Am Morgen Teil48

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In dieser ersten Nacht bei seinen Eltern hielt es Luke noch eine Weile wach, nachdem Gabriel schon längst erschöpft eingeschlafen war. Beide lagen auf der Seite, der junge Sergeant hinter dem Engel, wobei er ihm einen Arm um den Leib gelegt hatte. Selbst im Mondschein, der einzig durch das Fenster fiel, konnte er die Flügel am Rücken deutlich erkennen. Nur einmal mehr hatten sie an Bedeutung für Luke gewonnen. Das, was er über ihren Träger erfahren hatte, machte ihn sehr nachdenklich. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass ein junger Mann wie Gabriel eine Vergangenheit hatte. Sie alle mussten eine haben, auch Sean und Oscar. Vielleicht war das gemeinsame Element der Umstand, dass sie von ihren Familien verstoßen waren. Heimatlose mit ähnlichem Schicksal, die sich gegenseitig eine neue Familie und ein neues Zuhause gaben. Ausgestoßene, die es aber irgendwie fertig gebracht hatten, nicht zu verzweifeln oder aufzugeben. Blake hatte das nicht geschafft. Vielleicht war das Leben zu ihm zu brutal oder er war irgendwann zu krank oder zu schwach gewesen. An irgendeinem Punkt in seinem Leben musste der Weg für ihn nur noch in den Wahnsinn geführt haben, denn anders war das, was er getan hatte, nicht zu erklären. Luke nahm sich vor, mit dem Polizeipsychologen zu reden. Er kriegte drei Sitzungen auf Kosten der Staatskasse. Er würde sie nicht dafür brauchen, die eigenen Erlebnisse zu verarbeiten, sondern um sich erklären zu lassen, was in seinem toten Serienkiller- Ex-Freund vorgegangen sein musste. Mit etwas Glück würde ihm das sicher mehr helfen als über seine Gefühle zu reflektieren, die er empfand, als Blake ihn betäubt am Boden vergewaltigte.

Noch etwas würde er gleich am Morgen tun wollen, egal, ob er nun im Dienst war oder nicht. Der Fall war nicht abgeschlossen. Er wollte wissen, ob man die Leichen der Siwells inzwischen gefunden hatte und ob es neue Erkenntnisse über Blakes Jahre zwischen Klinik und Anwaltsbüro gab. Irgendwo musste er mit irgendwem zusammen gewesen sein. In Oxford studierte man nicht allein und ganz sicher war der nicht examinierte pseudo- Anwalt danach nicht allein gewesen. Es musste andere gegeben haben, die entweder seine Opfer wurden oder ahnungslos waren wie Luke.

In seinen Armen bewegte sich Gabriel nun im Schlaf, was Luke dazu veranlasste, mit seinen Gedanken in eine andere, viel schönere Richtung zu schweifen. Sie sollten unbedingt Sean und Oscar besuchen oder besser noch, die beiden hierher einladen. Das würde Gabriel gut tun. Und so könnten die beiden Ersatzväter auch seine Eltern besser kennenlernen. Er stellte sich einen Augenblick vor, wie Oscar mit seiner Mum Rezepte tauschte oder Sean mit seinem Vater über die Verantwortung für Söhne redete. Bei solchen, positiven Gedanken angekommen, fiel er endlich auch in Schlaf.

Als er die Augen aufschlug, erblickte er Gabriels Gesicht, ganz dicht vor seinem. Er schaute ihn an. Wie lange schaute er schon?

„Guten Morgen", flüsterte er ihm zu.

„Mmmmh, dir auch", gab Luke zurück.

Gabriel rückte noch dichter zu ihm, legte ihm einen Arm über die Mitte und küsste ihn sanft. Das war wirklich eine schöne Art, den neuen Tag zu beginnen, also küsste Luke sogleich zurück und eine kleine Weile machten sie genau so weiter. Sonst blieben beide noch sehr zaghaft und streichelten nur ein wenig. Auf keinen Fall wollte der eine dem anderen weh tun, auch wenn es schwerfiel, denn die Sehnsucht nach mehr als dem war inzwischen bei beiden jungen Männern groß. Der Tänzer zuckte ein wenig, als Luke etwas unvorsichtig über seine Seite fuhr, es aber gleich wieder bleiben ließ.

„Wenn das so weiter geht, brauchen wir 'ne Liste davon, wer was mit wem in welcher Reihenfolge anstellt", bemerkte er im Scherz.

Luke musste lachen. „Ach ja? Hast du da schon an etwas Bestimmtes gedacht?"

„Ich denke seit dem Bad gestern an kaum was anderes, außer an dich."

„Geht mir nicht anders."

Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt