46. Kapitel

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Juli 2008
Livorno, Italien

Neela starrte Mark an, doch der hielt seinen Blick geradeaus auf die Straße geheftet.

Tränen liefen seine Wangen hinunter, doch er wischte sie ärgerlich weg.

Neela spürte, wie auch in ihren Augen Tränen brannten, als sie zum ersten Mal begriff, was es bedeutete, den Schmerz eines anderen zu fühlen. Stumm drückte sie seine Hand und wartete darauf, dass er weitersprach.

Er schien mit den Bildern zu kämpfen, die bei den Erinnerungen in ihm aufsteigen mussten. Zumindest ging es Neela jedes Mal so, wenn sie an ihren Vater dachte.

„Aber du bist nicht tot", flüsterte Neela schließlich, auch wenn das ziemlich offensichtlich war.

„Nein." Mark blickte sie endlich an. In seinen Augen lag eine schier unendliche Traurigkeit. „Aber ich habe mir in den Wochen danach oft gewünscht, es hätte geklappt."

Neela blickte ihn entsetzt an. Wie konnte er so etwas sagen? Wusste er denn nicht, wie vielen Menschen er so viel bedeutete? „Was ist passiert?", fragte sie stattdessen nur.

Mark schloss die Augen. Eine weitere stumme Träne lief über seine Wange. Für Neela war es unerträglich, ihn so leiden zu sehen. „Henry ist gekommen."

„Henry?"

„Er war zu einer Vorlesung in Austin und wir waren für den Abend verabredet gewesen. Ich bin nicht hingegangen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht mal dran gedacht."

Was auch durchaus verständlich war.

„Außerdem habe ich meinen ersten Arbeitstag beim Austin Police Department verpasst. Chief May hat ihn angerufen... nachdem bei mir niemand ans Telefon gegangen ist. Henry ist also vorbeigekommen, um nach mir zu sehen, auch weil er von einem befreundeten Arzt des Austiner Krankenhauses erfahren hatte, dass Anne und... meine Tochter tot waren. Er hat sich wohl Sorgen um mich gemacht und Henry angerufen. Mein Bruder hatte einen Zweitschlüssel."

„Er hat dir das Leben gerettet."

„Ja."

Neela wusste Marks Tonfall nicht einzuordnen. War er froh oder wütend über Henrys plötzliches Auftauchen gewesen?

Eine Weile schwiegen sie. Neela kämpfte gegen ihre Neugier, die unangebracht viele Fragen stellen wollte.

Sie starrte aus dem Fenster. Vermutlich wollte Mark kein Mitleid, doch zusammen mit Unverständnis für seine gleichgültige Haltung gegenüber seinem Selbstmordversuch, war dies das stärkste Gefühl in ihr.

„Jetzt frag schon."

„Was?" Mit einem Anflug schlechten Gewissens erwiderte Neela Marks mittlerweile erstaunlich ruhigen Blick.

„Du hast Fragen. Stell sie."

„Alle?"

Mark zögerte nicht. „Alle. Ich werde schon damit umgehen können."

Neela begann unbewusst, mit ihrer Kette zu spielen. „Hast du es mitbekommen?", fragte sie schließlich.

„Was?"

„Wie Henry dich gefunden hat."

„Zum Teil." Mark begann, mit dem Zeigefinger an die beschlagene Scheibe zu malen.

„Nicht, als er reingekommen ist, aber als er mir eine Ohrfeige gegeben hat, damit ich aufwache. Irgendwie war er plötzlich da. Ich konnte meine Augen nicht öffnen, aber ich wusste, dass er bei mir war, und ich glaube, das hat mir die Kraft gegeben, doch weiter zu kämpfen."

It All Comes Back Again Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt