Es dauerte ein bisschen bis sie sich von Cleveland wieder verabschiedeten. Genauer gesagt blieben sie sogar drei Tage länger in der Stadt, als sie eigentlich geplant hatten. Doch irgendwie hatte die Stadt ihnen zu gut gefallen und außerdem wollte Elaine nicht den nächsten Schritt auf ihrer Reise wagen, denn auch wenn sie sich nichts sehnlicher wünschte, als ihre Mutter wieder zu sehen, hatte sie gleichzeitig vor nichts so große Angst wie vor diesem Moment.
Was würde sein, wenn es nicht so ablaufen würde, wie sie es sich wünschte? Davor hatte sie irgendwie eine Heidenangst. Denn wenn man sich so lange etwas gewünscht hatte und es dann Realität wurde, konnte es sein, dass man enttäuscht wurde und Elaine hatte sich schon mehr als nur einmal die erste Begegnung vorgestellt. Manchmal auf gute Weise, andere Male so wie sie es nicht wollte, also sollte sie eigentlich keine Angst haben. Immerhin war sie auf das Schlimmste vorbereitet. Nur sah vieles dann in der Realität doch noch einmal ganz anders aus, als nur in der Theorie.
Somit hatte sie alles dafür getan noch ein bisschen Aufschub zu bekommen. Aber irgendwann musste sie sich damit auseinandersetzten und so standen sie schlussendlich doch vor dem Haus der Adresse, die sie von Charlotte bekommen hatten, wenn auch drei Tage später als geplant.
Immer wieder wischte sie sich ihre schwitzigen Hände an ihrer Hose ab und bat Raphael die Klingel zu betätigen.
Der gesuchte Mann namens Paul öffnete ihnen die Tür und schien mehr als nur verwirrt zu sein. Fast wollte er ihnen schon mit den Worten, dass er nichts kaufen würde, die Tür wieder vor der Nase zuknallen, aber Raphael war schneller und hatte seinen Fuß schon über die Stelle gestellt. Fluchend rieb er sich seinen Fuß, während Elaine erklärte, weswegen sie wirklich hier waren. Dies schien Paul nur noch mehr zu wundern. Doch zumindest schien er zu wissen, wer sie war. Er nickte immer wieder und bat sie dann ins Innere zu kommen. Still folgten sie ihm und nahmen an seinem Esszimmertisch Platz.
Scheinbar hatte er gerade Kuchen gegessen und so bot er auch seinen unerwarteten Besuchern Kaffee und Kuchen an. Dankend lehnte Elaine das Angebot ab, doch Raphael schlug lieben gern zu und genüsslich aß er sein Stück auf. In der gleichen Zeit wiederholte Elaine ihre Erklärung, nur das sie dieses Mal die ausführliche Variante wählte.
Interessiert hörte er sich ihre Geschichte an und es schien so, als würde er gerne hören, wie es ihr und ihrer Familie ging.
Schlussendlich war er an der Reihe ihnen zu helfen. So nannte er ihnen die Straße und auch die Hausnummer, wo ihre Mutter nun lebte. Die beiden waren wirklich immer noch zumindest unregelmäßig in Kontakt geblieben und manchmal besuchte sie ihn, wenn sie gerade wegen ihrer Arbeit in der Umgebung war. Von Paul erfuhr Elaine auch, dass ihre Mutter nun in der Gastronomie arbeitete. Dies überraschte Elaine nicht wirklich. Aus ihren wenigen Errinnerungen wusste sie noch, wie gerne ihre Mutter gekocht und gebacken hatte. Dass sie nun einen eigenen Cateringservice hatte, war somit nicht großartig überraschend. Was sie daran aber verwunderte, war die Tatsache, wie weit es von dem Beruf, welchen sie Deutschland ausgeübt hatte, abwich. Elaine wusste nämlich noch genau, dass ihre Mutter früher als Sekretärin im Rathaus gearbeitet hatte.
Aber bei ihrem Bruder war es auch nicht wirklich anders. Immerhin war er nun ein Fotograf, obwohl er jahrelang überzeugt davon war, dass seine Berufung im Gerichtssaal lag.
Außerdem machte das nun wirklich keinen großen Unterschied, zumindest änderte es nichts an der nicht vorhandenen Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter.
So überfreundlich, wie Paul scheinbar war, bot er ihnen an, die Nacht im Gästezimmer zu verbringen. Dieses Angebot nahmen die beiden Jugendlichen dieses Mal dankend an. Denn ihren Geldbeuteln tat es eindeutig gut, wenn sie eine Nacht nicht für ein Hotel bezahlen mussten.
Am nächsten Morgen frühstückten sie noch mit Paul und verabschiedeten sich mit dem selben Versprechen, das sie auch schon Charlotte gegeben hatten.
Den Zettel mit der Adresse hatte Elaine in ihrer Jackentasche. 2014 East 5th Street, Vancouver. Dorthin machten sich die beiden als nächstes auf.
So fuhren sie gegen ihren Plan von Everett nicht direkt nach Seattle, sondern nach Norden Richtung Vancouver. Vom Bahnhof aus machten sie sich mithilfe von Google Maps zu der gesuchten Adresse auf. Dabei stellte sich heraus, dass sie vom Hauptbahnhof fast eine ganze Stunde gehen müssten, sodass sie sich llieber dafür entschieden einmal noch eine der Straßenbahnen zu nehemn. Tatsächlich standen sie schließlich schon nach nicht einmal einer halben Stunde vor dem Haus und nun war Elaine erst Recht aufgeregt.
Ihre Hände waren noch schwitziger, als sie es vor Pauls Haus waren. Beruhigend strich Raphael ihr über den Rücken und griff dann nach ihrer Hand.
Er war es aus, der am Ende klingelte.
Ein unbekannter Mann öffnete die Tür. Darauf war Elaine wirklich nicht vorbereitet gewesen. Natürlich war ihr klar, dass ihre Mutter möglicherweise ein weiteres Mal geheiratet hatte, doch sie hatte irgendwie gehofft solche Dinge innerhalb eines Gespräches mit ihr zu erfahren. Dass sie nun direkt mit dieser Tatsache konfrontiert wurde, schockte sie und so musste Raphael auch den Teil der Begrüßung und Vorstellung übernehmen.
Erst als es zu ihrer Frage kam, war Elaine bereit selbst zu reden. "Genau, ich heiße Elaine Engel und ich bin eigentlich auf der Suche nach meiner Mutter."
Der Unbekannte nickte zwar, schien aber nun selbst verwirrt zu sein. "Wie heißen Sie, haben sie gesagt."
"Elaine Engel und ich suche nach Natalie Fischer." wiederholte sie ihren Namen und nannte dieses Mal auch den Namen ihrer Mutter.
"Entschuldigung, aber hier wohnt keine Natalie Fischer. Mein Name ist George Albert und meine Frau heißt Theresa Albert. Sie scheinen bei der falschen Adresse zu sein." sagte Mr. Albert daraufhin.
Verwirrt zeigte Elaine ihm den Zettel und fragte nach, ob das nicht das Haus Nummer 2014 wäre. Mr. Albert stimmte ihr zu und entschuldigte sich nochmals. Scheinbar war die Adresse falsch. Resigniert seuftzte Elaine auf. Entweder hatte Paul ihr direkt die falsche Adresse gegeben, oder auch er wurde von ihrer Mutter in dieser Hinsicht belogen.
Langsam drehte sie sich um, nachdem sie sich für ihre Störung entschuldigte und sich von Mr. Albert verabschiedete.
Den restlichen Tag über schauten sich Raphael und Elaine Vancouver an. Doch Elaine konnte sich einfach nicht für die Stadt begeistern. Die Enttäuschung setzte ihr stark zu. Sie hatte Angst vor dem Moment gehabt ihre Mutter zu treffen, nun schien es so, als würde es niemals zu diesem Moment überhaupt kommen.
Kein einziges Wort kam an diesem Tag noch über ihre Lippen und Raphael begann sich Sorgen um sie zu machen. Er musste irgendetwas machen, um sie aufzuheitern, doch was war nun die Frage.
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How I would like to say Goodbye
General Fiction1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...
