Für einander da sein

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„Und es macht dir wirklich nichts aus, wenn sie zu mir kommt und ich sie streichle?" Jay lacht über das gefühlt zehntausendste Mal, dass Dana ihm diese Frage stellt. „Nein, gar nicht. Wenn Keks zu dir kommt und gestreichelt werden will, dann will sie das. Sie ist eine Katze und die haben da bekanntlich ihren eigenen Kopf. Also mach dir keine Sorgen und spiel mit ihr, wenn sie das will."

„Danke. Danke. Danke." Dana strahlt und rennt zu Theo und Nevio, die sich eine der kleineren Sofaecken gesichert haben. Die Banalheit ihres Wunsches Zeit mit seiner Katze zu verbringen, erinnert ihn sehr stark an sich selbst, als er in der ersten Klasse war. Er kennt in ihrem Fall zwar den Grund, ihre Eltern lassen sie kein Haustier haben, aber es stimmt ihn immer nachdenklich.

Jay sieht sich um und entdeckt Jill, die einmal alleine an einem Tisch sitzt, der dafür aber über und über mit Büchern, Notizen und anderen Unterlagen bedeckt ist. „Hey Jill." „Oh, ich hab dich gar nicht kommen sehen. Brauchst du was?" Sie lächelt, doch Jay kann die Erschöpfung in ihren Augen sehen.

„Nein. Aber du solltest vielleicht eine Pause machen, sonst überarbeitest du dich noch." Jill schüttelt den Kopf. „Nein. Ich muss das alles nochmal wiederholen, weil meine zweite Heilerprüfung ansteht und auch, wenn die letzte ja perfekt gelaufen ist, ich will diese wieder gut machen." Jay verkneift sich ein Seufzen, denn wenn er ehrlich ist, dann hat er genau das erwartet. Sie ist manchmal einfach zu fixiert um auf sich selbst zu achten, während sie bei anderen darüber wacht wie ein Falke.

Er zieht einen Stuhl zurück und sieht nach, ob etwas darauf liegt, bevor er sich setzt. „Kann ich dir dabei helfen? Und danach gehst du bitte schlafen und dich ausruhen. Du siehst aus, als würdest du gleich zusammen brechen. So hilfst du niemandem, am allerwenigstens dir selbst. Wenn du so überarbeitest bist, dann kannst du nicht deine beste Leistung bringen."

Jill nimmt den Kopf hoch und schaut Jay überrascht an, der sie angrinst. „Das hast du immer allen gesagt, jetzt nimm dir deinen eigenen Rat zu Herzen." Sie seufzt und legt das Papier in ihrer Hand zur Seite. „Du kannst mir helfen mein letztes Thema für heute durchzugehen, dann lasse ich es für heute bleiben. Aber ein Thema muss ich heute noch wiederholen, sonst komme ich bis zur Prüfung einfach nicht hin."

Jay nimmt die Zettel entgegen, die Jill ihm reicht und seufzt nun wirklich. Er weiß, mehr hätte er nicht erwarten sollen, aber er hatte doch die Hoffnung, dass sie sofort aufhören würde. Während sie nun beginnt ihre Sachen zu sortieren, überfliegt Jay zumindest die Seiten, die er nun in den Händen hält und spürt, wie sich seine Wangen aufheizen. Er weiß, dass er rot geworden ist.

„Bist du soweit?" Jill schaut von den Büchern auf, die sie auf verschiedene Stapel sortiert. „Klar. Fang an, wann immer du soweit bist." Jay schluckt und erinnert sich daran, dass Jill mit all dem kein Problem hat. Das er deshalb auch keines haben sollte. Sonderlich wohl fühlt er sich dennoch nicht.

„Okay. Welche Zauber sind die wichtigsten, wenn man das Themengebiet Schwangerschaften behandelt?" Jill hält einen Moment innen, dann sortiert sie weiter. „Zu Beginn sollte man natürlich den Gravidam ostende nennen. Das ist der Zauber, der eine Schwangerschaft anzeigt. Die Beschwörung hat eine ungewöhnliche Betonung auf dem -am am Ende von Gravidam. Die Handbewegungen gehen so."

Jay beobachtet Jill, die die Bewegungen mit einem Stift demonstriert. Er nickt und bestätigt somit, dass sie richtig ist. „Dann ist da natürlich der Zauber, der feststellt, ob der Fötus bereits eine Seele besitzt. Die Formel ist Revelare anima mea oder war es mae?" Jill sieht zu Jay. „Nein, du hattest Recht. Es ist mea." Jay sagt nichts, aber er weiß, dass ihr diese Unsicherheit im ausgeruhten Zustand nicht passiert wäre.

Jill demonstriert erneut die Bewegungen und Jay gleicht sie mit ihren Notizen ab. „Warum darf man den Zauber nur wirken, wenn man ein Heiler ist? Und nicht einmal, wenn man an Freunden übt?" „Der Zauber hat eine hohe Fehlerquote und ein falsches Ergebnis kann weitreichende Folgen haben, die möglicherweise nicht unumkehrbar sind. Daher ist es verboten, sie in der Öffentlichkeit oder durch nicht vereidigten Heilern zu wirken."

Jill wartet auf Jays Bestätigung, dann kehrt sie zu der eigentlichen Aufgabe zurück. „Der normalerweise direkt danach gewirkte Zauber ist der, der einem das genaue Alter des Fötus verrät, der Graviditate tempus. Die Betonung liegt hierbei auf -vidi- in der Mitte." Ihre Bewegungen sind exakt und Jay nickt.

„Danach kommt die Überprüfung der Werte des Fötus und der Blutwerte der Mutter. Für das Kind gibt es den Zauber Puer values. Dabei muss man aufpassen, dass man wirklich die Werte des Kindes erhält und nicht die der Mutter. Ein Heiler kennt die Unterschiede. Dabei geht es vor allem um die Werte, die die Nährstoffgehalte zeigen. Diese sind bei der Mutter deutlich höher als bei nicht schwangeren Frauen, bei dem Kind dagegen sind sie niedriger."

Sie macht einen Moment Pause und reibt sich die Stirn, ein Zeichen, dass sie Kopfschmerzen hat und sich nicht richtig konzentrieren kann. Jay weiß, dass es ihr nicht wichtig genug ist, sondern dass sie dieses Thema durchgehen will, koste es, was es wolle. Jay macht sich Sorgen um sie, aber er weiß, dass es zu einer Diskussion führen würde, würde er es sagen. Dann würde sie noch länger nicht in ihr Zimmer kommen und sich nicht ausruhen.

„Der Zauber für das Blutbild der Mutter bekommt man mit dem Zauber... Sanguis... sanguis... ich weiß es nicht." „Sanguis picturae." Jill nickt. Jay überfliegt die Seite. „Okay. Die Formel für den Geschlechtstest und dann gehst du schlafen." Jill will diskutieren, aber lässt es dann bleiben. „Du merkst selbst, dass du dich nicht konzentrieren kannst. Also geh bitte schlafen." „Revelare sexus."

„Richtig, und jetzt geh schlafen." Jay gibt Jill die Zettel zurück und sie verschwindet hinter der Tür in Richtung ihres Zimmers. Das sie das einfach tut, zeigt ihm nur zu genau, dass sie wirklich erschöpft ist. Er lächelt, stolz auf sich, und geht dann zu seinen Freunden.

Probleme im Haus der SchlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt