Kapitel 10

9K 274 17
                                    

Ich spürte, wie eine Lichtquelle durch meine Augenlider drang. Leises Zwitschern von Vögeln war zu hören.
Quälend langsam öffnete ich meine Augen und blieb erstmal noch so liegen. Es war noch früh. Ich hatte noch Zeit.
Meine Augen huschten zu meiner Uhr.

6:03 Uhr.

Genügend Zeit.
Da ich vor meinem Wecker aufgewacht war, konnte ich ihn direkt ausschalten.
Ich holte einmal tuef Luft und rieb mir meine Augen.
Es war definitiv zu früh.

Mühsam erhob ich mich. Ich schlenderte zu meinen Kleiderschrank, pickte mir frische Klamotten raus und ging anschließend ins Bad, mich fertig machen.
Als ich fertig war, schnappte ich mir noch meinen Rucksack und schlenderte die Stufen hinab. Papa schläft sowieso noch.
Unten packte ich einen Apfel in meine Tasche und verließ pünktlich das Haus. Sie kühle Morgenluft machte mich direkt wacher und meine Lunge füllte sich wieder mit frischem Sauerstoff.

An der Bushaltestelle stieg ich in meine Linie ein. Natürlich war es mal wieder rappelvoll. Ich wurde von zwei Mädchen eingequetscht, die sich kichernd über eine Frau im Bus lustig machten und von irgendeinem Jungen schwärmten. Uninteressant. Total uninteressant.

Nach einer 30 minütigen Fahrt, kam ich dann auch schon am Schulgelände an. Alle standen in ihren Grüppchen rum und umarmten den jeweils anderen oder rissen schon am frühen Morgen schlechte Witze. Wie immer eben.

Ich fühlte mich jedoch in der Schule unsichtbar, wie vergessen.
Keiner sprach mit mir, man rämpelte mich an, ohne Entschuldigung, und übersah mich beim Zählen. So war es schon immer gewesen. Ich wurde schon im Kindergarten vergessen. Während alle Kinder zusammen im Sandkasten spielten, stand ich daneben und wollte mitmachen. Doch als ich einmal schüchtern gefragt hatte, ignorierten sie mich alle und spielten weiter. Danach hatte ich es aufgegeben und war in der Freizeit immer alleine. Die Erzieherinnen hatte es auch nicht interessiert. Sie hatten ihren Job ja gemacht.
Meine sehnsüchtigen Blicke, die ich den Mädchen und Jungen zuwarf, wurde ebenfalls nicht beachtet.
Ich war für sie Luft.

Nachdem alle in die Klassenräume gegangen waren, begann auch schon der
Unterricht. Ich saß neben Catherine. Wir unterhielten uns nicht viel. Schließlich hatte sie ja selber noch andere Freunde.

8 Schulstunden später war auch schon der Schultag für mich rum. Meine Freundin musste schnell los, da sie mit ihrer einen Freundin und Joseph auf ein Konzert gehen wollte.
Ich packte meine Sachen in meinen Ranzen und lief alleine nach draußen. Sehr zügig.
Ich wollte sie nicht sehen. Ich musste schneller als sie sein, sonst würden sie mich wieder abfangen. Ich beschleunigte also meine Schritte erneut. Ich sprintete an allen Schülern vorbei zum Ausgang. Erleichtert, dass ich schon fast den ganzen Hof überquert hatte, ohne sie zu sehen, fing schon an mein Mundwinkel zu zucken.
Mein Grinsen jedoch erfror, als ich meinen Namen laut rufen hörte.

Nein, nein, bitte nicht schon wieder!

Langsam drehte ich mich zu diesen mir allzu bekannten Stimmen um und schluckte kurz.
Jason, Valentin und Maddox.
Drei Jungs aus dem Jahrgang über mir. Valentin war mal sitzen geblieben und war somit schon zwei Jahre älter.

Schon lange hatten die drei ein Auge auf mich geworfen. Aber nicht im positiven Sinne, nein, sie verspotteten, beklauten und mobbten mich. Oft standen noch Mandy, Nina, Kylie und Tiffany daneben und kicherten. Einmal hatten sie mir nach der Prozedur der Jungs noch ins Gesicht gespuckt. Aber das war nur ein einziges mal. Ansonsten waren sie nur Zuschauer oder nicht beteiligt. War mir aber auch gleich, muss ich gestehen.

Alle drei kamen gelassen und mit einem widerlichen Grinsen auf mich zu. Ich verlor an Haltung und man sah mir wohl an, dass sie mir etwas Angst machten.
,,Naaa? Wen haben wir denn da?" Die Kälte in Maddox Stimme war nicht zu überhören.

,,Die kleine Caprice", ergänzte Valentin amüsiert.

Ich trat einen kleinen Schritt zurück und kramte hektisch Geld aus meinen Taschen. ,,Ich habe nur 4,65€. Ihr müsst mir glauben!"
Jason nahm sich das Geld aus meiner Hand und steckte es ein.
Ich hielt ihnen auch sofort meinen roten Apfel von heute morgen unter die Nase, den ich noch nicht gegessen hatte. ,,Und ich hab nur noch diesen Apfel, ehrlich!"

Die drei Jungs schauten mir direkt in die Augen. Sie spiegelten finstere Dunkelheit wieder. Ihr Zorn und ihre Eitelkeit war durch ihre dunklen Blicke fast greifbar.
,,Ich schwöre es euch, heute habe ich nicht mehr dab-"
Mein Satz wurde unterbrochen, als Jason gewaltig den Apfel aus meine Hand schlug. Geschockt schaute ich diesem nach. Er rollte im Dreck weiter und Dellen haben sich gebildet.

Rot war die Farbe des Schicksals. Vor nur wenigen Sekunden war es noch frisch und lebhaft. Jetzt ist sie bräunlich, schrumpelig und kaputt. Die Hoffnung war noch in dem Rot. Aber das Rot ist nun verkommen. Es ist vorüber, die Hoffnung veraltert. Das ist mein Schicksal. Nur, dass mein Leben ihre Wendung schon vor langer Zeit genommen hat. Und ich habe die Zeit, in der es noch hell war, nicht wertgeschätzt. Ich habe meine Chance vertan.
Mein Rot ist schon braun. Meine Hoffnung ist schon verloren.

BesessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt