Verwirrung

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Voller Ungeduld warteten beide Männer im Aufenthaltsbereich der Notaufnahme darauf, dass sie erfuhren, was denn nun mit Gabriel war. Luke kam das Warten möglicherweise nur deshalb so lang vor, weil er sich darauf freute, die gute Neuigkeit zu verkünden. Auf gar keinen Fall würde er wollen, dass die Ärzte sich nicht genügend Zeit für seinen Engel nahmen. Oscar hatte inzwischen einen Kaffee organisiert, der absolut scheußlich schmeckte und von Seans Entsetzen in London erzählt. Da öffnete sich endlich die Tür, durch die man den jungen Iren gebracht hatte und er kam zusammen mit einem Arzt und einem Pfleger, der den Rollstuhl schob, wieder heraus. Zu Lukes Erleichterung hatte Gabriel ein Lächeln auf den Lippen, dass so viel sagte wie „ich hab doch gewusst, dass es nichts Ernstes ist". Der Arzt bestätigte dies. Das Nasenbluten war vollkommen harmlos und kein Grund zur Sorge.

„Hab ich doch gleich gesagt", murrte Gabriel noch ein bisschen, nur um seinen Punkt zu machen.

„Ja, hast du", gab Luke zu und konnte nicht länger mit seiner Nachricht hinter dem Berg halten. „Und du hast mit deiner Telefonnummer die richtige Idee gehabt. Deine Schwester hat angerufen, Tara."

Schlagartig wich der Trotz im Gesicht des Tänzers einer Abfolge von Erleichterung, Überraschung und Begeisterung. „Tara!", rief er übermütig aus.

Luke freute sich nicht weniger mit ihm und noch bevor er sich versah, war Gabriel aus dem Rollstuhl aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. „Was sagt sie? Was will sie? Jetzt red schon!", begann er auf den Blonden einzureden und lachte dabei.

Der Arzt und der Pfleger schauten etwas hilfesuchend zu Oscar, den sie womöglich für den Vater hielten, der etwas gegen diese Unvernunft tun könnte, aber der stand nur wie ein strahlender Lemmy Kilmister daneben und zuckte hilflos mit den Schultern. Als ob Gabriel zu halten gewesen wäre!

„Sie sollten darauf achten, dass er sich schont", riet der Arzt.

Oscar versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen und nickte. „Alles klar, Doc, das tu ich."

Obwohl sich der Ex-Bouncer wirklich überzeugend fand, schaute der Mediziner kritisch. „Sie sollten überlegen, ob sie Anzeige erstatten", fand er.

„Das werden wir." Oscar konnte nicht anders und grinste trotz der ernsten Worte, einfach weil ihn der Anblick seiner beiden Jungs so froh machte. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich bringe die zwei mal hier weg."

Zwar hatte der Arzt keine Ahnung, warum die drei Männer in seiner Notaufnahme gerade so fröhlich waren, obwohl der Rothaarige Prügel bezogen hatte, aber er nahm das nun halb verblüfft, halb amüsiert hin, gab dem Pfleger ein Zeichen und verabschiedete sich mit einem Handschlag von dem vermeintlichen Vater. Den glücklichen Jungs warf er nur einen Blick zum Abschied zu. Die lachten noch immer und küssten sich.

Erst auf dem Weg zum Parkplatz mit dem Landrover kam Luke dazu, halbwegs sinnvoll zu wiederholen, was er und Tara am Telefon gesagt und verabredet hatten. Gabriel war so aufgeregt, dass er ständig Fragen stellte, die keinen anderen Sinn ergaben als den, dass er eben vollkommen aus dem Häuschen war.

„Wie hat sie geklungen?"

„Wie ein Teenager."

„Hat sie mich erkannt?"

„Ja, sicher doch."

„Wie geht es ihr?"

„Darüber haben wir nicht gesprochen."

„Und sie kommt zum Hotel?"

„Hab ich doch gesagt."

„Oh, Himmel! Und ich seh aus wie Frankenstein!"

So ging das weiter. Oscar kam aus dem Staunen kaum mehr raus. Obwohl er wusste, dass dies wirklich ein außergewöhnliches Ereignis war, wenn es für einen Jungen wie Gabriel nach Jahren zu einem Wiedersehen mit den Geschwistern kam.

Im Hotel angekommen versprach Oscar, sich um alles zu kümmern. Er würde Sean anrufen sowie Kate und Roger. Danach würde er an der Rezeption den Besuch anmelden. Lukes Aufgabe bestand also darin, wie der Ältere es formulierte, dafür zu sorgen, dass der Engel nicht vorher komplett ausflippte. Der Blonde verstand sofort. Es ging weniger darum, dass sein Liebster sich so sehr auf seine Schwester und Brüder freute, als darum, dass er eben noch einen Schlag eingefangen hatte und das Auf und Ab der Gefühle sicherlich für einen emotionalen Ausnahmezustand sorgte. Er brauchte jetzt Halt und Zuspruch, was Luke ihm geben wollte, so gut er konnte.

„Wie geht's dir?", fragte er, kaum, dass sie in ihrem Zimmer allein waren.

Gabriel atmete erstmal tief durch und ließ sich rückwärts ins Bett fallen. Als er nicht gleich antwortete, beschloss der Blonde, das Fenster für frische Luft zu öffnen und legte sich dann zu ihm.

„Und?"

„Ich bin einfach zu aufgedreht, um klar zu denken", gab Gabriel zu. „Erst geht mein Vater auf mich los und jetzt ... weiß ich auch nicht. Wenn Tara und die anderen kommen, das ist großartig! ... Es fühlt sich gut an, dass die mich nicht völlig abschreiben, wegen ... was ich bin."

Es war deutlich zu merken, dass er um Fassung rang. Die anfängliche Euphorie wich offenkundig düsteren Gedanken. Er schluckte schwer, begann zu blinzeln und rieb sich die Augen, weshalb Luke jetzt nach seiner Hand griff, die mit dem Verlobungsring.

„Hör mir mal zu", schlug er vor. „Dein Vater hat all die Jahre nichts unternommen und auch deine Mutter nicht. Und so wie sie sich dir gegenüber verhalten, kannst du auf sie verzichten und bist ihnen auch nichts schuldig. Das tut sicher schrecklich weh, aber wenn wir ehrlich sind, ist es nichts Neues. Deine Geschwister wollen dich sehen. Das ist neu und das ist fantastisch!"

Gabriel lächelte wieder ein wenig, denn er verstand, was Luke meinte, dennoch blieb er ernst. „Die werden richtig Ärger kriegen, falls das auffliegt", brachte er mit belegter Stimme hervor.

„Was willst du damit sagen? Schmeißt er sie auch vor die Tür? Schlägt er sie?"

„Ich weiß es nicht. Vielleicht schmeißt er sie nicht raus, wenn sie sonst für ihn normal sind. Aber ... ich hab keine Ahnung, was in ihm vorgeht oder zu was er fähig ist."

Leider hatte Luke da wenig tröstende Worte, denn zu was der Mann im Stande war, hatte er noch viel zu gut vor Augen. „Ich bin vor allem froh, dass dir nichts Ernstes passiert ist. Alles andere wird wieder gut."

Langsam schien sich Gabriel wieder zu fangen. Zwar schimmerten da noch immer Tränen in seinen waldgrünen Augen, doch er schaute nicht mehr so verletzt und ratlos. Hoffnung und die Liebe zu Luke waren stattdessen zu erkennen. Der schenkte seinem Liebsten ein ebenso liebevolles Lächeln und einen zärtlichen Kuss. Jetzt blieb nur noch zu warten, bis Tara und die anderen da waren.


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