Tara

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Luke erkannte noch im Rückspiegel, wie die Polizei in der Straße von Gabriels Familie auftauchte, dann waren sie mit dem Landy um eine Ecke und niemand folgte ihnen. Das war fürs Erste gut. Sogleich machte er sich daran, nachzusehen, wie es Gabriel ging. „Tut's sehr weh?"

Der Engel schüttelte trotzig den Kopf. „Geht schon."

Das war eine typische Gabriel-Antwort. Natürlich würde er nicht zugeben, wie schmerzhaft seine geprellte Seite war. Aber vielleicht war der eigentliche Schmerz auch ein anderer.

„Komm her zu mir", schlug der Blonde daher im leichten Kommandoton vor.

„Ich sagte es geht!" Typisch.

„Und ich sagte komm her. Du hast Nasenbluten." Luke deutete Gabriel an, wie er sich mit dem Kopf auf seinen Schoß legen sollte, um das Blut zu stillen.

„Na toll!", rief Oscar nach hinten und fuhr zügig weiter. „Dein Alter tickt doch nicht richtig."

Der Engel gab nach, tat nun, was Luke verlangte und der zog inzwischen sein T-Shirt über den Kopf, um es Gabriel für die Nase zu geben. „Das ist ja ganz was Neues."

„Dieser Idiot kann dir nie wieder was tun", tröstete Luke. Er hoffte, dass es so sein möge und fluchte innerlich, weil er sich auf eine völlig irrationale Weise die Schuld gab. Immerhin war es seine Idee gewesen, sein Drängen, seine Vorstellung von einer Aussöhnung. Und jetzt das!

Oscar schaute kurz im Spiegel, wie schlimm es war und überlegte laut. „Streng genommen, ist das Körperverletzung und du kannst es anzeigen", fand er.

Gabriel stöhnte genervt. „Was soll das bringen? Es ändert nichts."

„Nicht an der Herzlichkeit deines Vaters, aber vielleicht muss er dann einsehen, dass Gewalt keine Lösung ist."

„Fahr einfach in dieses Hotel, Oscar."

„Kommt gar nicht in die Tüte", mischte sich Luke dazu. „Du fährst zur Notaufnahme. Die sollen dich durchchecken."

Wieder ächzte der Tänzer. „Das ist doch nix, was..."

„Keine Widerrede, du Sturkopf. Deine Schädelverletzung ist erst ein paar Wochen her und jetzt das hier."

Um sicher zu gehen, dass sie sich da einig waren, schaute der Blonde zu Oscar, der einfach nur nickte und den Kurs änderte. Sie waren auf dem Hinweg zur Falls Road an einem Krankenhaus vorbeigekommen. Dorthin ging es nun.

In der Notaufnahme ging alles schneller als erwartet. Kaum hatte Luke den Leuten dort erklärt, was passiert war und dass es eine Vorgeschichte gab, da holte einer von ihnen einen Rollstuhl, mit dem er Gabriel direkt zur Untersuchung bringen würde. Dieser war noch immer davon überzeugt, dass das alles übertrieben sei, doch schließlich ergab er sich in sein Schicksal. Der Blonde ließ sich von ihm noch Brieftasche und Handy geben, damit er den Papierkram für ihn erledigen konnte, während Oscar mit Sean telefonierte. Der Ex-Bouncer ging dafür extra raus in den Innenhof der Klinik, denn er würde seinen Mann ganz sicher beruhigen müssen. So blieb Luke mit den Formularen an einem kleinen Tisch allein zurück, als mit einem Mal Gingers Handy summte. Sofort begriff er, dass es dafür nur einen Grund geben konnte: Die Zahlen vorhin im Garten der O'Reillys! Irgendeiner von denen hatte das auch kapiert, dass diese eine Telefonnummer waren und der- oder diejenige rief jetzt an. Als Geschenk von Sean hatte das Gerät natürlich das Passwort „Elysium" und Luke entsperrte es ganz aufgeregt mit zitternden Fingern.

„Hallo, hier ist Gabriels Freund. Wer ist da?"

Am anderen Ende hörte man jemanden überrascht einatmen.

„Hallo?" Luke horchte, dann kam Antwort, leise und schüchtern.

„Ja ... hallo. Ich ... Gabriel ist mein Bruder und ... ist er da?" Es war eine junge Mädchenstimme.

Behutsam ging der Blonde auf das Mädchen ein. „Sorry, Liebes, er kann gerade nicht mit dir sprechen", begann er und spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Er wollte das hier nicht vermasseln. „Er musste zum Arzt. Wie heißt du?"

„Hat er was abgekriegt? Oh, ich hab's gesehen, was Dad gemacht hat ..."

„Ich hoffe, es ist nichts. Du bist seine Schwester?"

„Ja, ich bin Tara. Er war so lange weg, ich dachte, er hat uns vergessen oder es ist ihm was passiert. Ich war gerade elf damals."

Luke überlegte, dass sie dann wohl eine deutlich jüngere Schwester war. „Bist du eine von den Tänzerinnen?"

„Was? Nein. Das waren Colleen und Mary. Kann ich mit ihm sprechen?"

„Aber ja, unbedingt!"

In den nächsten Minuten erklärte Luke dem Mädchen, was ihn und Gabriel hergeführt hatte und verabredete mit ihr, dass sie nachmittags ins Hotel kommen würde. Am liebsten wäre sie direkt ins Krankenhaus gekommen, doch sie machte sich Sorgen wegen ihrer Eltern, die nichts erfahren sollten. Auch das Angebot, sich später ein Taxi zu nehmen, schlug sie aus. Sie wollte lieber den Bus nehmen und vielleicht würden auch noch zwei ihrer Brüder mitkommen. Leider mussten sie das Gespräch beenden, ohne dass sie wenigstens ein paar Worte mit Gabriel wechseln konnte, doch die Aussicht auf den Nachmittag war mehr als der Blonde noch vor einer halben Stunde je für möglich gehalten hätte. Als er den roten Hörer drückte, grinste er vor sich hin. So fand ihn Oscar.

„Was ist? Hab' ich was verpasst?"

„Kann man wohl sagen. Gabriels Idee mit der Telefonnummer hat funktioniert!", verkündete Luke. Die Freude darüber stand ihm noch immer im Gesicht geschrieben.

Der andere Mann verstand sofort. „Das ist ja großartig!", jubelte er. „Weiß Ginger es schon?"

„Noch nicht. Aber bald!" Jetzt begann Luke vor Erleichterung und Begeisterung zu lachen und Oscar ging es nicht anders. Dann fielen sich die beiden in die Arme.


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