Als draußen auf der Straße vor dem Hotel die Lichter angingen, wurde es Zeit für die O'Reilly Geschwister, nachhause zurückzukehren und so setzte eine Aufbruchstimmung ein. Sie tranken ihren Tee aus und schrieben sich Telefonnummern sowie Adressen von Luke, dem Elysium und natürlich Gabriel auf, dem sie entsprechende Kontaktdaten der älteren Geschwister ins Handy diktierten. Bei der Gelegenheit machten die fünf auch ein paar Selfies miteinander. Gerne wären Tara, Colleen, Michael und Ryan noch länger geblieben, doch daran, wie streng ihre Eltern auf solche Regeln wie „Zuhause sein, bevor es dunkel ist" achteten, konnte sich der Tänzer nur zu gut erinnern. So beteuerte er mehrfach, dass es schön mit ihnen war, doch sie sollten nicht riskieren, Ärger zu bekommen, seinetwegen. Jetzt, wo der Anfang gemacht war, würden sie sich spätestens zur Hochzeit in London wiedersehen und wenn nicht, dann würden Luke und er eben eine Hochzeitsreise nach Nordirland machen und sie könnten sich bestimmt irgendwo verabreden. Hier in Belfast oder bei einem der anderen Geschwister.
Oscar bot mehrfach an, dass sie alle auch jederzeit in London willkommen waren, zu Besuch oder sogar für mehr, wenn, wie er sagte „irgendwas passiert". Tara, Colleen, Michael und Ryan wussten natürlich, was er damit meinte und wirkten erleichtert. Sie riskierten viel, und zu wissen, dass sie im schlimmsten Fall nicht allein und ohne Hilfe dastehen würden, bedeutete ihnen eine ganze Menge.
„Alle von euch sind jederzeit willkommen", ergänzte Luke, der gerührt dabeistand, als sich alle Brüder und Schwestern noch einmal zum Abschied umarmten. „Bei meinen Eltern ist auch noch Platz, wenn Ginger und ich wieder im Elysium sind."
„Ginger?", fragte Michael verblüfft. Es war natürlich allen Geschwistern klar, dass nur ihr Bruder gemeint sein konnte. Sie kicherten und schauten etwas verlegen. Dabei war es logisch, dass ein Paar auch Kosenamen benutzte. Sie hatten nur nicht damit gerechnet.
„Praktisch ein Künstlername", gab Luke zurück und kassierte dafür ein Lächeln von seinem Verlobten.
„Der Officer übertreibt", fand Gabriel und auch dieser Spitzname ließ seine Geschwister amüsiert Blicke tauschen.
„Bevor ich jetzt noch erfahre, ob die zwei mich Daddy nennen," warf Oscar ein, „schlage ich vor, dass ich euch nachhause fahre. Oder zumindest bis zur Straßenecke, wo uns keiner sieht."
„Wir können den Bus nehmen", meinte Colleen, aber das kam für Oscar überhaupt nicht in die Tüte.
„So ein Unfug. Ich mach das gern."
Damit war es beschlossene Sache.
Zum Abschied nahmen sich alle noch einmal gründlich in den Arm und wenn man wie Luke genau hinschaute, dann sah man, wie mindestens sein Engel feuchte Augen bekam, als er seine Geschwister drückte. Aber auch der jüngste Bruder blinzelte ein paar Tränen fort. So mussten sie sich schließlich voneinander trennen, aber nicht für immer und nicht für lange.
Als der Spuk vorbei war, winkten Gabriel und Luke, Hand in Hand auf dem Parkplatz am Hotel, dem vollbesetzten Rover hinterher. Dann sahen sie sich an, aber um die vielen neuen Eindrücke nicht zu stören, sprach keiner von ihnen für eine kleine Weile. Warum auch? Sie kannten einander inzwischen so gut, dass es gar nicht notwendig war. Luke war klar, dass sich für seinen Engel gerade eine Wunde schloss, die viel zu lange in seinem Herzen geklafft hatte und es fühlte sich einfach nur verdammt gut an, dabei zu sein, wie es passierte. Gabriel selbst begriff erst jetzt, dass dies alles kein Traum, sondern Wirklichkeit war. Er hatte so lange als verstoßener Sohn gelebt, dass er ein wenig brauchte, um zu verstehen, dass er nun ein wiedergefundener Bruder war. Dies war einfach nur schön, erleichternd und tat wahnsinnig gut. Seine Blessuren vom Morgen merkte er bereits fast nicht mehr und schon bald, da war er zuversichtlich, würde auch der bittere Nachgeschmack an die Begegnung mit seinem Vater nachlassen. Es gab nichts mehr, was Gabriel daran hindern konnte, in die Zukunft zu blicken, wo er mit seinem Liebsten zusammen wäre und mit den Menschen, die ihn liebten, so wie er war. Bei diesem Gedanken kam ihm Sean in den Sinn. Der saß ganz sicher auf glühenden Kohlen in London. Jemand müsste ihn anrufen, um ihn zu erlösen.
Oben in ihrem Zimmer angekommen, verspürten beide Männer das Bedürfnis nach einem liebevollen Kuss, und kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, da setzten sie ihren Wunsch in die Tat um. Es war Gabriel, der Luke die Hände in den Schopf legte und ihn sanft zu sich zog, sodass sich ihre Lippen fanden. Der Blonde legte ihm die Arme um die Mitte. Fest genug, um ihn zu halten, aber behutsam, und ebenso war auch ihr Kuss. Ein Zeichen ihrer starken Verbundenheit und auch ihrer Zärtlichkeit.
„Ich danke dir", sagte der Tänzer schließlich.
Luke war einen Moment irritiert.
„Wofür? Ich küsse dich für mein Leben gern."
„Für alles, Officer Sherman. Das hier war deine Idee und du hast nicht lockergelassen. Ich verdanke dir, dass ich meine Geschwister wiederhabe. Und im Grunde verdanke ich dir noch viel mehr."
„Das habe ich getan, weil ich dich liebe."
„Ich weiß. Aber du sollst wissen, was es mir bedeutet", begann Gabriel von Neuem und blickte seinem Liebsten in die Augen. „Ich war so verletzt und verbittert und habe so lange geglaubt, ich sei es nicht wert, wenn nicht mal meine Eltern mich lieben. Eine Zeit lang kam ich mir vor wie der letzte Dreck. Weil mich Typen so behandelt haben. Das ist jetzt vorbei. Ich hätte das längst kapieren müssen, nachdem Oscar und Sean mich bei sich aufgenommen haben. Aber ich dachte, die spinnen ein bisschen. Sean vor allem. Und Oscar zieht nur mit ihm mit. Dabei sind die beiden das Beste, was mir passieren konnte. Und dann, als du gekommen bist, da habe ich es mir gewünscht: Dass ich nicht so kaputt wäre und du dich für mich entscheiden würdest."
Luke hatte gespannt zugehört, musste aber doch protestieren.
„Du bist nicht kaputt. Wie kommst du auf ..."
Gabriel schloss ihm den Mund mit einem nächsten Kuss, bis er sicher sein konnte, dass der Blonde schwieg. Dann legte er ihm einen Finger über die Lippen und sprach weiter.
„Bitte lass mich nur reden. Inzwischen weiß ich es besser. Was mir mein Vater und Patrick damals angetan haben, war nicht meine Schuld. Das habe ich erkannt, denn auch die ermordeten Jungs hatten nichts Falsches getan. Und ich hatte viel mehr Glück als sie, weil nichts an mir endgültig zerstört war. Ich habe alle Einzelteile wiedergefunden und zusammengesetzt. Als Sean mich fand, war ich schon wieder ein Tänzer. So wie er und Oscar zwei Väter für mich waren, hab ich neu gelernt ein Sohn zu sein. Und du hast mich dazu gebracht die Liebe zuzulassen. Etwas dabei zu empfinden, wenn ich mit einem Mann zusammen bin. Und etwas für ihn zu empfinden. Mehr als Dankbarkeit oder Lust. Liebe. Und wenn noch ein Teil von mir gefehlt hat, dann ist es jetzt endlich eingefügt, weil ich meine Geschwister zurückhabe. Ich bin ganz und gehöre ganz dir. Danke dafür."
Luke war sprachlos. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass aus dem rätselhaft verschlossenen jungen Mann von einst ein Schmetterling geworden war. Doch hatte er seine eigene Rolle dabei nicht so klar gesehen wie der Engel es tat. Langsam beugte Luke sich nun vor und küsste Gabriel ein weiteres Mal voller Zärtlichkeit und Hingabe. Diese Sprache verstand er gewiss besser als alle Worte.
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Rainbow Warrior
Mystery / ThrillerLuke ist ein junger, schwuler Polizei Sergeant bei Scotland Yard und erhält den Spezialauftrag , sich als verdeckter Ermittler in der Londoner Clubszene einzuschleusen. Dort treibt ein brutaler Serientäter sein Unwesen, der seine Opfer betäubt und m...