Kapitel 22

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Mit einem pochendem Schädel wachte ich gerädert auf. Mein Gesicht verziehend hielt ich mir meinen Kopf und massierte anschließend meine Schläfen.
Ich sah mich um.
Ich lag in meinem Bett, in dem mich graue Bettwäsche mit weißen Bärchen am Ende verziert umgab. Sie war von früher und solange keine fremde Person diese sehen konnte, war es mir egal, was in meinem Zimmer aufzufinden war.

Sonnenlicht erhellte den Raum, da die Gardinen mal wieder nicht zugezogen wurden. Ich rieb mir verschlafen meine Augen. Es müsste schon ca. elf Uhr sein, nach dem Licht zu urteilen.

Ich sah zu den Fenstern und plötzlich stand da meine Mutter, die mich herzlich anlächelte. Ihre Gestalt war leicht zu blass und stumm. Sie sagt nichts, aber bewegte ihre Lippen, als würde sie mit mir reden. Daraufhin drehte sie sich zum Fenster um und schloss genießerisch ihre Augen. Ihren Kopf wendete sie wieder zu mir und blickte mich auffordernd an. Ich bewegte mich langsam und schob meine Decke zur Seite. Wie hypnotisiert ging ich auf sie zu und wurde immer schneller. Verzweifelt wollte ich meiner Mutter näher kommen.

,,Mama!"

Mit großer Vorfreude lief ich auf meine liebevolle Mutter zu, nicht realisierend, dass es nichts weiter als eine Illusion war. Ich lächelte breit.
Doch es erlosch sofort als ich sah, dass ihr Gestalt auflöste. Sie verblasste.

,,Nein, nicht."

Ich streckte meinen Arm aus. Ich wollte sie berühren. Endlich ihre Wärme spüren.
Sie streckte ebenfalls ihre Hand nach ihr aus, doch sie wurde Eins mit der Luft. Als ich kurz davor war, sie zu berühren, verschwindet ihre Gestalt komplett.

Langsam blieb ich wieder stehen, senkte wieder meinen Arm und stand leer im Raum. Stille umgab mich. Nur Vögelgezwitscher und dumpfes Rascheln der Blätter war zu vernehmen.
Wie konnte ich auf meine Illusionen reinfallen? Mein Verstand spielt mir Streiche und ich bin so naiv, es zu glauben.

Nein falsch.

Ich wusste, dass ich halluziniere, aber wollte es einfach nicht wahrhaben. Ich wollte glauben, dass meine Mutter vor mir stand und mich anlächelte, wobei es mir immer warm ums Herz wurde.
Ihr Tod ist schon Jahre her; wieso konnte ich nicht so weiter leben wie früher?

Ich fasste mir noch einmal an meinen schmerzenden Kopf und musste mich direkt an gestern Nacht erinnern. Ich war krank. Ich musste meine Beruhigungstabletten nehmen, damit das nicht ausartete.

Ich lief also zu meinem Rucksack in den Flur. Mein Vater war nach seinem nächtlichen Ausgang bestimmt direkt verkatert zur Arbeit gefahren. Mich wunderte es, dass er noch nicht gefeuert wurde. Er kam oft so zu seiner Arbeitsstelle und hatte auch schon einmal ein Gespräch mit seinem Arbeitgeber, doch er konnte sich glücklicherweise herausreden, was uns dann noch unser, wenn auch weniges, Einkommen beschaffte.
Und ich musste mir heute dringend einen Job suchen. Ich muss noch einige Bewerbungen abschicken und darauf hoffen, dass ich das Interesse der Abteilungsleitungen oder Café-inhaber geweckt habe. Sonst hätte ich ein riesengroßes Problem.

Bei meiner Tasche angekommen kramte ich nach den Tableteten und fand sie auch auf Anhieb. Ich öffnete den Decken und schüttelte die Dose vorsichtig, sodass eine auf meine Hand herausfallen konnte. Ich schloss den Deckel wieder und schmiss sofort das weiße kleine Zaubermittel in meinen Mund. Dabei neigte ich den Kopf leicht nach hinten und schluckte sie ohne Flüssigkeit hinunter.

Es war inzwischen schon Vormittags und ich empfand es als gute Idee Nicks Rat zu Hause zu bleiben zu befolgen. Auch wenn es weniger ein Rat als ein Befehl war. Aber ich sollte ihm noch einmal danken. Ohne ihn stünde ich höchstwahrscheinlich wieder unter Drogensucht.

Catherine hatte doch tatsächlich heute Mittag hier angerufen, was mein Herz ein bisschen zum aufblühen brachte. Ich war doch nicht allen egal. Jedenfalls erreichte sie mich logischerwei nicht auf meinem Handy, sondern auf dem Festnetz; das Handy hatte ich ja seit dem vorigen Abend nicht mehr. Meine Freundin rief auch unter Vorwand dessen an. Ich würde auf ihre Nachichten nicht antworten.
Anschließend hatte sie mich ausgequetscht, wo ich die letzten Tage gewesen sei und dass ich doch bis zur Poolparty von Kate top fit sein sollte, sie würde jetzt auch noch schon Mittags beginnen. Und diesmal würde sie keine Entschuldigungen hinnehmen, wobei ich nur lachen musste und ihr versprach hinzugehen, egal was sein sollte.

Daraufhin hat sie mir stundenlang von dem ach so tollen Joseph erzählt, der ihr eine herzzerreißend süße Überraschung gemacht hat. Ich musste also danach augenverdrehend, aber auch leicht amüsiert, zuhören, wie sie über ihren Freund redete. Doch ich gönnte es ihr, auch wenn ich bezweifelte, dass er es wirklich ernst mit ihr und sie ernst mit ihm meinte. Im Grunde war es doch nur einer von vielen, die sich ihre Zeit mit Catherine vergnügten. Immerhin war sie einfach ein Eye-catcher. Groß, tolle Figur, feminin, lange volle Haare, sportlich, ausdrucksstarke Augen und ein selbstsicheres Auftreten... Wer fand sie schon nicht perfekt?

Und aus meiner Bewunderung entstand leider manchmal diese Komplexe, die sich unter meine Haut fraßen. Ein Blick auf ihr schönes Gesicht und ich verspürte Neid und Unsicherheit. Ich wollte auch so eine gerade Nase haben, so volle Lippen und solch eine Ausstrahlung. War das zu viel verlangt?

Ich sah in den bodentiefen Spiegel, der in meinem Zimmer aufgestellt war.

Ein kleines, zierliches Mädchen blickte mir entgegen. Ihre Augen groß, ihre Stupsnase klein und unauffällig und zusätzlich von wenigen Sommersprossen umgeben, schmale langweilige Lippen, eine Narbe am linken Mundwinkel, blonde Haare bis unter die Brust..

Ich sah tiefer.

Wenig Rundungen, ihre Beine nicht sonderlich lang, die in ebenfalls eher klein geratene Füßen endeten.

Alles in allem eher übersehbar. Wie gern ich doch solche Beine bis zum Himmel und ein unwiderstehliches Lächeln wie Catherine hätte.

Ich wendete meinen kritischen Blick ab, nur um mit einem Blick auf die Uhr festzustellen, dass es bereits 15 Uhr war. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, noch einmal Nick zu besuchen, aber belästigen wollte ich ihn keines falls. Vielleicht war er schon genervt von mir und würde es nur bereuen, mir geholfen zu haben, wenn ich noch heute bei ihm aufkreuzen würde. Also ließ ich es lieber sein, um eventuell morgen nach der Schule zu ihm zu gehen. Den Weg würde ich schon finden.

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