Sumpfkuh Teil24

682 84 26
                                    

Zurück im Club war Luke entschlossener denn je und ging mit vollem Einsatz zurück an seine Arbeit. Gläser einsammeln, Drinks servieren, gute Laune verbreiten. So lange die Ermittlungen wegen Patrick Foggerty nicht voran kamen und es keinen anderen, besseren Plan gab, würde er damit weiter machen. Oscar hatte in der Zwischenzeit Gingers Platz an der Bar eingenommen und mixte Cocktails. Für einen Typen mittleren Alters machte er dabei tatsächlich eine richtig gute Figur und Luke fragte sich einen Moment, ob Oscar vielleicht derjenige gewesen war, der Ginger den Job an der Bar beigebracht hatte. Es musste so gewesen sein, denn die Handgriffe der beiden wirkten regelrecht identisch. Als die erste Pause des Abends kam, gingen Oscar und Luke gemeinsam eine rauchen, auch um sich darüber auszutauschen, wie es weiter gehen sollte.

„Wir können den Laden nicht länger laufen lassen, wenn hier Jungs verschwinden und dann ihre Väter auftauchen", fand Oscar.

Luke sah das anders. „Wenn ihr hier dicht macht, dann sind wir so gut wie bei null, denn dann sucht der Täter sich ein anderes Revier."

„So mordet er quasi vor Seans und meiner Haustür. Das zumindest würde aufhören."

„Das ist nicht dein Ernst. Du bist hier, weil du den Typen kriegen willst." Luke machte einen Rauchkringel, der langsam in den Nachthimmel aufstieg.

„Wenn es dieses Arschloch aus Belfast ist, dann sollen den die Ratten fressen."

„Du kennst Gabriels Geschichte also." Luke zündete Oscar eine nächste Zigarette an und hielt sie ihm hin. Er nahm sie mit kurzem Zögern. „Verrat' bloß Sean nichts davon, dass wir rauchen."

„Ach, ich doch nicht", grinste Luke und konnte den Gedanken nicht abwehren, dass es ihn vor zwei Tagen noch gekümmert hätte, was Blake davon halten würde, dass er hier hin und wieder eine durchzog.

„Ja, ich kenne die Geschichte", bestätigte Oscar. „Viele von uns haben eine und das ist der Grund, warum Sean und ich ihn damals praktisch von der Straße geholt haben."

Luke blinzelte halb überrascht, halb entsetzt. Davon hatte ihm der Rothaarige nichts erzählt und das konnte nur bedeuten, dass er einen Grund dafür gehabt hatte. Oscar bemerkte Lukes Reaktion und sah etwas beschämt zu Boden. „Das wollte er dir ganz sicher selbst sagen", murmelte er dann.

„Gut möglich. Aber er muss mir sowas auch nicht erzählen. Wir sind..."

„...was seid ihr? Nur zwei Typen, die eine Bude unterm Dach teilen? Mach dir nichts vor. Ich hab' gesehen, wie du ihn und wie er dich anschaut. "

„Wir sind noch nicht so weit, wollte ich sagen. Er weiß, dass ich einen Freund habe, den ich gerade hintergehe und ich bin wegen des Jobs hier, da ist es kein Wunder, dass er mir nicht traut."

Oscar sah erst aus, als wollte er nicken, doch dann schüttelte er den Kopf. „Ihr seid ganz schön weit. Du bist nur zu unerfahren mit Jungs wie unserem Gabriel. Der ist wie ein Engel mit gebrochenen Flügeln, dem man versucht hat, die Dinger rauszureißen. Das Fliegen lernt er erst wieder nach und nach."

Diese Worte trafen Luke zutiefst. Wie konnte er so blind sein, das nicht selbst zu erkennen? „Das hast du ihm auch so gesagt, richtig? Deswegen dieses Tattoo."

„Ich merke schon, du kommst langsam dahinter. Ja, deswegen. Und die meisten Typen sehen nur Ginger, den Tänzer und Typen hinter der Bar im scharfen Dress. Du hast den Engel gesehen, das kann nur heißen, dass er das so wollte."

„Das war nur ein dummer Zufall, dass ich die Flügel gesehen habe."

„Glaub mir, Junge, ich habe nicht von der Tätowierung gesprochen." Nach diesen Worten schaute Oscar Luke noch einmal fest in die Augen, dann trat er die Kippe aus und ging wieder in den Club. Luke blieb einen Augenblick verblüfft zurück, dann folgte er.


Ginger hatte sich draußen auf die Feuertreppe gekauert, die nach oben führte. Die Musik, die aus dem Club heraus drang, war hier leiser als sie es oben im Loft wäre. Die Nacht selbst war überhaupt nicht kalt und doch fröstelte ihn. Er kramte das Handy von Sean aus seiner Hosentasche und nach Jahren, die ihm wie eine kleine Ewigkeit vorkamen, wählte er zum ersten und einzigen Mal wieder diese Telefonnummer. Das Freizeichen machte ihn nervös, sehr sogar. Sein Atem ging geräuschvoll und stoßhaft, dann plötzlich meldete sich eine Stimme am anderen Ende. „Hier ist O'Reilly, wer ist da?" Eine Frauenstimme, etwas schläfrig, denn es war ja schon spät. Er zögerte, der Name, den sie so selbstverständlich benutzte, ließ ihn zusammenzucken. „Hier...ist..."

„Hallo, wer ist da?", fragte sie nach. Etwas ungeduldig. Vielleicht hatte sie schon geschlafen...

„Mum, ich bin's."

„Wer?" Das klang überrascht, ungläubig...

„Gabriel, ich wollte nur sagen, dass ich... ich lebe, es... geht mir gut." Er wartete auf die Reaktion. Er hörte sie atmen. Sie war es und sie wusste, wer er war.

„Wer? Sie müssen sich verwählt haben."

„Nein, Mum... ich..." Er merkte, wie sich sein Hals verkrampfte.

„Falsch verbunden." Sie hatte aufgelegt.

Er starrte auf das Display. Dann warf er mit einer gezielten, ruckartigen Bewegung das Handy gegen die gegenüberliegende Hauswand, wo es zersprang und die Einzelteile wie ein kleiner Meteoritenschauer aus Plastik und Elektronik auf das Pflaster niedergingen. Jetzt schlug er mit der Stirn heftig gegen das stählerne Geländer. Und noch einmal, weil der Schmerz erst mit Verspätung einsetzte. Und echter, körperlicher Schmerz war allemal besser als das, was er jetzt empfand. Wie war er nur auf die bescheuerte Idee gekommen, dass es diese verblödete irisch-katholische Sumpfkuh interessierte, ob es ihm gut ging oder ob man ihn irgendwo zwischen Müllsäcken in Einzelteilen gefunden hätte. Schließlich stand er auf, machte ein paar Dehnübungen gegen die Kälte und eilte dann zur Hintertür des Elysium, unten im Hof. Dort checkte er, ob er verheult aussah und wischte sich das Blut von der Stirn. Sein Auftritt wäre in etwa einer Stunde...

Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt