. "Ich liebe dich, mein Engel. Mein Herz gehört nur dir. Ich werde dich vermissen."
Schnell antwortete sie ihm. "Ich liebe dich auch und ich kann sagen, dass alles richtig ist. Wir haben es geschafft Raphael." Sie lachte und holte ihre Liste hervor. Nach und nach hakte sie jeden noch übrig gebliebenen Punkt ab. Zumindest alle außer drei. "Naja, zumindest habe ich es so gut wie schon geschafft. Jetzt liegt es an dir. Noch acht Tage sind übrig. Das sind 192 Stunden, 11 520 Minuten oder auch 691 200 Sekunden. Eindeutig genug Zeit, sodass du auch die letzten drei Punkte abhaken kannst. Das kann ich dir doch überlassen, oder?" unter Tränen nickte er. "Vergiss niemals, dass ich dich liebe. Versprich mir das! Denn es tut mir nicht leid, dass ich es tue. Du hast mir mein Herz gestohlen und ich will das du es behälst. Raphael, du bist die Liebe meines Lebens, meines zugegebenermaßen recht kurzen Lebens. Es gibt viel, was ich gerne ändern würde, doch du gehörst nicht dazu. Ich verdanke dir so viel und ich weiß, dass ich dir das alles niemals zurückgeben kann. Was ich aber machen kann, ist dir dein Herz hiermit zurück zugeben. Dass du mich vermissen wirst, kann ich nicht verändern, denn dazu war ich zu selbstsüchtig. Ich habe dir dein Herz gestohlen und das tut mir leid. Doch wie gesagt, ich gebe es dir nun wieder zurück. Und ich bitte dich, verschenke es wieder. Gebe es an eine Frau weiter, die dich genauso glücklich macht, wie ich es gern getan hätte. Vergiss mich nicht, doch vergiss den Schmerz und die Trauer. Denn mehr wünsche ich mir nicht, ich liebe dich Raphael und da ich dich liebe, lasse ich dich gehen. Genau wie du es jetzt machen musst. Lass mich frei Raphael."
Ein letztes Mal beugte sie sich vor und verschloss seine Lippen mit ihren. Es war kein langer Kuss und doch legte sie ihre gesamte Liebe in ihn.
Dann verließ sie ihre Kraft und sie musste sich zurück ins Kissen legen. Langsam schlossen sich ihre Augen und das Letzte, was sie sah, waren Raphaels wunderschönen Augen.
Auch als ihre Augen geschlossen waren, sah sie sie noch. Vorsichtig flüsterte sie ihre letzten Worte: "Auf Wiedersehen, geliebte Welt!"
Erst danach fiel sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nie wieder erwachen würde. Ihr Puls verlangsamte sich und ihr Herz hörte auf zu schlagen. Es war vorbei...
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How I would like to say Goodbye
Ficción General1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...