Arschloch Teil10

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Die nächsten Stunden verliefen nicht weniger anstrengend als die vorherigen, doch Luke hatte das Gefühl, dass ausgerechnet sein Zorn ihm die nötige Kraft gab, um trotz allem besonders aufmerksam und besonders vorsichtig zu sein. Weder seine Beine noch sein Verstand ermüdeten und so nutzte er jede nur mögliche Gelegenheit, die Tanzfläche oder den Loungebereich zu durchqueren und zu sondieren. Als das zu keiner neuen Erkenntnis oder Beobachtung führte, beschloss er, sich einen Platz auf dem Balkon zu suchen, von dem er einen guten Ausblick auf die Bar hätte. Er packte sich ein Tablett voll mit Drinks, damit die anderen nicht glaubten, er würde sich vor der Arbeit drücken, dann nahm er die Wendeltreppe nach oben. Gerade als er dort ankam, veränderte sich bereits die Lightshow im Saal, was andeutete, das schon bald Gingers Showtanz beginnen würde. Von seiner Position neben einem der Scheinwerfer konnte Luke beobachten, wie mehrere Gäste erwartungsfroh in Richtung der Bar drifteten, um sich dort einen Platz zu sichern, entweder auf einem der Hocker oder stehend in zweiter und dritter Reihe. Das mussten Stammgäste sein oder sie hatten davon gehört, dass der sexy Barkeeper vom Elysium hier regelmäßig eine Nummer hinlegte. Zweifelsohne hatte der junge Ire seine Fans und Luke fragte sich, ob er erkennen könnte, wenn darunter ein gewisser Jemand wäre, den die Darbietung eines höchst attraktiven Rothaarigen zu pervers- grausamen Fantasien anregte. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Ginger selbst zu fragen, was er überhaupt darüber dachte. Möglich war es immerhin, dass er mit seinem Tanz und seinem Haar ein nur allzu offensichtliches Ziel abgab. Wenn er das auch so sah, warum tanzte er dann? Wenn er das nicht so sah, welchen Grund hatte er dann dafür? Zwei potentielle Gründe fielen Luke hierzu ein: Ginger war selbst der Täter. Es gab genug Leute beim Yard, die immer wieder genau darüber gemutmaßt hatten. Der nordirische Barkeeper: leichter Zugang zu den Getränken, irgendein Kindheitstrauma oder Bürgerkriegserlebnis lässt den durchdrehen. Der andere Grund war vergleichsweise harmlos: Ginger wollte das extra Geld, also ging er das Risiko ein, vielleicht, weil er sich sicher fühlte, da er sich hier so gut auskannte und es garantiert sofort auffallen würde, wenn ausgerechnet er verschwände. Luke hoffte wirklich, dass die Profiler bald zu einem Ergebnis kämen, das Ginger entlasten und den Kreis der möglichen Täter weiter einschränken würde. Mit dem letzten Gedanken setzte nun der Song ein, den Sean als Gingers Song bezeichnet hatte und das Spektakel begann. Mit einem katzenhaften Aufschwung, bei dem er die Arme auf den Tresen stütze und mit den Beinen hindurchhockte, sprang Ginger auf die Bar und wurde sofort von einem Scheinwerfer erfasst. Luke hatte den Beginn noch nicht gesehen, doch ihm war bald klar, dass der Tanz heute nicht dem von gestern glich. Es gab also keine Choreographie, das war spontan und heute wirkte es nicht so wie gestern. Der Unterschied war Luke nicht sofort klar, doch dann bemerkte er es. Ginger war nicht wirklich bei der Sache, er ließ sich nicht so fallen, sein Blick fokussierte nichts und niemanden. Das da auf der Bar war Ginger und er war's auch wieder nicht. Für die Typen im Publikum schien das nicht den Unterschied zu machen, denn ganz sicher steckten die ihm nicht weniger Geld an den Bund. Verzweifelt versuchte der Polizist, zu erkennen, ob da irgendjemand auffiel. Völlig egal wie. Jemand, der versuchte, den Tänzer festzuhalten oder ihn ganz eindeutig zu begrapschen, ihm etwas anderes zusteckte außer Geld oder ihm irgendwas zugröhlte, was ihn irritierte. Aber nichts fiel auf, gar nichts, außer Gingers Lustlosigkeit. Das ist meine Schuld, ich war das, schoss Luke in den Sinn. Und er wollte es wieder gut machen. So bald es nur ging, wollte er das. Er beschloss, selbst zur Bar zurückzukehren. Die Drinks gab er gratis an eine Gruppe Studenten, dann schlängelte er sich durch die Gaffer vor, als plötzlich irgendein Idiot auf die Idee kam, sein Getränk auf die Bar zu kippen, sodass der Rothaarige ins Rutschen kam und seitlich aufschlug. Vor Überraschung ächzte er auf, dann schrie er los: „Blödes Arschloch, ich krieg dich!", und sprang den Mann von der Bar herunter an. In dem losbrechenden Tumult rief jemand nach den Bouncern, die sofort gelaufen kamen, ebenso wie Luke. Er drängte sich durch bis zu dem Knäuel aus zwei Betrunkenen, Ginger und Tiny Tim, das umringt von Schaulustigen miteinander rang. Ginger hatte einen Kerl niedergerungen und hielt ihn im Schwitzkasten, während der versuchte, ihn am Hemd zu packen, als Tim einen anderen, der sich gerade einmischen wollte heftigst wegschob, um sich Ginger zu schnappen, damit der von dem Gast abließ. „Beruhig dich", kam es von Tim, aber Ginger versuchte, sich loszureißen. Er sah, dass der Weggeschobene ihn angehen wollte, jetzt wo Tim seine Arme festhielt. Aber Tim hielt fest und so schnappte sich Luke den Typen gerade als der Ginger in den Bauch treten wollte. Er packte ihn am Bein, stieß ihn ruckartig nach hinten über und als er unten lag, nahm er ihn fest in den Polizeigriff. Jetzt kamen auch Big Bob und Tommy Lee hinzu. Der Letzte half dem von Ginger Angesprungenen auf und hielt ihn fest. Bob übernahm den Treter von Luke und beide Gäste wurden ohne viel Worte hinausgeführt. Mehr Worte gab's von Tim für Ginger. „Was'n los? Hast du den Verstand verloren? Der Typ war nur besoffen, das war bestimmt keine Absicht."

Ginger beruhigte sich etwas und schaute bockig. „Schwing nicht solche Reden, dabei hätte sonst was passieren können."    

„Und bei dem Scheiß hier nicht, oder was?", gab Tim zurück.

Ginger sah das wohl ein und schwieg trotzig, da sah Luke, dass er Nasenbluten hatte. „Hey, lass mal sehen", schlug er vor und kam vorsichtig ran.

„Du fehlst mir noch, du Lügner."

Tim schaute nicht weniger irritiert als Luke. „Bring ihn hier weg und kümmer' dich drum", wies er Luke an. Der nickte und nahm Ginger am Arm, was der sich mit etwas Widerwillen gefallen ließ.

„Der Abend ist noch nicht vorbei", maulte er.

„Für dich schon. Komm." Luke schlug einen besänftigenden Ton an, was nicht nur Taktik war und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Wendeltreppe zum Loft.

„Was jetzt? Führst du mich ab, Officer?!"

Shit, fuck, aber wie?

Luke riss verblüfft die Augen weit auf und zog Ginger am Arm zu sich. „Halt um Himmels Willen den Mund!" Er versuchte, nicht zu laut zu werden, denn da standen noch genug Leute herum. Zum Glück lief die Musik schon wieder.

Ginger schnaubte verächtlich. „Ich denk' gar nicht dran..."

Starrköpfiger Rotschopf!

„Bitte!", kam es nun eindringlich von Luke und nochmals, „bitte, ich erklär dir alles, was du willst, aber halt jetzt deinen Mund."

Ginger schaute ihm nun kritisch in die Augen. Da musste er irgendetwas sehen, was ihn besänftigte. Er atmete tief durch, dann nickte er. „Also schön. Gut. Du hast dieses Mal besser nicht wieder nur so 'ne abgekaterte Miststory für mich."

Luke senkte den Blick. „Nein, diesmal nicht."

Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt