Nachdem die beiden sich dann wieder von einander gelöst hatten, bat ihre Mutter sie und ihren Begleiter ins Haus. Im Inneren duftete es nach Pflaumenkuchen und sofort fühlte Elaine sich wieder in ihre Kindheit versetzt.
"Es ist fast so, als hätte ich geahnt, dass du heute kommst." schmunzelte die vierzig Jährige.
Die Aussage ihrer Mutter brachte auch Elaine zum Schmunzeln. Irgnedwie gefiel es ihr, dass auch ihre Mutter sich scheinbar noch an solche Sachen erinnern konnte. Auf ihrem Weg in die Küche des Hauses kamen sie an einer Kommode im Flur vorbei. Direkt fielen Elaine die Bilderrahmen auf dieser auf.
Erstaunt blieb sie stehen und starrte auf die Fotografien von sich selbst und ihrem Bruder. Jeder von ihnen hielt die Hand eines kleinen Mädchens, welches zwischen ihnen stand. Lächeld schaute sie sich das Bild von ihren Geschwistern und sich an. Auch die restlichen Fotografien zeigten Bilder aus ihrer Kindheit.
Scheinbar hatte ihre Mutter die ganzen Jahre lang an ihnen festgehalten. Selbst ein Hochzeitsbild von ihrem Vater und ihrer Mutter befand sich auf der Kommode. Solch ein Foto befand sich nicht bei ihnen Zuhause. Wie schön ihre Mutter bei ihrer Hochzeit gewesen war. Das breite Lächeln ihres Vaters sah einfach nur zu einhundert Prozent zufrieden aus. Voller Liebe schauten sich die beiden auf dem Bild an.
Als sie diese Bilder sah, begann Elaine sich zu fragen, warum ihre Mutter sie verlassen hatte. Warum war sie ohne ein Wort der Erklärung gegangen, wenn sie ihren Vater so sehr geliebt hatte und ihn immer noch liebte. Denn warum sonst standen solche Fotos mitten in ihrem Haus, wenn es nicht so war. Sie musste ihn noch immer lieben, etwas anderes konnte sich Elaine nicht vorstellen als Erklärung.
Der Ruf ihrer Mutter zog sie aus den Gedanken. Schnell folgte sie der Stimme. Sie hatte vorher noch gar nicht bemerkt, dass auch Raphael schon weiter gegangen war. Dieser saß nun schon an dem Esstisch. Vor ihm stand schon ein Stück des berühmten Pflaumenkuchens. Ohne zu zögern nahm sie Platz und ließ sich eines auf ihren Teller stellen.
Während sie aßen, bat Natalie ihre Gäste zu erzählen. Sie fragte die Beiden, was sie hier in Amerika machten, wie sie ihre Adresse herausbekommen haben und vor allem wie es ihrer Familie ging.
Jede Frage beantwortete Elaine mit Freude. Dann war sie an der Reihe. Endlich konnte sie ihre Fragen stellen. Als erstes wollte sie wissen, was ihre Mutter so gemacht hatte. Daraufhin bekam sie viel von dem Catering Service erzählt und gleichzeitig fand sie heraus, dass ihre Mutter genau wie ihr Vater nicht noch einmal geheiratet hatte. Aber all diese Dinge waren nicht so wichtig für sie. Gleichzeitig traute sie sich aber auch nicht wirklich alles zu fragen. Zumindest beginnen wollte sie nicht mit den schwierigen Fragen. Irgendwann musste sie es aber einfach wissen. "Warum bist du gegangen, Mama? Warum hast du Papa, Josh, Mia und mich alleine gelassen?"
Erst sagte ihre Mutter nichts darauf. Sie schien sich zu sammeln. Mehrmals atmete sie tief ein und aus, bevor sie mit ihrer Geschichte begann. "Bevor ich dir alles erkläre, musst du mir glauben, dass es mir nicht leicht fiel euch zu verlassen, aber die Umstände ließen mir einfach keine andere Wahl. Es hätte mich selbst zerstört. Schau nicht so schockiert, bisher hab ich doch noch gar nichts erzählt." kurz lachte sie, bevor ihr Gesichtsausdruck wieder ernst wurde. "Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern, aber kurz bevor ich Deutschland den Rücken zugewendet habe, hatten dein Vater und ich einen Unfall. Das war auf dem Weg nach Hause nach einer Feier von Freunden. Der Abend war schön gewesen. Ich hatte mich auf jeden Fall gut amüsiert. Immerhin war es auch der fünfundzwanzigste Geburtstag von dem Verlobten einer meiner besten Freundinnen. Robert hatte aber mindestens einen genauso schönen Abend. Zumindest hatte er nicht nur ein bisschen getrunken, ich zwar auch nicht, aber da wir sowieso vor hatten bei seinem Kumpel zu übernachten, welcher um die Ecke wohnte, musste keiner vo uns eigentlich mit dem Auto zurückfahren. Den Wagen wollten wir am nächsten Morgen holen und mit ihm zurück nach Laatzen fahren. Aus diesem Plan ist aber nichts geworden, denn dann tauchte einer meiner Kollegen auf und wir unterhielten uns gut. Er war schon etwas länger in meinem Büro angestellt und über den Zeitraum hatten wir uns angefreundet. Robert kannte ihn auch schon, da er auch das ein oder andere Mal schon zum Abendessen bei uns gewesen war. Doch die Beziehung zwischen uns war vor allem in den letzten Wochen etwas angespannt geworden. Da ich häufig Überstunden machen musste, war ich häufig lange abends noch im Büro und mein Kollege Tobias blieb sowieso schon immer meistens länger. Somit verbrachten wir noch mehr Zeit als gewöhnlich zusammen und ich merkte schnell, dass er mehr von mir wollte, als ich von ihm. Auch dein Vater war dies irgendwann aufgefallen und so wurde Robert jedes Mal argwöhnischer, wenn ich länger im Büro gewesen war. Seine Sorgen waren aber vollkommen unbegründet und dies habe ich ihm wirklich immer versichert."
An dem Punkt ihrer Erzählung machte sie eine kurze Pause, um einen Schluck aus ihrem Glas zu trinken. Elaine hing derweilen an ihren Lippen und ahnte langsam, in welche Richtung sich diese Geschichte entwickelte.
"Auf jeden Fall kam Tobias dann auch zu der Feier. Wir unterhielten uns und auch er hatte irgendwann genau wie ich gut einen Sitzen. Irgendwann trat dein Vater zu uns und ich weiß nicht mehr warum genau, aber Robert meinte plötzlich, dass Tobias bitteschön auch in Zukunft die Finger von mir lassen solle. Daraufhin ließ dieser natürlich, wie betrunkene Männer nun einmal sind, eine blöde, unangebrachte Bemerkung fallen und die Situation eskalierte. Ohne näher jetzt auf die genauen Geschehnisse einzugehen, endete es damit, dass dein Vater mich zum Wagen zerrte und ohne auf meine Proteste zu hören losfuhr. Für jeden war gut erkennbar, dass er auf keinen Fall mehr hätte fahren dürfen und doch tat er es. Es kam das eine zum anderen und wir hatten einen Unfall. Dieser war nicht allzu schlimm und eigentlich hatten wir beide Glück, doch auch nur wir beide." ihr schossen die Tränen in die Augen "Dein Vater weiß noch heute nicht davon, aber damals war ich im vierten Monat schwanger. Ich hatte es erst kurz vor der Feier erfahren und wollte Robert passend zu unserem Hochzeitstag davon erzählen. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Denn Jordan starb in der Nacht des Unfalles. Ich verlor mein Kind und durch den Schmerz auch mich selbst. Auch wenn ich es besser wusste, machte ich deinen Vater für die ganze Sache verantwortlich. Ich brachte jemanden, dem ich die Schuld geben konnte, und dein Vater war nun einmal zumindest nicht vollkommen unschludig. Nach dem Unfall stürzte ich mich noch mehr in meine Arbeit und dann wurde mir klar, dass ich es nicht schaffte. Für mich war der Abstand notwendig. Also verließ ich euren Vater und mit ihm auch euch, denn zum Einen wollte ich euch nicht von Zuhause wegziehen und zum Anderen konnte euch Robert weitaus mehr Sicherheit bieten, als ich es zu diesem Zeitpunkt konnte. Mein Weg führte mich nach Amerika zurück. Nach dem Trennungsjahr reichte ich die Scheidung ein und innerhalb des Prozesses erlangte euer Vater das Sorgerecht. Ich wusste, dass er mich für meine Tat verurteilte. Auch war ich mir sicher, dass er dachte, dass ich ihn betrogen hatte. Aber auch nach diesem Jahr hatte ich nicht die Kraft dazu ihm die Wahrheit zu sagen. Er verbot mir mich in sein Leben einzumischen und auch wenn es falsch war, freute ich mich darüber, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Doch damit musste ich mich auch von euch fernhalten. Doch glaub mir, seitdem ist kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht gefragt habe, wie es euch geht und was ihr schon alles erreicht habt."
Elaine war sprachlos. Sie hatte viel erwartet, doch ganz bestimmt nicht diese Geschichte. Dennoch wusste sie, dass sie die Wahrheit war. In vielen Dingen stimmte sie mit den Erzählungen ihres Vater, Dora und Josh überein. Nur die Tatsache, dass sie ein weiteres Geschwisterkind haben könnte, war neu für sie. Irgendwie wusste sie nicht, wie sie auf diese Neuigkeit reagieren sollte. Ohne groß darüber nachzudenken plapperte sie los. "Josh hat vor ein paar Wochen geheiratet und Mia kommt jetzt in die Oberstufe. Uns geht es allen gut Mama."
Schnell schloss sie sie in die Arme.
Nach diesem aufschlussreichen Nachmittag übernachteten sie noch bei Natalie. Leider konnten sie nicht länger bleiben, doch Elaine versprach ihrer Mutter sich über das Telefon regelmäßig zu melden. Zum Abschied legte sie einen Brief auf die Kommode. In diesem stand nicht viel. Eigentlich verbesserte sie sich darin nur. Ihnen ging es nämlich schließlich nicht allen gut. So erzählte sie auf diesem Papier von ihrer Diagnose und äußerte den Wunsch sie wiederzusehen. Von ihrem Todestag sagte sie noch nichts. Ihre Mutter würde schon früh genug davon erfahren.
Das Verabschieden viel ihr dennoch mehr als schwer. Wahrscheinlich war dies das erst und letzte Treffen mit ihrer Mutter, das war schwerer für sie als gedacht. Doch es ging nicht anders.
Mit dem Zug fuhren sie dann Richtung Süden nach Los Angeles. Dort würden sie noch etwas von dem bekannten guten Wetter genießen und dann war auch schon das Ende der Reise erreicht.
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How I would like to say Goodbye
General Fiction1 Jahr 356 Tage 8544 Stunden 512640 Minuten 30758400 Sekunden So viel Zeit blieb ihr höchstens noch. 30758400 Sekunden für genau 99 Wünsche, dass sollte doch eigentlich nicht allzu schwer sein. Sie brauchte nur Hilfe, doch wer half einem sterbende...
