FÜNFUNDDREIßIG oder wie Elaine schon einmal für später üben musste

50 4 0
                                        

Schlussendlich entschieden sich die Jugendlichen den Morgen zu genießen und sich mittags voneinander zu verabschieden. So begann Elaines Tag damit, dass sie noch im Schlafanzug zum Frühstück ging und es genoss ausnahmsweise nicht in Eile zu essen. So konnte sie genüsslich in ihr Schokocroissant beißen und ihr Brötchen mit Nutella genießen. Insgesamt fiel ihr dabei auf, dass sie sich in der letzten Monaten so gut wie durchgängig ungesund ernährt hatte. Doch es störte sie nicht. Selbst wenn sie sich nun noch die restlichen Tage hier in Australien ungesund ernähren würde und danach wieder damit beginnen würde auf ihre Ernährung ein bisschen zu achten, wären die letzten Wochen auf langer Sicht kein großes Problem.
Dies sagte sie sich, denn der eigentliche Grund für diese Gleichgültigkeit war ihre Krankheit. Sie wusste, dass ihre Medikamente eigentlich schon halb verhinderten, dass sie irgendwann noch richtig stark zunehmen würde. Der Tumor in ihrem Gehirn war für sie seit neustem schließlich ein nicht veränderbarer Teil ihres Körpers. Wenn man ein unlösbares Problem hatte, war es manchmal an der Zeit das Problem mal anders zu betrachten und es hinzunehmen. Viele Sachen waren nicht erklärbar oder lösbar, doch die Menschen tun sich nuneinmal schwer eine Sache nur eine Sache sein zu lassen. So war ein hellerer Grüton nicht einfach nur ein Grün, sondern auf einmal mintfarben. Elaine mochte diese Art zu denken. Woher wissen wir, dass Gelb wirklich das selbe Gelb für jeden ist, die Antwort war nicht schwer. Man konnte es nicht wissen, denn wir glaubten es einfach. Vielleicht meint der Mensch etwas zu wissen, obwohl er es einfach nur glaubt. Was bedeutete Wissen und wann hörte es eigentlich auf und ging in den Glauben über?
Jeden Tag in der Schule wurde den Jugendlichen Wissen vermittelt und nachdem man es einmal hörte, meint man, dass man es weiß. Doch eigentlich glaubt man es nur. Somit ging Wissen und Glauben stets überein. Schon immer mochte Elaine diese Fragen durch ihren Kopf gehen zu lassen. Es war für sie eine ganz spezielle Art der Beruhigung.
Solche Fragen füllten, sobald man einmal darüber nachzudenken begann, das ganze Gehirn. Somit blieb plötzlich kein Platz mehr für Sorgen, Zweifeln und generell andere Gedanken. Wie gesagt es beruhigte sie und sie fand im Nachdenken über unlösbare Fragen ihre ganz persönliche Meditation.
In der Ruhe lag die Kraft. Die Zeit veränderte alles und jeden. Wenn etwas Schlechtes passierte, half die Zeit dabei alles von Zeit zu Zeit in einem anderen Licht zu betrachten.
Dennoch waren die Menschen niemals zufrieden mit der Ruhe. Stress gehörte einfach zum generellen Tagesablauf und vielleicht war genau in diesem Stress eine spezielle Art der Ruhe zu finden.
Ruhe bedeutete nämlich nicht ständig nachdenken zu müssen und vielen half es sich selbst körperlich zu betätigen, um ihre Gedanken zeitweise auszuschalten. Stress schloss die Ruhe also nicht aus. Eine weitere Sache, welche man von den anderen eingeredet bekommt und eigentlich nicht der Wahrheit entsprach.
Auch Elaine realisierte, dass sie, indem sie die Liste durchweg bearbeitete, im Grund nur versuchte ihre Sorgen zu verdrängen und bisher schien dies noch zu funktionieren. Doch niemand wusste, wann es aufhören würde zu funktionieren, wann ihre Gedanken schließlich nicht mehr voll von anderen Dingen ist und nur noch ihre Ängste in ihrem Kopf kreisen würden. Jetzt schon hatte sie eine gewisse Angst vor diesem Moment. Es war die Ungewissenheit, welche sie verängstigte.
Denn Ungewissenheit bedeutete einfach abwarten zu müssen und seit dem Tag ihrer Diagnose wusste sie, dass sie das Warten hasste. Damals war es so gewesen, als würde sie auf ihr Todesurteil warten, was sich schließlich auch als wahr ergeben hatte. Von nun an verband sie das Warten mit dieser schrecklichen Erinnerung. An dem Tag war ein Teil von ihr gestorben und hatte Platz gemacht für einen neuen.
Elaine war an diesem Tage das allererste Mal gestorben und gleichzeitig neugeboren worden. Wie schon gesagt, die Zeit verändert jeden.
Routine stellte eine kleine Sicherheit dar. Sie stand für das nicht veränderte, denn Veränderungen waren nicht immer das Beste, was einem passieren konnte. Vor allem in dem Moment, indem die Veränderung zuschlug, erschien es meistens so, als wäre sie unmöglich zu meistern.
Rückblickend konnte man in jedem Schlechten etwas Gutes finden. Die Kunst Sachen positiv zu betrachten hielt viele in diesen Momenten am Leben. Man sprach sich die Mut zu, dass es irgendwann besser werden musste, da man ja wusste, dass die Zeit niemanden verschonte.
Zeit war kostbar und jetzt, wo Elaine klar war, dass ihr nur noch ein kleiner Teil übrig geblieben war, wurde sie umso kostbarer.
Leben war das Ziel und der Tod war die Ziellinie.
Ihre Gedanken sponnen sich wie von allein und begleiteten sie bis zum letzten gemeinsamen Essen mit all ihren Freunden. Zwar gönnten sie sich eigentlich nur Pizzen auf die Hände, doch was man aß, spielte in dem Moment schließlich nicht wirklich eine Rolle. Eine Veränderung stand vor der Tür und klopfte schon heftig dagegen.
Aber Elaine war sich zumindest sicher, dass dieser kurzzeitige Abschied gut war. Vielleicht nicht das Beste, aber auf keinen Fall war er schlecht. Ihnen blieben nur noch wenige Tage und dann hieß es so oder so wieder Deutschland und damit Schule. Neujahr war da und ein neues Jahr hatte begonnen.
Es würde hoffentlich ein Jahr voller Erfahrungen und besonderen Erinnerungen werden. Ihr letztes Jahr sollte ein erinnerungswürdiges Jahr werden.
Abschied nehmen sollte sie bis zum Herbst können und Übung machte den Meister.
Lächlend umarmte auch sie Leah und Valentin und wünschte ihnen eine gute Reise. Dies bekam sie direkt zurück gewünscht und dann stieg Elaine auch schon ins Auto. Sie schnallte sich an und drehte sich dann zu dem Paar hinter dem Auto um. Die Beiden wanken ihnen solange hinterher, bis Elaine sie nicht mehr sehen konnte, da sie um eine Straßenecke gefahren waren.
Ihre Australienreise ging in den letzten Abschnitt und damit langsam zu Ende. Doch schon jetzt hatte sie sich zu einhundert Prozent gelohnt.

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt