#12 - Captured in my Head

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Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich die vom Weinen geschwollenen Augen öffnete, war es draußen dunkel und Jack lag nicht mehr neben mir. Laut meiner Uhr musste ich ganze 7 Stunden geschlafen haben, obwohl ich mich nicht sonderlich besser fühlte.
Als ich vollständig wach war, kamen die Erinnerungen zurück und ich wollte mich gerade gegen den darauf folgenden Schmerz wappnen, als ich bemerkte, dass dieser ausblieb. Zudem hatte ich das Gefühl irgendwie gefangen zu sein, da ich alles nur schwach wahrnahm, als wäre ich betäubt oder unter Drogen.
Klingt echt schräg, ich weiß, aber ich habe einfach eine Ahnung wie ich es beschreiben soll. Es käme der Sache vermutlich am nächsten, wenn ich sagen würde, dass ich in mir selbst, wie in einer Blase festsaß und nur im Stande war zuzugucken, was mein Körper so machte. Ich versuchte dieses Gefühl abzuschütteln, aber es gelang mir nicht - ich war in meinem eigenen Kopf gefangen und kam nicht wieder hinaus.
Gruseligerweise stand mein Körper ganz alleine, ohne meine „Steuerung" auf und bewegte sich auf die Tür zu. Irgendwas lief hier eindeutig schief, aber ich konnte nichts tun, außer zuschauen und denken. Ich - oder eher gesagt mein Körper, lief die Treppe herunter und auf die Küche zu, aus der es echt ziemlich gut roch. Kurz davor, bog er jedoch nach rechts ins Wohnzimmer ab und setzte sich vor den Fernseher. Hä? Was ergab das denn bitte für einen Sinn? Ich hatte in meinem Zimmer schließlich auch einen, der dieselben Kanäle hatte. Mein Körper schaltete dann zu allem Übel auch noch begeistert auf „Super RTL", wo irgendein kindischer Quatsch lief, den ich zuletzt vor sechs Jahren geguckt hatte.
Kurz darauf kam meine Mutter ins Wohnzimmer und bat mich das Fernsehen leiser zu stellen. Da mir das persönlich auch zu laut war, wollte ich bejahen und auf den leiser-Knopf drücken, musste aber feststellen, dass es nicht ging. Ich war ja immer noch hilflos in mir selbst gefangen und hatte meine Arme und Beine nicht mehr im Griff und wie sich herausstellte meine Stimme auch nicht mehr, denn mein Mund sagte etwas ganz anderes als geplant: „Ich höre so laut ich will und jetzt hau ab!"
Hatte ich das jetzt gerade ernsthaft gesagt? Ja ich weiß, ICH nicht, aber vermutlich mein Unterbewusstsein, das während ich geschlafen hatte, an die Macht gekommen war (es musste so sein, denn anders konnte ich mir das nicht erklären). Ich sah, wie meiner Mutter die Kinnlade herunter klappte und wollte mich entschuldigen. Da das natürlich mal wieder nicht möglich war -wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es durch Zufall mal geklappt hätte- versuchte ich mich der Barriere zu widmen, die mir den „Zugang" zu meinem Körper versperrte und sie einzureißen. Ich versuchte gegen sie zu rennen und mir so einen Durchgang zu ermöglichen, prallte aber bloß ab, wie ein Flummi an einer Wand.
Gerade nahm ich erneut Anlauf, als ich meine Mutter antworten hörte und innehielt: „Wie sprichst du mit mir Fräulein?! Noch einmal in diesem Ton oder dieser Wortwahl und du kannst eine Woche zu Hause bleiben!" Mein Unterbewusstsein antwortete: ,,Juckt mich doch nicht, ich hab hier eh keine Freunde und werde vermutlich auch nie welche haben! Sperr mich hier ruhig ein, fänd ich gut!"
Sie wollte „mir" gerade antworten, als meine Oma ebenfalls den Raum betrat, nicht ahnend, dass sie quasi mitten zwischen die Fronten des Anfangsstadiums des dritten Weltkrieges geriet.
,,Jaqueline, willst du auch was essen kommen?", fragte sie auch schon, woraufhin meine Mutter mich warnend ansah, wie um mir zu sagen, dass ich mich benehmen und höflich antworten sollte.
ICH hätte das ja auch getan, aber mein neues Ich schien keine Hemmungen zu besitzen oder Angst davor zu haben Ärger zu bekommen und erwiderte: „Nee, geh mal weg mit deinem ekligen Essen, checkt ihr nicht, dass ich Fernseh-gucken möchte?! Also lasst mich in Ruhe und verpisst euch!" Noch während es sprach kam meine Mutter auf mich zu und gab meinem Unterbewusstsein bzw mittlerweile eher Oberbewusstsein eine saftige Ohrfeige, die es in meinen Augen auch verdient hatte.
Dumm nur, dass meine Augen auch gleichzeitig die Augen meines „neuen Ichs" waren und ich die Ohrfeige somit auch zu spüren bekam.
Doch dann passierte etwas in mir. Als würde meine Mutter eine Scheibe einschlagen, verschwand die Barriere, die meinen Geist von meinem Körper getrennt hatte und ich spürte wie ich die Kontrolle zurück erlangte, was ich sofort ausnutzte und aus dem Haus stürmte. Ohne zu wissen wohin, rannte ich einfach los. Weg von dem Haus meiner Großeltern, einfach weg.
Ich hatte keine Ahnung wieviel Zeit vergangen war als ich stehen blieb, weil ich nicht mehr konnte. Das einzige was ich spürte war meine Wut und meine Verwirrung. Ich war zugleich wütend auf mich selbst, aber auch darüber verwirrt, wie es zu all dem hatte kommen können - schließlich hatte ich nur geschlafen, verdammt! Wie hätte ich mich wehren sollen? Und zu alldem kam noch, dass meine Mutter mich geschlagen hatte.
Ja ich weiß, es hatte mir geholfen und es war vermutlich fair und berechtigt gewesen aber Mütter sollten ihre Kinder doch eigentlich nicht schlagen oder? Mein ganzes Leben wurde mir eingetrichtert, dass Gewalt keine Lösung sei, aber es schien, als sei sie doch eine.
Ich sah vom Boden hoch, den ich vermutlich schon die ganze Zeit gemustert hatte und starrte in die Schaufensterscheibe eines Geschäfts. Darin sah ich ein schlankes Mädchen mit blonden Haaren, die ihr fast bis zur Hüfte fielen und bernsteinfarbenen Augen, die vor Wut und Verzweiflung schier zu glühen schienen und mich anbeteten ihr doch zu helfen. Ohne darüber nachzudenken oder wirklich zu wissen was ich da tat, nahm ich all meine Kraft zusammen und schlug mit der linken Faust gegen die Scheibe, sodass sie brach.
Dass ich dabei meine Fingerknöchel verletzte und mir das Blut über die Hand lief kümmerte mich nicht wirklich und den bald eintretenden Schmerz hieß ich willkommen. Er brachte mir neue Kraft und ließ mich kurzzeitig vergessen was geschehen war. Ohne Orientierung rannte ich wieder los.
Als würde sogar der Himmel mich bemitleiden, fing es zu allem Überfluss auch noch an in Strömen zu regnen. Bald war ich klitschnass und obwohl es nicht mehr wirklich etwas brachte, stellte ich mich unter einem Vordach unter.
Als ich so dastand kamen auch schon die Erinnerungen wieder und begannen mich zu quälen. Warum hatte das auch ausgerechnet mir passieren müssen? Hätte es nicht ausnahmsweise auch mal jemand anderen treffen können? Zum Beispiel einen von diesen reichen Schnöseln auf dieser Straße (hier schienen wirklich kein normales Volk zu wohnen, denn ich sah nichts als Villen)? Diesmal bei vollem Bewusstsein, hob ich einen großen Stein (also für die Londoner Innenstadt groß, jetzt nicht irgendwelche Felsen oder Monstersteine) vom Boden auf und beschloss ihnen mal zu zeigen wie es anderen Menschen ging, die nicht alles mit Geld regeln können und die ständig das Unglück trifft. Ich warf ihn also mit voller Kraft durch die Scheibe in der 1. Etage einer solchen Villa und rannte weiter, ohne auf das Klirren der Scheibe zu warten. Vermutlich würde es sie eh nicht interessieren ob sie ein Loch in der Scheibe hatten oder nicht, oder sie würden das als eine Art riesen Unglück betrachten.
Aber was wissen die schon von Unglück? Denen geht es doch gut! Denen ist es egal was anderen Leuten passiert oder welche Schicksalsschläge andere Leute erfahren müssen. Die würden vermutlich sogar versuchen einen Bruder durch Geld zu ersetzen oder sonst wen, aber glaubt mir, das kann man nicht! Nichts und Niemand kann einen Menschen (vor allem einen Bruder) ersetzen, der so denkt wie du und dem du vertrauen kannst, NIEMAND!
Die Tränen flossen mir immer weiter übers Gesicht, sodass ich kaum noch etwas sah und da ich nicht riskieren wollte, auf eine Straße zu laufen und von einem Auto über den Haufen gefahren zu werden blieb ich schon zum dritten Mal an diesem Abend stehen. Durch einen plötzlichen Kraftverlust sank ich an einer Hauswand hinunter. Ich dachte an Jamie zurück, meinen Zwillingsbruder und seine letzten Worte an mich: „Du schaffst das schon Jacky. Du wirst dein Leben weiterführen und glücklich werden, versprich mir das! Und vergiss niemals, ich werde immer bei dir sein und dich beschützen!" Ich dachte an Moms und Vincents Worte: „Ich werde mich von deinem Vater trennen, wir werden morgen hier weg sein." „Schnall das bitte: Es ist aus und vorbei!" und an die meiner Oma, die sich wirklich total bemühte mir zu helfen: „Ist alles in Ordnung? Wenn dich etwas bedrückt, kannst du es mir ruhig erzählen, wenn du willst!" All das ging mir durch den Kopf und machte mich nur noch trauriger und in Jamies Fall sogar schuldbewusst. Ich lebte mein Leben zwar weiter, aber nicht gut und ich versuchte nicht mal glücklich zu werden. Zu Hause in Duisburg, hatte ich meine Freundin gehabt, die mit mir getrauert und mir geholfen hatte. Dort hatte ich dafür gekämpft glücklich zu werden und es war mir auch fast gelungen, als das dann plötzlich mit der Trennung kam. Gerade überlegte ich, ob ich noch eine Scheibe vergewaltigen sollte, als mich eine Stimme in meinen Gedanken unterbrach.

The Story of my Life (1D FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt