Kapitel 63

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Bedrückende Stille umgab mich wie eine zweite Haut, die mich umhüllte und vom Rest der Welt verschloss. Fast schon schwerelos wurde ich mit meinem dunklen Umfeld Eins und schien mich aufzulösen.

Das laute Atmen meines Vaters löste diese Illusion auf und sog mich ein bisschen mehr in mein Sein in der bedingungslosen realen Welt. Wie gerne ich mich im Raum von Nichts auflösen wollen würde.

Schwere Atemzüge, die von Anstrengung prägten, hinterließen eine Gänsehaut auf mir. Es werden die letzten Momente sein, die ich erleben werde. Und wie absurd das war.. Ich habe doch selber Krimis gesehen, in denen solche für mich unvorstellbaren familiären Fälle aufgespürt wurden, bei denen es sich ja oft um Morde im engeren Bekanntenkreis handelte. Und bald würde auch in unserem Haus ein Kriminalbeamter stehen und irgendwelche mit Plastik umhüllten Männer würden mich in ein Tuch umwickelt hinaustragen. Total krank. Plötzlich ist es Realität, dass dich dein eigener Vater erwürgen will.

Ich konnte es nicht verhindern, dass mir eine Träne aus dem linken Augenwinkel entfloh. Meine salzige Tränenflüssigkeit benetzte meine Wange und hinterließ eine feuchte Spur. Anschließend tropfte sie ab und ich war mir sicher, dass sie ihren weiteren Weg auf seinen Händen fortführte.

Doch das, was als nächstes passierte, war wohl etwas, womit ich hätte rechnen müssen.

Ruckartig lösten sich die Hände von meinem Hals, noch bevor ich mich der Dunkelheit vollkommen hätte hingeben können. Automatisch zogen meine Lungen den Sauerstoff ein, nach dem sie schon zu lange bettelten. Überwältigt von diesem Schub musste ich heftig Husten und wurde von einem Schwindelgefühl überrumpelt. Ich öffnete meine Augen und sah wie mein Vater mit einer blutenden Lippe am Boden lag und vor Zorn zitterte. Vor ihm kein anderer als die Person, von der ich noch so unendlich viel lernen konnte, aber mich dennoch fürchtete. Kein anderer als mein Retter.

Mit erhobenem Haupt bäumt sich der Braunhaarige aggressiv über meinem Erzeuger auf und schaut ihn mit hasserfüllten Augen an. Wie in einem Rausch nimmt er keine einzige Sekunde seinen Blick von ihm.

,,Oh mein Gott, Nick", kam es weinend von mir. Ich wollte ihn so gern umarmen und in seiner Sicherheit versinken. Völlig fertig stand ich im Raum und wurde keine zwei Sekunden später in eine feste Umarmung gepackt und beinahe schon erdrückt. Doch das störte mich kein bisschen.

Nick hatte sich von seinem geschwächten Opfer gelöst, um mich zu umarmen. Scheiße, ich war ihm so dankbar.

Ich krallte mich in sein Shirt und fing laut an, zu weinen. Wir beide zitterten. Ich, aufgrund der grässlichen Angst, und er, weil abgrundtief große Wut sein Gemüt dominierte. Er löste seine Arme von mir und drehte sich meinem Vater zu, der inzwischen wieder aufgestanden war. Doch jeder im Raum wusste, dass ein Blickduell allein nicht reichen würde, was meine Tränen natürlich nicht trocknete.

Mein Vater ballte seine Fäuste und schrie uns an. ,,Du Bastard, verpiss dich aus meinem Haus." Nick zuckte kein Stück zusammen im Gegensatz zu mir. Ich hätte jetzt wieder den Kopf eingezogen und wäre in die Defensive gegangen, doch nicht mit Nick. Er strahlte solch eine Stärke aus, sodass man allein das Gefühl hatte, selber stark zu sein, nur weil er auf deiner Seite war.

,,Seien Sie mal ganz ruhig. Wenn hier einer ein Bastard ist, dann sind Sie das", lachte er spöttisch und ließ sich nicht von der pochenden Pulsader am Hals meines Vaters beirren. Vermurlich pochte seine genauso vor Wut.

,,Du Hund! Du hast hier nichts verloren. Das geht nur sie-" Er zeigte auf mich. ,,-und mich was an." Der Bruanhaarige zog einen Mundwinkel hoch und sah ihn teuflisch an. Er kam ein paar Schritte auf ihn zu geschlendert und wirkte ganz entspannt.

,,Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue, aber mein Vater sah ihn bloß verächtlich an. ,,Bildest du dir etwa ein, jemand besonderes zu sein?" Nick machte noch einen Schritt vorwärts und blieb dann vor ihm stehen. Aufgrund seiner Größe konnte er ein kleines bisschen auf meinen Papa hinabgucken.

