Kapitel 57

5.8K 209 36
                                    

Erstaunt starrte ich den großen Buchstaben neben der Punktzahl auf dem Blatt an. Ich konnte es einfach nicht fassen! Das ganze Lernen mit Nick hatte sich gelohnt! Wir hatten es tatsächlich geschafft. Überfordert sah ich noch einmal hoch in das Gesicht meiner Mathelehrerin, die mir zugrinste. ,,Ich wusste doch, dass Sie es schaffen würden, wenn man ihnen noch ein bisschen Feuer unter den Hintern treibt", gab sie nüchtern zu. Sie rückte ihre Brille zurecht und ging dann weiter, um die restlichen Arbeitshefte zu verteilen. Mein Blick senkte sich wieder. Ich begann über das ganze Gesicht zu strahlen, als ich mir das rote "B" noch einmal ansah. Pure Erleichterung erreichte mich. Mein Puls war tierisch hoch. Das war er immer, wenn so etwas passierte.

Es klingelte zum Schulschluss. Hektisch kramte ich mein Handy aus der Tasche, um Nick von meinen guten Nachrichten zu berichten, als mir einfiel, dass ich etwas sauer auf ihn war. Wir hatten zwar Kontakt, aber ich war enttäuscht, dass er mir so viel verheimlichte. Immerhin kannten wir uns jetzt schon zumindest so lange, dass er mir mehr zutrauen könnte. Noch an diesem Tag hatte ich ihn gefragt, wieso es ihm so wichtig sei, das Armband zu tragen, aber er gab mir keine vernünftige Antwort. Normalerweise würde ich jetzt nachlassen und aufhören nachzuhakten, aber dieses mal schien es mir wichtig, zu erfahren, was los ist. Aber dann widersprach ich mir selbst und redete mir ein, er sähe es bloß als Freundschafts- oder gar Liebesbeweis. Das war sehr weit hergeholt und ich wusste ja, dass keine wahre Liebe im Spiel war, aber es war etwas Leidenschaftliches, was unmöglich war, zu beschreiben. Jedenfalls war es möglich, dass er solch Sachen als krankhaft wichtig empfand, aber im Endeffekt wusste ich auch nicht so genau, worum es ihm hierbei ging.

Ich erhob mich stumpf von meinem Platz und schulterte meine Schultasche. Zusammen mit Catherine ging ich aus unserem Klassemraum, wobei sie sich beschwerte, dass sie nur noch ihre Drei bekam, statt einer Zwei. Aber ich denke, sie war nur so genervt, weil ich dieses mal besser als sie war. Aurora lief hinter uns her und sagte nichts.

,,Willst du heute mit uns ins Nagelstudio gehen? Ich muss meine nachbessern lassen und wenn du magst, kannst du dir ja auch mal welche machen lassen." Catherine funkelte mich aufgeregt mit ihren warmen Augen an und nahm meine Hände in ihre. Ich seufzte. ,,Ich hab heute meinen ersten Arbeitstag, Cath. Ich kann leider nicht." Sie zog eine Schnute, fasste sich aber schnell wieder. ,,Nagut, dann vielleicht wann anders." Sie hakte sich bei der Braunhaarigen ein und verabscheidete sich, ehe sie den Gang hinunterlief.

Ich machte mich ebenfalls auf den Weg und verließ das Gebäude. Zu Hause angekommen öffnete ich erst mal unsere Haustür. Ob mein Vater zu Hause war, wusste ich nicht. Manchmal war er da, manchmal nicht. Ich lugte also ins Wohnzimmer, in dem mein Vater auf einem Sessel saß und schlief. Er sah so friedlich aus. Als ich genau hinsah, erkannte ich den kaputten Bilderrahmen mit dem Foto von unserer Familie. Augenblicklich zog sich mein Herz zusammen. Der Anblick schmerzte, weil ich wusste, dass er Mama tief im Inneren genauso vermisste wie ich. Er fehlte ihr genauso. Ich hob die Wolldecke, die auf den Boden gefallen war, auf und legte sie ihm über die Beine, damit er nicht frohr. Die leere Bierdose schmiss ich auf dem Weg in mein Zimmer weg. Oben legte ich meine Schulsachen weg und machte mich sofort für meinen ersten Abseitstag bereit.

Ich schaute am Wohnzimmer nochmal kurz vorbei und verließ abschließend das Haus. Nach einer nicht allzu langen Busfahrt kam ich auch schon im besagten Café an. Es war ein schönes Geschäft und wenn ich die Möglichkeiten hätte, würde ich hier öfter als Kunde hingehen. Ich öffnete die Tür und über mir klingelte ein helles Glöckchen, das mich freundlich begrüßte. Ich lief auf die Theke zu, an der eine Frau mittleren Alters stand. Sie hatte ein Telefon zwischen Wange und Schulter geklemmt und sah ziemlich gestresst aus. Ihre hellen zusammengebundenen Haare wirkten ein kleines bisschen zerzaust, aber alles in allem sah sie freundlich und zuvorkommend aus.

Erst jetzt schien sie mich zu bemerken, denn sie guckte hoch und fing an, zu lächeln. ,,Du Jade, ich ruf dich zurück. Sag Herr Brunnet, er soll die Bestellung genau so annehmen... Ja, ist mir egal. Bis dann." Sie legte auf und schmunzelte. ,,Hallo Liebes, du musst Caprice sein, richtig? Ich bin Miss Clarks, die Inhaberin vom "Take Your Time"."  Sie gab mir ihre Hand, die ich natürlich annahm. ,,Tut mir leid, dass ich bei deinem Bewerbungsgespräch vor wenigen Tagen nicht dabei sein konnte, aber ich hatte ein Problem mit den Waren und Mitarbeitern. Ganz stressige Woche." Sie fasste sich theatralisch an die Stirn. ,,Aber Melly hat mir ganz viel Gutes von dir berichtet. Sie ist sozusagen meine Stellvertreterin, weil ich eh so oft nicht da bin. Du darfst direkt anfangen. Komm mit nach hinten. Ich zeig und erklär dir noch einmal alles und dann gehts los." Sie klatschte euphorisch in die Hände und zog mich sofort mit. Im Hinterraum erklärte sie mir einiges und wir unterhielten uns auch lange. Sie und Melly sind wirklich nette Menschen und ich bin froh, hierher gekommen zu sein. Das Arbeiten wird zwar körperlich auch einiges ausmachen, aber ich hatte nun mal keine andere Wahl.

Inzwischen sind noch anderthalb Stunden vergangen und zusammen mit zwei anderen Mitarbeitern regelte ich die Bedienung. Ich hatte heute schon ein paar Sachen verschusselt, aber Miss Clarks war geduldig und zeigte mir auch ein zweites und drittes mal was ich besser machen könnte. Ich musste noch viel lernen, aber es gefiel mir, weil ich den Kopf frei bekam. Ich stellte gerade das Tablett an der Theke ab und wurde von Melly angelächelt. ,,Das machst du gut. Bring bitte das noch zu Tisch 9." Sie reichte mir zwei Kaffee, die ich ihr entgegennahm und mich anschließend direkt umdrehte. In dem Moment ging die Tür auf und ein zartes Klingeln ertönte. Der Druck in diesem Raum stieg und ließ mich die Luft anhalten. Die Stimmung veränderte sich, weswegen ich meinen Blick hob und zur Tür schaute.

Wie eine kleine Explosion, als das Grau auf meine grünliches Blau stieß.
Wie eine stumme Unterhaltung für den Bruchteil einer Sekunde ohne Wörter.
Wie ein kleiner Sandsturm, der dir entgegen kam und eine Brise kleiner Steine ins Gesicht wehte.
Ich konnte das Feuer in seinen Augen sehen.

Mir wurde heiß.

Für einen kleinen Moment dachte ich, ich würde in Nicks Augen sehen. Aber das tat ich nicht. Das waren nicht seine Augen. Es waren die Augen einer fremden Person, die mir so bekannt vorkam, sodass ich eine unangenehme Gänsehaut kriegte. Die Zeit lief nicht weiter und es schien, als würde alles anhalten. Nur unser Augenkontakt stand im Mittelpunkt.

Wer ist das?







Es tut mir schon leid, dass ich so oft solche Cuts mache. Aber umso mehr freut man dich doch dann auf das nächste Kapitel oder?
Mir gehts wieder etwas besser, deswegen konnte ich gestern noch für euch dieses Kapitel schreiben. Bin froh, dass ich es diesmal samstags geschafft habe.
Ein paar haben schon Vermutungen geäußert, wer das sein könne. Denkt ihr das immernoch?:)

BesessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt