Kapitel 62

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Seit ich Marvin begegnet bin, lässt mich Nick kaum mehr alleine. Mit vollkommener Kontrollsucht bestimmt er mein Leben und so langsam entwickelte sich eine gewisse Wut auf ihn. Wer gab ihm das Recht? Aus diesem Grund verschwieg ich ihm auch die Nachrichten von Unbekannt. Sie spukten ununterbrochen in meinem Kopf herum, aber Nick würde nur wieder unnötig viele Gegenmaßnahmen einleiten, die ich zum Wohl aller vermeiden möchte. Immerhin war unberechenbar.

Ich saß in der Küche von besagtem und rührte gedankenverloren in meinem inszwischen schon erkalteten Tee herum. Der Zucker hatte sich schon vor Minuten aufgelöst und die Tasse klebte außen schon ein bisschen, da die Flüssigkeit durch das Umrühren schon wenige Male über den Rand geschwappt war. Auch das Hinausblicken durch das Fenster auf die mit Lichter versetzten Stadt, beruhigte mich irgendwie nicht. Seuftzend erhob ich mich, ließ den Tee vor Ort stehen und machte mich auf den Weg zu Nicks kleines Arbeitszimmer. Und zwar nicht das Verbotene, sondern das, wo ich selber rein durchte und schon zwei mal bisher drinnen war. Und apropos Arbeitszimmer: noch immer wusste ich nicht, was genau Nick arbeitete. Er verschwand nur ab und zu mal in deinem kleinen Büro oder war auf seiner offiziellen Abseitsstelle, aber wissen, wo diese war und was es für eine ist, tat ich nicht. Oder vielleicht durfte ich nicht.

Leise klopfte ich an die dunkle Holztür vor mir. Als ein männliches ,,Ja" ertönte, drückte ich die Klinke herunter und lief mit kleinen Schritten in das moderne Büro hinein. Nick saß in seinem Chefsessel und blickte runter zu seinen Unterlagen. Er hatte eine Telefon zwischen Wange und Schulter geklemmt und unterhielt sich angeregt.

,,Jaja, machen Sie es einfach." Er kratzte sich an seinem Kinn und blätterte währenddessen in irgendwelchen Seiten herum. ,,Wissen Sie was? Es ist mir eigentlich scheißegal, was Mr. Earl davon hält. Richten Sie ihm einen schönen Gruß aus."

Erwartungsvoll schaute mich Nick nun endlich an und hatte ein kleines charmantes Lächeln aufgesetzt. Augenblicklich kam mir mein Anliegen total lächerlich vor.

,,Mir ist langweilig, Nick. Kann ich dir vielleicht bei irgendetwas helfen?"

Er zog seine Augenbrauen hoch und sah mich zweifelnd an. Dann rückte er mit seinem Stuhl etwas nach hinten und lehnte sich zurück.

,,Du willst mir helfen?" Ich nickte angeregt, woraufhin er schmunzelte. ,,Baby, du kannst mir nicht mehr helfen, als wenn du mir einfach Gesellschaft leistest." Er klopfte auf seinen Oberschenkel. ,,Komm her", forderte er mich auf. Zörgerlich kam ich auf ihn zu, blieb aber einen Meter vor ihm unentschlossen stehen. Nick ergriff jedoch mein Handgelenk und platzierte mich mit leichten Druck auf seinem Schoß. Er schlang sofort seine muskulösen Arme um meine Taille und ließ seinen Kopf in meinem Nacken versinken, weswegen ich eine Gänsehaut bekam und ein wohliges Seuftzen unterdrücken musste.

Er roch an meinen Haaren und lachte kurz und kaum hörbar auf. ,,Wir fahren gleich zu dir nach Hause und holen ein paar Sachen für morgen" hauchte er. Neugierig sah ich ihn aus dem Augenwinkel an. ,,Für morgen?" Er nickte. ,,Was ist morgen?"

Nick schmunzelte und schob mich von seinem Schoß. Er packte ein paar Ordner in ein Regal und wollte den Raum verlassen. Mit mit als Anhängsel natürlich. ,,Nick?", fragte ich erneut nach, während wir den breiten Flur entlang liefen.

,,Kann ich dir nicht sagen, soll eine Überraschung werden." Er pickte seine dunkle Jacke vom Haken und zog sie sich über sein dunkelblaues Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren. ,,Zieh dir deine Jacke an und nimm deinen Haustürschlüssel mit." Ohne Widerworte tat ich sie gehießen und zog meine Jacke an. Gemeinsam liefen wir dann in die Garage des Gebäudes und liefen auf seinen mir anfangs schon bekannten Porsche hin. Auf dem Beifahrersitz nahm ich Platz, ehe er losfuhr Richtung mein Zuhause.

Nach nicht allzu langer Zeit stieg ich vorsichtig aus und hoffte inständig, dass mein Vater nicht zu Hause war und noch schlimmer: dass mein Vater Nick sah. Dieser war gerade dabei ebenfalls auszusteigen, als ich ihn daran hinterte. ,,Nein, warte hier lieber." Ich lächelte ihn beruhigend an. ,,Ich beeile mich und bin gleich wieder da." Widerwillig gab er nach und setzte sich wieder auf seinen Sitz. ,,Aber wenn das Kätzchen zu lange braucht, komme ich nach", neckte er mich, woraufhin ich nur die Augen verdrehen konnte. ,,Ah ah ah!" Er zeigte mit seinem Zeigefinger warnend nach oben und machte mir somit auf mein unsittliches Verhalten aufmerksam. Als Antwort darauf schlug ich die Autotür zu und lief den Weg hoch zu meinem Haus.

Angekommen schloss ich die Tür auf und lugte ins Haus. Licht brannte, aber ich konnte ihn nirgends ausmachen, weswegen ich schnell wie der Wind in mein Zimmer lief und mich direkt zu meinem Schrank begab. Nick sagte mir, ich solle alles, was in warmen Tagen zu gebrauchen ist, mitnehmen. Das Richtige würde schon dabei sein. Ich fand die Beschreibung ziemlich lasch, aber nähere Auskunft würde er mir auch nach mehrerem Nachfragen nicht geben, das habe ich nun herausgefunden. Also musste ich mich mit seinen Angaben zufriedengeben. Immerhin war ich selbst schuld, wenn ich ihn darum bat, nicht mit ins Haus zu kommen.

Grübelnd stand ich also da und pickte ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus, um es dann in eine Sporttasche zu packen. Während ich nach dem nächsten Stück greifen wollte, packte mich eine Hand und hielt mir grob den Mund zu. Völlig schockiert riss ich meine Augen auf und versuchte mich zu wehren, war aber viel zu schwach. ,,Na, wer kommt denn hier mal wieder nach Hause?" Keuchte er angestrengt in mein Ohr. Ich bekam Tränen in die Augen. Unfähig, etwas zu äußern, starrte ich gerade aus. ,,Weißt du, wer mich angerufen und mir gepetzt hat, dass meine Tochter ihre Abrbeitsstelle mit einem jungen Mann verlassen und nicht wiedergekommen ist? Ja, richtig, deine Arbeitskollegen." Er verfestigte den Griff woraufhin ich aufwimmerte.

,,Und jetzt frage ich mich, warum meine Tochter so etwas unzuverlässiges machen sollte. So hab ich dich niemals erzogen." Er begann zu schreien. ,,Wir brauchen das Geld doch! Was denkst du dir?!" Mein Vater schubste mich mit einer Wucht nach vorne, sodass ich mit der Stirn an die Schrankkante knallte. Er zeigte drohend mit dem Finger auf mich. ,,Wenn du deswegen gekündigt wirst, wegen deiner Probezeit, prügel ich dich zu Tode, Kind. Du wirst dir wünschen, niemals mit diesem Typen gesprochen zu haben. Du wirst dir wünschen, niemals deinen Vater enttäuscht zu haben." Er lief auf mich zu und packte mich an Kragen, während ich versuchte, mich aufzurichten. ,,Wenn ich wegen dir meine Schulden nicht abbezahlen kann diesen Monat, wirst du dir wünschen, niemals in meinem Haus gewohnt zu haben."

Gedemütigt schaute ich nach unten und sprach einen Satz aus, der mir Leben kosten könnte.

,,Tu ich doch jetzt schon."

Mein leises Flüstern war wie das Kreischen eines Sterbenden getränkt mit Wut und Angst. Grässliche Laute schallen. Fürchterliche Kälte umgibt mich. ,,Nein", schreit meine blasse Seele. Reuevolles Schreien.

Und wie auf Kommando flog mein Kopf hart zur Seite. Ich hatte es geahnt und verdient. Immernoch nicht schaute ich hoch; wollte das wutverzerrte Gesicht nicht sehen. Kurz darauf verspürte ich einen Druck an meinem Hals und fühlte, wie meine Lunge nach einem Sauerstoffmangel schrie. Histerisch umgriff ich seine Hände, die mich immer weiter in die Ohnmacht trieben. Dunkle Punkte sammelten sich in meinem Blickfeld, bildeten Mosaike des Todes und trübten mein Umwelt.

Ein letztes Mal hob ich meinen Blick und sah hoch in das verzerrte Gesicht meines Papas. Der Papa, der mir vor nicht mal 7 Jahren noch einen liebevollen Gutenachtkuss gab und mir sanft den Kopf streichelte, wenn er seinen Stolz aussprechen wollte. Der Papa, der früher immer seine Liebe zu uns allen lebte. Alles gehäuchelt. Voller Lügen.

Seine Augenbrauen zogen sich immer mehr zusammen und seine Augen entfechteten ein Feuer, das ohne Kontrolle sich ausbreitete.

Und kurz bevor ich wusste, dass es vorbei war, schloss ich meine Augen, um meinem Vater den Anblick toter Augen seiner Tochter zu ersparen.

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