zerschunden Teil40

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Luke wünschte sich, er könnte ebenso schnell einschlafen, wie der geliebte Mann in seinen Armen es gerade getan hatte. Aber das funktionierte nicht. Während Gabriels Atem verriet, dass er in einen erschöpften, tiefen Schlaf gefallen war, drangen nun Gedanken auf Luke ein, die er bisher noch nicht zugelassen hatte: Wie, um Himmels Willen, hatte er übersehen können, dass sein Lebensgefährte der gesuchte Serientäter- die gesuchte Bestie war?! Was hatte der mit ihm gemacht, während Luke ihm betäubt und willenlos ausgeliefert war? Und wie war Gabriel überhaupt in Mitgefangenschaft geraten, wo war er- wie war er in dieses Haus gelangt? Er versuchte sich an irgendetwas zu erinnern, wie er aus der Wohnung gekommen war oder in das verlassene Haus, aber das Einzige, woran er sich erinnerte waren Schmerz, Kälte und das Stöhnen Blakes, was nur einen allzu furchtbaren Sinn ergab. Blake, er hatte ihn sich genommen- nein, das traf es nicht- er hatte ihm die Kleider heruntergezerrt und ihn da auf dem kalten Boden vergewaltigt. Warum verstand Luke das jetzt erst? Und da war noch etwas. Gabriel hatte nichts von dem verfluchten Zeug zu schlucken gekriegt und war stattdessen gefesselt gewesen. Er musste zusehen, das gehörte offenbar zu dem vollkommen irren Plan des Mannes, mit dem Luke zusammengelebt hatte. Ich bin in diese Bestie verliebt gewesen ... oder habe das zumindest geglaubt ... wie konnte ich so dumm und blind sein? Er konnte sich nicht länger dagegen wehren und begann bitterlich zu weinen. Vielleicht, weil er begriff, wie gefährlich es die ganze Zeit gewesen sein musste oder weil er nicht begreifen konnte, dass ihm so etwas wie Blakes Doppelleben entgangen war oder weil er nicht bemerkt hatte, wann der sich in diesen brutalen Täter gewandelt hatte. Luke hätte das doch merken und verhindern müssen. Alles hätte er verhindern müssen. Dass sein toter Freund sich so veränderte und was er mit diesen Jungs getan hatte ...

Schließlich musste er doch eingeschlafen sein, denn als er wieder zu sich kam, war das zweite Bett in dem Zimmer. Die Pfleger hatten es hinein geschoben, aber waren wieder gegangen und so lag er noch immer bei Gabriel, der noch immer ruhig atmend in seinen Armen lag. Er war es gewesen, der mit Blake gerungen und ihn mit Tritten tödlich verletzt hatte. Welch eine wilde Entschlossenheit musste dahinter gesteckt haben?! Als Polizist beim Yard wusste Luke nur zu gut, dass ein Mensch, egal ob Mann oder Frau, normalerweise Hemmungen hatte, einen anderen so heftig anzugehen. Selbst in Notwehrsituationen hatte viele solche Hemmungen. Gabriel hatte die nicht gehabt. Wie in Belfast hatte er gesagt. Das war es, was sie beide gerettet hatte. Der junge Ire hatte in Belfast Dinge erlebt, die ihn hemmungslos auf Blake hatten losgehen lassen. Luke selbst hatte mehrere Kurse in Selbstverteidigung machen müssen, um annähernd zu so etwas fähig zu sein. Fasziniert und erschrocken von dieser Erkenntnis, betrachtete Luke das Gesicht des schlafenden Gabriels. Es war mehr als unglaublich, dass etwas so Schönes gleichzeitig so gefährlich sein konnte. Wenn ich muss hatte er gesagt. 

Nach einer kleinen Weile öffnete sich die Tür und Sean und Oscar kamen leise und vorsichtig herein. Luke lächelte ihnen zu, sodass sie bemerkten, dass er zumindest wach war.

„Hi, Luke-Babe", flüsterte Sean, als er und Oscar sich zwei Stühle an das Bett heranrückten und sich dort setzten.

„Ihr zwei habt uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt." Oscar sprach ebenfalls nicht lauter als sein Partner. „Wie geht es dir und ihm?"

„Hi. Er schläft, aber ich denke, uns geht es den Umständen entsprechend gut", gab Luke zurück.

Wie zum Beweis rührte sich der Schläfer jetzt, blinzelte und hob den Kopf ein wenig. „Mmmm, hi, ich bin wach", murmelte er.

„Ich seh's Babe, ich seh's", konnte Sean vor Freude nicht unterdrücken, auch wenn er sich in der Lautstärke deutlich zurückgenommen hielt. „Du kommst wieder in Ordnung, sagen die Ärzte. Du machst aber auch immer solche Sachen!"

Solche Sachen, fand Luke, war eigentlich ein gutes Stichwort. Er wusste noch immer nicht, was der Engel nun eigentlich genau getan hatte und ganz sicher würde er es dem Superintendant erzählen müssen. Also wäre es gut, wenn er sich darauf vorbereitete, sofern es seine Kräfte zuließen. „Kannst du dich erinnern, wie du überhaupt in die Sache reingeraten bist?", fragte er sanft und schaute, wie Gabriel darauf reagierte. Er würde nicht darauf bestehen, es jetzt zu erfahren, wenn es noch zu anstrengend wäre. Aber der junge Ire blinzelte ein paar Mal und nickte.

„Ja, kann ich."

Luke musste unwillkürlich lächeln, denn an der Eigenart des Rothaarigen, so kurz angebunden zu sein, hatte sich offenbar nichts verändert. Sean und Oscar bemerkten das nicht weniger und schauten sich vielsagend an.

„Erzählst du es uns?" schlug Luke dann vor.

„Sicher." Es entstand eine kurze Pause, in der Gabriel sich mit Lukes Hilfe etwas aufsetzte, denn so würde es leichter gehen. Dann begann er tatsächlich mit dem, was bisher noch Keiner wusste.

„Ich ... hatte 'n blödes Gefühl, als du weg bist, um in die Wohnung von deinem Freund, diesem Blödarsch zu gehen, mit ihm Schluss zu machen und so. Wegen dem, was ich mit Patrick erlebt habe. Manche Typen drehen durch aus Eifersucht. Also bin ich hinter dir her. Erst wollte ich dich direkt einholen und mit dir zusammen in die Wohnung, aber ... dann dachte ich, du hältst mich für paranoid oder so. Also bin ich nur hinter dir her, in die U-Bahn, dann zu dem Haus. Da hab ich unten gestanden und bin mir vorgekommen wie 'n Idiot. Und dann ist dieser Typ da aufgekreuzt, wo ich dachte, das muss dein Blake sein. Der sah eben aus, wie ein Anwalt und ist rein ins Haus. Nach 'ner Weile fand ich es komisch, wie lange das dauert und bin nervös geworden. Also bin ich im Treppenhaus rauf und hab eure Tür gesucht und dran gelauscht. Ich dachte, wenn ihr streitet, komme ich und steh zu dir, aber es war so verdächtig ruhig. Dann hab ich einfach geklingelt. Und der Typ hat hinter der Tür gefragt, ob ich von den Stadtwerken bin. Das fand ich seltsam. Also hab ich ja gesagt. Noch seltsamer war, dass er die Tür trotzdem nicht aufgemacht hat. Also hab ich sie eingetreten. Und kaum war ich drin, hat der mir irgendwas über'n Schädel gezogen. Der muss hinter der Tür gelauert haben. War echt blöd, aber ich wusste ja nicht, dass dein Freund der irre Psycho ist. Sonst hätte ich die Polizei gerufen, statt die Tür einzutreten. Ganz schön dramatisch und ganz schön bescheuert. So hat er uns beide gehabt.

Keine Ahnung, wie ich dann in den Kofferraum von seiner Scheißkarre gekommen bin, aber der ist 'ne halbe Ewigkeit gefahren und du musst auf dem Rücksitz gewesen sein oder so. Jedenfalls war ich in dem Kofferraum gefesselt und allein und die Luft hat gerade so gereicht, bis wir an diesem Haus angekommen sind. Da hat er mich ausgeladen und in dieses Zimmer geschleift und an dieser Heizung fixiert. Die ganze Zeit hat er irgendwelchen Schwachsinn über Sodomie und Sünde gefaselt und ich dachte, ist ganz gut, wenn ich das nicht richtig mitkriege. Aber dann ist mir eingefallen, dass er dich auch hat und als er rausging und wiederkam, hatte er dich dabei. Und dir hatte er was von dem Scheißzeug gegeben, denn du hast dich überhaupt nicht gerührt oder irgendwas gesagt oder so, auch nicht ... auch nicht als er angefangen hat ... Du hast nur dagelegen und ... ich hab geschrien wie am Spieß, als er über dich hergefallen ist, bis ... ich kapiert habe, dass er genau das wollte. Dann hab ich die Klappe gehalten und überlegt, was ich tun kann..."

Rainbow WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt