Kids

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Die Fahrt nach Liverpool ging zügig voran, sobald der Landrover erst einmal das Stadtgebiet Greater Londons hinter sich gebracht hatte und die Stimmung an Bord war nach dem liebevollen Abschied von Sean vor allem erwartungsvoll. Ginger hatte London seit seiner Ankunft vor Jahren noch nie verlassen, abgesehen von der unfreiwilligen Verschleppung durch Siwells und der Ausblick auf eine Fahrt über Land und über die irische See war doch wider Erwarten sehr verlockend. Oscar nahm sich direkt vor, wenn er denn mit den Jungs schon unterwegs war, dass er irgendwo zum Rasten anhalten würde, wo es schön war. Aus diesem Grund fuhr er etwas schneller, denn dann hätten sie auch in jedem Fall genügend Zeit für ein wenig Umschau. Nach einer Stunde war Luke auf dem Rücksitz eingedöst, was Oscar vermuten ließ, dass das Paar nicht gerade viel geschlafen hatte. So drehte er das Radio leiser und grinste wissend vor sich hin.

Gabriel schien zu aufgeregt für ein Nickerchen, obwohl er immer wieder gähnte und sicherlich eines gebrauchen konnte. Oscar überlegte, ob es klug oder idiotisch sei, mit ihm über seine Erwartungen in Belfast zu reden und entschied, es lieber bleiben zu lassen. So war es dann der junge Ire selbst, der das Gespräch suchte.

„Oscar?"

„Hmm, ja?"

„Hast du jemals versucht, dich mit deiner Familie zu vertragen?"

Der Mann überlegte kurz, ob das wirklich eine gute Geschichte wäre, um sie jetzt zu erzählen, aber sie könnte auch keinen Schaden anrichten.

„Ja, Engel, hab ich", gab er dann frei heraus zu. „Aber es hat nichts gebracht und dann hab ich es gut sein lassen."

„Verrätst du mehr?" Ginger war natürlich neugierig.

„Es ist 'ne hässliche Geschichte."

„Sie kann wohl kaum schlimmer sein als meine, oder? Aber du musst auch nicht. Sean hat mal gesagt, dass du in 'nem Heim warst."

„Oh, das hat er dir erzählt?" Oscar war davon durchaus überrascht, aber deswegen nicht verärgert. Sean war zwar eine Quasselstrippe, aber das hätte er sicherlich nur aus einem besonderen Grund verraten.

„Ja, das sollte mich irgendwie trösten, glaub ich. Er hat gemeint, egal, was mit uns passiert ist, es ändert nichts dran, dass mit uns alles in Ordnung ist."

„Ach ja?", gab der Ältere nachdenklich zurück.

„Sicher doch. Du bist richtig schwer in Ordnung." Gabriel lächelte aufmunternd, denn er hoffte, dass Oscar dann doch noch etwas erzählen würde. „Das ist ein Grund, warum ich das überhaupt machen will. Du, Sean, ich, Luke, mit uns ist alles okay. Ich würde mir wünschen, dass meine Eltern das inzwischen auch so sehen."

„Du bist jung, wie ich damals. Da hoffst du noch. Das ist nur natürlich. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann fahre ich mit euch, weil ich ... mit dem Schlimmsten rechne. Meine Mutter hat mich als Kind in ein Heim für schwer Erziehbare gegeben. Und ich war's nicht. Schwer erziehbar, meine ich. Mein Vater ist abgehauen und sie hat sich mit Kerlen rumgetrieben. Und sie dachte, ohne Kind will sie eher einer."

„Oh verdammt, das ist furchtbar. Tut mir leid."

„Jetzt weißt du es. Irgendwann bin ich mal zu ihr gefahren. Da war ich gerade mit Sean zusammengekommen und wir arbeiteten im Club, der damals noch „Pandemonium" hieß. Sie hatte eine neue Familie und tat so, als würde sie mich nicht kennen."

„Oh." Gabriel war für einen Augenblick sprachlos. Wie konnte es sein, dass eine Mutter sich so herzlos verhielt? Traurigkeit und Schock waren es, die er fühlte und nicht gleich ausdrücken konnte. „Wie ... unfassbar. Aber du ... hast damit ... hast das irgendwie verarbeitet?"

„Pff", schnaubte Oscar, was noch keine echte Antwort war, sondern nur ein Versuch, die Sache etwas herunter zu spielen. „Sagen wir so, Engel, es bleibt eine Narbe. Die meiste Zeit vergisst du, dass sie da ist. Und wenn du dran kommst, tut's weh. Aber mit der Zeit wird es weniger."

„Weiß ich, was du meinst." Natürlich wusste der Tänzer das. Er hatte schon ein paar davon. Und es würde nur eine weitere hinzukommen. „Danke, dass du dabei bist. Ich habe keine Angst, wegen dir und Luke. Und ich habe ein klein wenig Hoffnung, weil ich mein eigenes Kind nicht verstoßen könnte, vielleicht können es meine Eltern dann auch nicht."

„Dein eigenes Kind? Würdest du welche haben wollen?"

„Ich rede nur so. Bei den ganzen Brüdern und Schwestern bin ich natürlich immer davon ausgegangen, dass ich irgendwann auch Kinder habe. Hat sich inzwischen wohl erledigt."

Obwohl er eigentlich geradeaus auf die Straße schauen sollte, riskierte Oscar einen kurzen Seitenblick auf Gabriel. Natürlich wäre der junge Ire ein Typ dafür. Warum auch nicht? Vielleicht noch etwas jung, aber in ein paar Jahren und mit Luke zusammen, wären sie perfekt dafür.

„Du weißt schon, dass das nicht so sein muss, oder? Auch wenn du keine leiblichen Kinder hast, könntest du mit Luke welche aufnehmen."

Jetzt stahl sich ein Lächeln in das Gesicht des Tänzers. „Du meinst, wie Sean und du?"

Oscar grinste. „Ja so ungefähr. Vielleicht so richtig kleine und nicht so'n langen Lulatsch wie dich. Stell dir nur vor, wie Sean die verwöhnen würde. Und Lukes Mum!"

„Du glaubst, irgendwer lässt mich 'n Kind adoptieren?" Gabriel klang nicht wirklich überzeugt von der Idee. „Ich bin 'n Nachtclubtänzer."

„Das war ich auch und jetzt bin ich ein Nachtclubbesitzer. In Heimen gibt's eine Menge Kinder, die aus schlimmsten Verhältnissen kommen und die haben es verdient, liebevolle Eltern zu kriegen. Egal, was die arbeiten oder was die sonst noch tun oder sind. Und Luke ist ein ziemlich erfolgreicher Kriminaler."

„Du traust mir und Luke das zu?"

„Euch beiden zusammen trau ich alles zu." Oscar schaute wieder kurz zur Seite, um sicher zu gehen, dass der Lulatsch sein Lächeln zur Bestätigung sah. Was er auch tat.

„Was traust du uns zu?", meldete sich Luke nun verschlafen vom Rücksitz. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und schaute zwischen den Sitzen durch nach vorn. „Wie weit sind wir?"

„Oscar sagt, er traut uns zu, dass wir irgendwann mal Kinder haben."

„Stimmt, das tu ich und wir machen gleich Pause auf halber Strecke in Leicester."

„Wir zwei?" Die Frage war eigentlich keine. Der Blonde schaute Gabriel über dessen Schulter an und lächelte. Noch bevor der Engel sich versah, gab Luke ihm spontan einen zärtlichen Kuss. Oscar tat sein Bestes, um nach vorn zu schauen. Als der Kuss beendet war, grinste Luke. „Da sollten wir vorher ganz viel Liebe machen", fand er.


Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt