DREI oder wie Elaine ihre Lüge der Welt verkündete

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Abwartend schaute er sie an, er wollte nun wohl wirklich die Antwort wissen. Aber für sie war klar, dass sie nicht zulassen würde, dass er die Wahrheit weiß. Niemand würde von ihrem Tumor erfahren, dies hatte sie sich selbst geschworen. Es sollte ihr Geheimnis bleiben, ihr Geheimnis, dass sie mit in ihren Sarg nehmen würde. Obwohl, einer ihre Wünsche war es die Wahrheit zu sagen, dann würde sie es wohl erst kurz vor ihrem Tod die Wahrheit laut aussprechen. Sie würde sterben und nichts konnte daran etwas ändern. Das einzige, was sie noch beeinflussen konnte, war wie, wann und warum sie starb. Nie hatte sie je vor gehabt einer Krankheit zu unterliegen und an dieser Krankheit zu sterben. Ihren Tod selbst bestimmen, das war ihr Ziel.
Aber wie kann man jemanden dazu bringen, bei den Wünschen zu helfen ohne den Grund hinter der Sache zu verraten?
Ganz klar, sie musste lügen. "War mal eine Hausaufgabe. Was will ich bis ich 19 bin erreicht haben."
Dies entsprach zumindest fast der Wahrheit. Die Aufgabe hatte zwar gelautet, was will ich bis zu meinem Tod erreicht haben, aber irgendwie machte das keinen Sinn ohne die Wahrheit auszusprechen.
"Aber warum 19 Jahre und nicht 18."
Sie zuckte mit ihren Schultern. "Kann ich etwa in die Köpfe meiner Lehrer schauen?"
Er lachte. Das war gut so, vielleicht überzeugte sie ihn so besser. Nun nickte er auch noch. Das wurde immer besser für sie. Sein Blick glitt nach unten auf ihre Schrift. Scheinbar las er sich die Wünsche noch ein weiteres Mal durch. Der finstere Gesichtsausdruck verschwand langsam und machte der fröhlichen Maske breit.
"Das ist aber ganz schön viel, was du dir da bis du 19 bist vorgenommen hast."
Wieder nickte sie und lächelte etwas traurig. So war es nunmal. Manche hatten für die eigenen Lebensziele auch fast hundert Jahre Zeit. Es war also kein Wunder das ein Jahr ziemlich wenig Zeit für ihre Wünsche war.
"Glaub mir ich werde den wahren Grund für diese Liste noch herausfinden." flüsterte er leise.
Fast hätte sie ihn gar nicht verstanden, er hatte es wohl eher zu sich selbst gesagt. Doch dieser Satz verwirrte sie. Er hatte ihr nicht geglaubt und doch spielte er einfach weiter ihre Lüge. "Wann wirst du neunzehn?"
"365 Tage nach meinem 18. Geburtstag."
Er lachte wieder. Scheinbar fand er sie lustig und dabei wollte sie nur seiner Frage ausweichen. "Und wann wirst du 18 Jahre alt, Elaine?"
"In ein paar Monaten." Dies war die Wahrheit.
"Also wirst du in ein paar Monaten und 365 Tagen neunzehn."
Nun schlich sich auch auf ihre Lippen ein Lächeln. Es machte irgendwie Spaß mit Raphael Zeit zu verbringen. Er war gar nicht so, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Seine Persönlichkeit hatte sie überrascht. Seine Ausstrahlung war zwar gewöhnungsbedürftig und auch diese unterschiedlichen Masken, die er scheinbar im Sekundentakt austauschen konnte, waren dies. Aber vor allem faszinierten diese Masken sie und diese Tatsache konnte sie nicht einfach so abstreiten.
Raphael Seitz hatte es ihr irgendwie angetan. Er kam so locker und freundlich rüber und nur einen Moment später war er wieder so wie sie ihn immer gekannt hatte. Bei dieser Feststellung fiel ihr auf, dass sie ihn wohl nie gekannt hatte. Sie hatte sich nämlich von den ganzen Gerüchten und ihren Erfahrungen mit seinem Bruder abschrecken lassen. Dabei sollte doch außgerechnet sie wissen, wie unterschiedlich Geschwister seien können.
Mal wieder wurde ihr gezeigt, dass man ein Buch nicht nach seinem Einband bewerten sollte und doch hatte sie es in den acht Schuljahren auf ihrer Schule jeden Tag getan. Nun schämte sie sich selbst über ihre Oberflächlichkeit.
Bevor sie sich aber in Gedanken selbst schlagen konnte, wurden ihre Gedanken durch den Ruf ihres besten Freundes gestört. Lion rief sie zu sich und das durch die ganze Mensa. Es war also wirklich kein Wunder, dass sich alle Schüler, die sich in der Zwischenzeit auch in die Mensa gesetzt hatten, ihren besten Freund komisch anschauten.
Seufzend erhob sie sich von ihrem Stuhl und schnappte sich ihre Tasche. Bevor sie aber zu Lion ging, drehte sie sich noch zu Raphael um. "Du hast meinen besten Freund gehört, ich muss wohl los. Wir sehen uns."
Danach drehte sie sich um und lief auf Lion zu.
"Glaub mir Elaine. Wir werden uns ganz bestimmt nochmal sehen. Immerhin müssen wir deine 90 Wünsche wahr werden lassen."
Überrascht drehte sie sich während des Laufen nochmal zu dem Jungen um. Dieser grinste nur und zwinkerte ihr dann auch noch zu. Sie konnte einfach nicht anders, als zurück zu lächeln.
Scheinbar hatte ihr Bauch recht gehabt. Raphael war ihre helfende Person.
Breit grinsend kam sie bei ihrem Freund an. Dieser hatte den Jungen an ihrem Tisch scheinbar auch erkannt und das Gespräch schien er auch mitbekommen zu haben. Zu ihrem Glück sagte er nichts dazu und zog einfach nur seine Augenbraue fragend nach oben.
Als Antwort schüttelte sie nur den Kopf und winkte ab. Dieses Gespräch hatte ihren besten Freund nicht zu interessieren.
Zu zweit liefen sie zum nächsten Kurs. Den hatten sie zusammen und dies war schon echt lustig. Da die beiden sonst einen fast komplett unterschiedlichen Stundenplan hatten. Das einzige weitere Fach, das sie gemeinsam belegt hatten, war Biologie. Für Elaine stand außer Frage, dass sie Biologie in ihre Oberstufe wählen würde. Bio war nämlich die einzige Naturwissenschaft, die sie mochte und wirklich verstand.
Denn Elaine war eher eine Streberin, aber die Naturwissenschaften hatten es ihr einfach nicht so angetan. Dafür war sie verdammt sprachbegabt und hatte Französisch, Spanisch und Englisch weiter gewählt. Ihre Leistungskurse waren auch beides zwei Fremdsprachen, Englisch und Spanisch. Dazu hatte sie noch Mathe als schriftliches Fach und Geschichte müdlich belegt. Bisher hatte sie diese Entscheidung noch nicht bereut. Ihre Familie fand es immer lustig, dass sie zwar Fremdsprachen liebte und doch ihre Muttersprache als Schulfach hasste. Aber ihr machte Deutsch einfach kein Spaß, nicht das sie deswegen unbedingt immer schlechte Noten in Deutsch schrieb. Dies war nämlich so überhaupt nicht der Fall, meistens brachte sie nämlich immer ein Sehr gut oder ein Gut nach Hause. Nur das Fach selbst interessierte sie einfach nicht. Es schien fast immer so, als würde ihre Deutschlehrer den Stoff möglichst langweilig rüber bringen wollen, und genau dieses Problem hatte ihr die Freude an diesem Fach genommen.
Zu ihrem Glück war Deutsch aber genau das Fach mit dem sie Lion im Kurs hatte. So war es zumindest nie so langweilig, dass sie fast einschlief.



Bin ich heute nicht produktiv, schon zwei Kapitel hab ich heute geschrieben...Wie findet ihr Raphael?

~Liv

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt