Kapitel 4

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3 Jahre später.

Hier war ich nun. An meinem Schreibtisch, nicht im Himmel. Mein Körper wurde noch mit Blut versorgt und mein Herz schlug noch. Ich lebte noch..
Mein Körper hing nicht aufgespießt und verranzt an einem Felsenvorsprung. Und keine Raben und Insekten haben meine Augen zerfressen. Alles war normal. Ich lebte noch...

Wieso ich danach keinen weiteren Suizidversuch begann? Weil ich damals von den Worten Marvins überwältigt wurde.
,,Jedes Leben ist lebenswert. Wenn du nicht zufrieden bist, musst du was ändern und es lebenswert machen."
Ich konnte mich leider nicht an sein Gesicht oder gar seine Stimme erinnern. Ich wusste nur, dass da jemand war, dem ich mein Leben zu verdanken hatte. Einer Person, der man ähnliches auf den ersten Blick niemals zutrauen würde. Mit nur einem nebensächlichen kleinen Satz.. verwirrend.

Ich schlug mein Physikbuch zu und lehnte mich zurück.

Ja, ich habe etwas geändert. Ich habe einen Schulwechsel hinter mir. Das sollte der Anfang sein. Ich bin schon 17, bald 18, das heißt, in nicht allzu langer Zeit habe ich mein Abi und kann studieren. Dann kann ich hier wegziehen, für immer, lerne neue Leute kennen und kann glücklich werden. Ich habe es geschafft den Gedanken des Selbstmordes zu verdrängen, was aber leider nicht heißt, dass ich glücklich bin. Zwar habe ich eine Freundin gefunden, trotzdem gibt es Momente, in denen ich bezweifle, dass es mehr als nur eine Zeckfreundschaft ist. Catherine hat viele gute Seiten, aber oft kommen ihre anderen zum Vorschein.

Ich zückte mein Handy und las ein paar Nachichten. Eine von ihr.

*Hey lust heute shoppen zu gehen? ;* Treffe mich später mit Joseph also geht nicht so lang*

Joseph ist ihr Freund. Er ist Quarterback und gehört zu den "Coolen". Sie sind frisch zusammen. Ich gönnte es ihr natürlich, aber ich merkte, wie oft sie mich wegen ihm vernachlässigt, was unserer Freundschaft natürlich nicht gut tat.

*Klar:) aber ich muss noch hausaufgaben machen. Wie wärs mit 15 uhr bei subway in der stadt?*

*du und deine lernerei.. ja ok bis später*

Ich konnte förmlich ihr Augenrollen sehen. Aber so war ich nun mal. Ich wurde so erzogen, dass ich erst Vergnügen erleben durfte, wenn ich etwas nennenswertes geschafft hatte.
Ich schaltete das Handy aus und beendete mein Vorhaben.

Als es so weit war aufzubrechen, lief ich die Stufen langsam runter. Extra langsam, damit mich mein Erzeuger nicht hörte. Als ich unten ankam, lugte ich vorsichtig ins Wohnzimmer. Dort lag mein Vater betrunken auf der Couch und schlief. Sechs Dosen Bier lagen leer neben ihm und eine Wodkaflasche, deren Inhalt zu dreiviertel ausgetrunken war.
Leise nahm ich die Flaschen und räumte sie weg. Er wollte immer, dass ich aufräumte, weil er seinen scheiß Arsch nicht aufreißen konnte und kein Bock hatte. Doch ich war das gewöhnt. Es war für mich Alltag.
Meine Schwester hatte mich nach dem Tod von Mama mit ihm allein gelassen. Sie war damals abgehauen, hat mich zurückgelassen. Sie war volljährig und wusste genau, dass er seine Wut durch seinen Alkoholkonsum dann nur noch an mir auslassen würde.
Für mich ist sie keine Familie mehr. Mein Vater auch nicht.. Ich hatte also keinen mehr, niemanden. Ich war auf mich allein gestellt.

Ich nahm schnell eine Jacke vom Haken und zog mir Boots an, schnappte mir eine Tasche mit allem, was ich benötigte, drinne und verließ das Haus.
Ich fuhr sachte über die Partie unter meinem linken Auge und hoffte, dass der Concealer seine Wirkung nicht vernachlässigte.

Ich kam am Subway an und blickte mich um. Sie war noch nicht da also hockte ich mich für 15 weitere Minuten hin. Irgedwann kam Catherine dann auch, ohne einen Kommentar zu ihrer Verspätung. Wir gingen in ein paar Läden, in denen sie sich einige Klamotten kaufte. Alles passte natürlich zu ihnen rötlichen langen Haaren und ihren rehbraunen Augen. Wie immer.
Wir waren bisher auch noch nicht lange unterwegs und ich genoss die Zeit, in der ich nicht allein sein musste, mit ihr. Ich versuchte mal meine zurückhaltende Art wegzustecken und redete viel mit ihr.
Sie jedoch schrieb viel am Handy mit anderen Leuten, was mich, wie ich zugeben muss, kränkte. Ich spielte nervös mit meinen Händen und hielt den Mund, da sie mit der Zunge geschnalzt hatte, als ich sie darum bat, nochmal in mein Lieblingsladen zu gehen.
Wir saßen also hier und schwiegen uns an.
Irgenwann klingelte ihr Handy und sie ging dran.

,,Ohh Joseph hey Schatz.....klaar hab ich schon früher Zeit.... Nein Quatsch, ich mach nichts wichtiges.... okay, dann bis gleich."

Catherine grinste frech und mir tat plötzlich meine Brust weh.

,,Ich freu mich schon, Baby... Ich dich auch."

Sie legte anscheinend auf und schaute mich entschuldigend an.
,,Sorry, aber ich muss jetzt los. Joseph hat schon früher Zeit." Wir umarmten uns kurz. ,,Oh ja, na klar, alles gut. Viel-" Meine Freundin drehte sich direkt um und hob während sie weiter lief noch mal ihre Hand. ,,...Spaß", ergänzte ich flüsternd.
Ihre vollen Haare schwangen mit ihrem Laufrythmus mit. Genauso wie ihre Hüften. Lange sah ich ihr hinterher. Ich merkte, wie meine Augen langsam feucht wurden. Wieso war sie so? Lag es an mir? War ich ihr zu langweilig? Ich bekam Angst, dass sich meine letzte Freundin auch noch von mir abwendete. Sie war mein letzter Halt.
Ich wusste zwar, dass wir eigentlich nie so richtig zusammenpassten, geschweige denn harmonierten, aber wie schon mal erwähnt, befürchtete ich eher, dass die Freundschaft reinem Zweck diente. Sie konnte ihre Clique erweitern und so auch ihren eh schon so großen Fanclub. Doch ich hoffte bis heute, dass es mehr als nur das war... wie enttäuschend Hoffnungen doch sein konnten.

Ich raffte mich also auf und lief los. Wohin? Keine Ahnung. Nach Hause werde ich nicht gehen, ganz sicher nicht. Vielleicht einfach spazieren.
Ich dachte weiterhin über Catherine nach. Ich gönnte ihr doch alles in der Welt. Vielleicht war ich einfach zu egoistisch. Ich muss ihr doch Freiraum lassen und nicht wie eine Kette 24/7 an ihr hängen. Ich nerve sie bestimmt.
Meine Stimmung senkte sich nach und nach und ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht merkte, wie ich einem Passanten gefährlich nahe kam. Auf einmal krachte ich gegen einen großen Körper und landete auf dem Hintern. Ich stöhnte einmal vor Schmerzen auf, merkte jedoch schnell, dass meine ganzen Einkäufe verteilt auf dem Boden lagen. So ein Mist. Ich sah die Person nicht an und entschuldigte mich leise.
Ich wollte gerade anfangen meine Klamotten aufzusammeln, als ich eine weitere Hand sah, die nach diesen Griff. Überrascht sah ich auf und mir stockte kurz der Atem.

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