,,Hovis mein Name. Nick Lennox Hovis", sprach Nick bedacht aus und wartete seine Reaktion ab. Mein Vater schien sich erst nicht im Klaren zu sein, jedoch ging ihm ziemlich schnell eine Lampe auf und seine Augen weiteten sich immer mehr. ,,Hovis", flüsterte er ungläubig nach. Schockiert starrte er Nick an und über meinem Kopf bildete sich ein kleines Fragezeichen. Zeigte er da etwas Angst vor ihm?

Ich wollte gerade ansetzten, zu sprechen, als mein Erzeuger es mir zuvor tat.

,,E-Es.. Sir, das wusste ich nicht. Ich-", versuchte er sich rauszureden. ,,Halt die Klappe", unterbrach Nick ihn erniedrigend. ,,Ich hasse es, wenn man mich verärgert." Er fing an, zu schmunzeln. ,,Und das sollten Sie wissen." Er legte seinen Zeigefinger waagerecht an seinen Hals und fuhr mit diesem langsam dessen Frontalseite ab.

Papa fluchte leise und schaute zu mir. Er kniff seine Augen zusammen und vermittelte mir somit Wut, Verabscheuung und Abneigung. Und es tat weh. Nicht nur die Abdrücke an meinem Hals werden Spuren hinterlassen, nein, auch sein Blick, den er mir in diesem Moment schenkte.

Und ohne, dass einer hätte reagieren können, schlug Nick ihn. So heftig, dass er einen schmerzvollen Laut von sich gab und sich meine Nackenhaare aufstellten. Er holte erneut aus und erneut stöhnte mein Papa vor Schmerz auf. Er reagierte jedoch und versuchte sich zu wehren, was aber nicht klappte. Nick war erbarmungslos und ich war wie gelähmt. Was macht man, wenn der eigene Vater verprügelt wird? Helfen natürlich! Aber ich konnte nicht. Mein Körper bewegte sich nicht.

,,Geh dazwischen", rief mein Inneres, erreichte den Zugang zu meinem Körper jedoch nicht.

Mein Mund wurde ganz trocken als ich beobachten musste, wie Nick nach meinem Vater trat, bis er so gut wie regungslos am Boden lag. Meine Knie wurden weich.

Ich öffnete meinen Mund einen Spalt, aber kein Ton kam raus. Meine Stimme war zu schwach.

Der Braunhaarige hockte sich grinsend vor ihn. Seine Züge zierten Spott und Hass. Ich wusste, dass er gerade voller Wut war, er schien es aber in seiner Mimik und Sprache unter Kontrolle zu haben. Er packte das Haar seines Hinterkopfes und zwang ihn, nach oben zu sehen.

,,Du wirst nie wieder Hand an sie legen, haben wir uns verstanden?", fragte er rhetorisch. Mein Vater hatte keine Kraft, zu antworten, weswgen Nick ihn fester packte. Quälend kamen dann seine Worte über die Lippen. ,,J-ja, Mr. Hovis."

Einerseits sollte ich erleichtert sein, andererseits fühlt sich meine Brust aber so an, als würden Backsteine drauf liegen, die es mir schwer machen, zu atmen.

Nick hat gerade meinen Vater kurz vor die Ohnmacht geprügelt.

Völlig starr schaute ich in die Augen von ihm, wie er blutend und röchelnd am Boden lag und um sein Leben winselte, wie ich es zuvor immer tat. Ich verspürte dennoch keine Genugtuung ihm gegenüber, vielmehr Mitleid.

,,Er wollte dich töten", sprach Nick genau das aus, was meine innere Stimme hätte sagen wollen.

,,Ich weiß."

Ich sollte der Tatsache ins Auge schauen. Nicht das ignorieren, was als Geschehnis die Realität und somit Freiheiten einschränkt und Entscheidungen dominiert und lenkt. Stelle mich dem, was vor mir passiert.

Ohne der Konfrontation kann es kein gutes Ende geben.

Und ohne gutem Ende, werde ich in meinem versifften Loch, den Namen ,,Leben" tragend, tausend Tode schmorren.






Also zugegebenermaßen bin ich mit dem Ende nicht voll und ganz zufrieden, aber ich werde mein Buch sicherlich irgendwann, wenn ich fertig bin, überarbeiten.
Ich hab gelesen, viele sind der Meinung, Marvin ist der, der die anonymen Nachrichten schreibt:)
Hättet ihr genauso wie Caprice oder gar Nick gehandelt, wenn ihr könntet?

Schreibt Verbesserungsvorschläge, wenn ich mögt.

Schönen Montag noch

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