Idiot Teil9

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Alles was Ginger über den Täter und seine Opfer gesagt hatte, hinterließ einen tiefen Eindruck bei Luke. Dieses perverse Drecksschwein musste so schnell wie nur möglich gefunden und seiner gerechten Strafe übergeben werden, bevor noch mehr geschah. Er war deswegen noch aufmerksamer und wachsamer bei der Arbeit, als am Abend zuvor. Wieder saß ein Kollege vom Yard an der Bar, der die Abläufe dort genau im Visier hatte, während Luke den beweglichen Beobachter gab. Er lief noch häufiger mit seinem Tablett von den Lounges oder Stehtischen zur Bar, er kontrollierte noch gewissenhafter, ob auch bestimmt nichts herumstand und er beäugte so gut es ging die Jungs, bei denen es so aussah, als würde sich jemand an einen großen, schlanken Blonden oder Rothaarigen heranmachen. Wenigstens war der Kreis potentieller Opfer durch eben diese charakteristischen Eigenschaften doch recht eingeschränkt und bisher war der Täter nicht von seiner Vorliebe abgewichen. Luke selbst nahm sich vor, wie leichte Beute zu wirken, indem er ein bisschen extra flirtete oder sich anflirten ließ. Aber woran sollte man einen Psycho erkennen, wenn den schon vier Jungs nicht als solchen erkannt hatten? Oder hatten sie das und er hatte sie deswegen betäubt? Luke würde es darauf ankommen lassen, für Jamie aus Shoreditch und für Ginger. Er ließ sich zum Tanzen überreden, ganze dreimal, obwohl er dann seine Rolle als Kellner vernachlässigte. Aber das waren ganz normale Typen, die eben tanzen wollten, weil er ihnen gefiel oder weil er neu war oder weil sie sich sogar mehr erhofften. Ein anderer bot ihm direkt hundert Pfund an, wenn er mit ihm auf der Toilette verschwinden würde, was Luke entschieden ablehnte. Der Typ war dann auch gleich etwas pissig und schnappte ihn grob am Arm, aber als Luke sagte, er werde Big Bob und Tiny Tim holen, gab der nach und verzog sich. An der Bar war heute mehr als gestern die Hölle los. Eine besonders laute und chaotische Truppe hatte sich dort breitgemacht und immer wieder zupfte oder zerrte einer von denen an einem der Barkeeper herum, sodass es du deutlichen Worten und Gesten von Ginger und den anderen Jungs kam. Zweimal kamen die Bouncer dorthin. Einmal drohten sie nur, beim zweiten Mal schleppten sie einen der „Spezialgäste" hinaus. Danach entspannte sich die Situation ein wenig und um kurz nach 22.00 Uhr traf Luke hinten im Hof wieder auf Ginger, der dieses Mal schon vor ihm dort war.

„Ganz schön was los, heute", bemerkte er.

Ginger nickte und hielt ihm seine Zigaretten hin. „Willst du?"

Luke hatte es sich eigentlich so gut wie abgewöhnt, aber dann auch wieder nicht. „Danke." Er ließ sich von Ginger Feuer geben.

„Bis zum Wochenende wird das noch wilder", erklärte Ginger.

„Echt? Ich find's so schon krass wild."

Ginger wirkte jetzt etwas alarmiert. „Lass dir keinen Scheiß gefallen. Regel Nummer eins!"

„Ja, schon klar. Ich denke ich hab das im Griff." Da war sich Luke sogar sicher, immerhin war er als Polizist auch für den Nahkampf ausgebildet. Was immer die Bouncer taten, könnte er mindestens genauso gut. Nur wollte er seine Deckung nicht riskieren. Er könnte rein theoretisch Ginger und den anderen was beibringen, wie sie sich zur Wehr setzten könnten, aber auch dann würde seine Deckung auffliegen. Er zog an seiner Zigarette. „Wenn was ist, ruf ich die dicken Jungs."

„Gut."

„Hast du 'ne Ahnung, ob hier noch was anderes läuft?", fragte er dann, weil ihn das Erlebnis mit dem hundert Pfund Angebot beschäftigte.

„Was meinst du?" Ginger schaute halb neugierig, halb kritisch.

„Vorhin hat mir so'n Kerl Geld angeboten, wenn ich mit ihm mitgehe."

„Oh, Shit." Ginger verdrehte genervt die Augen und kickte einen Stein. „Mach's nicht. Sean schmeißt dich raus. Schon gar nicht, wenn hier 'n Irrer rumrennt." Er fixierte Luke ernst mit seinem Blick.

„Nein, sowieso nicht. Wie kommst du 'drauf?"

Ginger blinzelte und schaute zur Seite. „Keine Ahnung. Es ist... leicht verdientes Geld, wenn... Der eine oder andere macht's bestimmt."

„Machst du sowas?" In dem Moment, als die Frage kam, tat es Luke auch schon leid. Das war der Polizist der fragte, nicht er selbst. „Tut mir..."

„Waaas? Was für 'ne Art Verhör wird denn das hier, hm?" Der Rothaarige ging in die Offensive. Kein Wunder. Luke kam sich vor, wie ein Arsch. Und Ginger war noch nicht fertig. „Du hast mich tanzen sehen, Luke-Babe", ätzte er. „Ich bin kein Heiliger. Wenn du mal was von dir erzählst, Mister schwere Trennung, dann können wir weiterreden."

Shit. Shit. Shit. 

Bevor sich der Blonde versah, hatte Ginger seine Zigarette ausgetreten und war an ihm vorbei zurück in den Club gerauscht. Luke atmete schwer aus. Er hatte das nicht gewollt. Mehr noch, als keine Antwort auf seine Frage hatte er nicht gewollt, dass er den anderen mit der Frage verletzte. Denn der hatte Recht. Luke erzählte gar nichts. Nicht warum er von Sean die Möglichkeit bekam, im Club zu wohnen, nicht, warum er keine Freunde oder Familie hatte, bei denen er unterkam, nicht, was da eigentlich hinter der „schweren Trennung" steckte. Er war kein guter Lügner. Jedoch war er ein guter Versteher und konnte zwischen den Zeilen lesen. Ginger machte „sowas" oder hatte es gemacht. Und es hatte ihm wehgetan. Aber vielleicht war es besser so, wenn sie auf Abstand blieben, denn es könnte ja sowieso nichts davon kommen. Er war mit Blake zusammen und was da zwischen ihm und Ginger lief, das war rein körperlicher Art. Und es war vollkommen unnötig, dass er sich wegen ihm so zermarterte. Spätestens, wenn er irgendwann zugeben müsste, dass er ein Sergeant von Scotland Yard war, würde die Bombe platzen. Wenn er den jungen Iren dichter an sich heranlassen würde, dann wäre der Verrat nur noch größer. FUCK. Das war es, wie es sich anfühlte: Verrat. Dabei kannte er ihn kaum. Er musste sich einreden, dass der Zweck in jedem Fall die Mittel heiligte. Wenn der Fall erst gelöst, wenn die Männer im Club wieder sicher und auch Ginger wieder sicher wäre, dann würde er ihn verstehen. Wenn es nur erst so weit wäre... Er fühlte sich mies und holte sein Handy hervor. Wieder dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis Blake den Anruf annahm. „Hi, Süßer, hast du schon wieder Sehnsucht?"

Blakes Stimme tat gut. „Ja sicher. Und ich fühle mich gerade wie ein Lügner, weil ich denen hier nur was vormache."

„Was machst du ihnen denn vor? Bist du der super- heiße Neuling, der ihnen allen die Software in Hardware verwandelt?"

„Komm, Schatz, bleib mal ernst. So ist das nicht."

„Dann haben die keine Eier in der Hose."

Luke merkte, wie sich seine Geduld merklich verabschiedete. „Jetzt denk mal an was Anderes, ja?! Ich bin hier eher sowas wie der Lügner, dem man nicht trauen kann. Das ist ätzend und hilft mir nicht beim Weiterkommen mit den Ermittlungen."

„Wenn's dich so nervt, dann komm nachhause!"

„Was soll das denn jetzt? Du weißt doch, wie wichtig das ist, was ich hier mache! Da ist 'n Typ unterwegs, der Jungs abschlachtet!"

„Dann soll das eben wer anders machen", fand Blake, scheinbar völlig unbeeindruckt.

„Wie kannst du sowas sagen? Ich bin hier, weil ich das gut machen will. Und ich bin richtig gut! Ich krieg den Typen."

„Was gehen dich diese Rumtreiber und fremden Schwanzlutscher an? Wenn die in so 'nen Club gehen, dann müssen die sich nicht wundern. Komm lieber her und dann bist du gut zu mir und ich zu dir..."

„Warum bist du so ein Arsch, hä? Wie kannst du sowas sagen?"

„Du hast angefangen mit der Jammerei, ich versuche, dich zur Vernunft zu bringen..."

Luke drückte auf den roten Hörer. Einen Augenblick lang konnte er nicht glauben, was er da eben gehört hatte.Idiot.  Trotzig steckte er das Handy zurück in den Kellner- Gurt. Dieser Vollwichser von Serien-Vergewaltiger sollte es nur wagen, heute Abend hier aufzutauchen, dann könnte der sein blaues Wunder erleben. Hier würde keinem mehr irgendwas passieren, solange Luke auf Wache stand.

Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt