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Ich war überglücklich, als ich den Schultag, und somit auch die Mathestunde, endlich hinter mich gebracht hatte. Es war die Hölle gewesen, mit dem Kerl, mit dem ich rumgemacht hatte und der zugleich auch noch mehr verdammter Lehrer war, in einem Raum zu sitzen. Die ganze Zeit über hatte ich zwanghaft aus dem Fenster gestarrt, um mich bloß nicht wieder in seinen Augen zu verlieren, und als es geklingelt hatte, war ich mit gesenktem Kopf hastig herausgestürmt.

Sicherlich hatte Kim Namjoon das Gleiche getan. Es wäre wohl besser, wenn wir so wenig in Kontakt kommen würden, wie möglich, denn es war einfach ein merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass man mit seinem Lehrer rumgemacht hatte. Na ja, vielleicht hatte das aber auch eine gute Sache an sich, und zwar, dass er mich wahrscheinlich in Ruhe lassen würde und ich somit die Freiheit, die ich in den letzten Jahren bereits in Mr. Yangs Unterricht hatte genießen dürfen, wieder erleben dürfte.

Also genau das, was ich mir als Einziges von meinem neuen Mathelehrer gewünscht hatte.

Aber wenn ich mich entscheiden müsste ... ich würde mir wohl wünschen, ihm vorher nicht schon begegnet zu sein.

Dann wäre ich nun nicht so verwirrt und überfordert und durcheinander mit all den Gedanken und Gefühlen, die in mir ausgelöst wurden, sobald ich den attraktiven Blonden vor meinen Augen sah.

Mit einem lauten Seufzen kündigte ich mich Zuhause an und legte meinen Rucksack auf dem Boden ab, bevor ich mir die leichte Jacke von den Schultern sowie die Schuhe von den Füßen streifte. Während ich alles in der Garderobe verstaute, flog mir der leckere Geruch von Soba-Nudeln in die Nase und ich begab mich sogleich in die Küche, wo ich meinen Mitbewohner und guten Freund Hoseok am Herd stehen sah.

"Hey, Schatz, wie war die Schule?", fragte mich der Ältere mit seinem typischen Sonnenschein-Lächeln. Ich verdrehte die Augen und murmelte leise "Du sollst mich doch nicht so nennen, Hobi", während ich mich auf einem der Stühle niederließ.

Für alle, die sich nun wunderten, weshalb ich nicht mehr bei meinen Eltern wohnte, obwohl ich noch zur Schule ging, hier eine kurze Erklärung: Schon seit ich denken konnte, hatte ihre Beziehung lediglich aus Streit bestanden, und am Ende meiner pubertären Phase hatte ich gesagt, dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn sie sich endlich trennen würden. Natürlich hatte ich für diese Aussage ein bisschen Geschimpfe und Tadel abbekommen, doch letztendlich hatten meine Eltern zugestimmt und sich um die Scheidung gekümmert, als aus folgendem Grund der nächste Streit angefangen hatte: Bei wem sollte ich regulär wohnen? Bei meiner Mutter oder meinem Vater?

Da ich irgendwann keine Lust mehr gehabt hatte, dass sie sich wegen so einer dämlichen Sache stritten, hatte ich den nächsten Vorschlag gemacht und gesagt, dass ich ja auch einfach alleine wohnen könnte, bei keinem von den beiden, sodass es auch keinen Zorn geben müsste. Mit meinen zarten sechzehn Jahren wäre das immerhin möglich.

In dieser einen Sache waren sie sich dann endlich mal einig gewesen: Dass dieser Vorschlag ein guter war. Dennoch hatten sie gesagt, dass sie mich nur ausziehen lassen würden, wenn ich einen Mitbewohner haben würde, und da hatte sich mein ehemaliger Nachbar und Kindheitsfreund Jung Hoseok, der zwei Jahre älter als ich war und in der gleichen Zeit ausgezogen war, perfekt angeboten. Meine Eltern kannten und mochten ihn, vertrauten ihm und waren demnach damit einverstanden gewesen, sodass ich mittlerweile seit fast zwei Jahren zusammen mit ihm in einer kleinen Wohnung lebte.

Mit meinen Eltern hatte ich seitdem nicht mehr allzu viel persönlichen Kontakt. Wir trafen uns ausschließlich in den Ferien, selten an Wochenenden, aber ich telefonierte und schrieb oft mit ihnen. Sie fehlten mir nicht mehr so sehr, wie es am Anfang der Fall gewesen war, aber natürlich liebte ich sie, trotz der vergangenen Streiteren.

Hoseok stellte den Herd etwas herunter, ehe er sich zu mir drehte und dabei, so wie fast immer, am Lächeln war.

"Was ist los, hm?", fragte er mich direkt besorgt, als er meine nicht allzu gute Laune bemerkte.

Das Ding mit Hoseok war, dass er mich inzwischen so gut kannte, dass es einfach unmöglich war, Geheimnisse vor ihm zu haben. Nicht nur, dass wir bereits seit der Kindheit an miteinander befreundet waren, sondern auch, dass wir mittlerweile so lange zwischen den gleichen vier Wänden lebten, hatte den Rothaarigen so sehr geschult, dass ich nichts mehr zu sagen brauchte und er dennoch sofort wusste, dass etwas los war.

Ich wusste, dass es nichts bringen würde, ihm zu widersprechen, denn früher oder später fand Hoseok alles heraus. Deshalb hatte ich ihm auch schon einen Tag nach unserem Clubbesuch erzählt, dass ich etwas mit einem Typen gehabt hatte, und damit war er der Einzige, der davon Bescheid wusste.

"Der Kerl, mit dem ich am Freitag im Club rumgemacht habe", sprach ich leise. "Ja? Was ist mit ihm?", hakte Hoseok sogleich neugierig nach.

Ich kaute mir nervös auf der Unterlippe herum.

"Wie ich heute hatte herausfinden dürfen, ist dieser für dieses Jahr mein Mathelehrer."

Hoseok entgleisten alle Gesichtszüge und er starrte mich fassungslos an, ehe ein Schmunzeln seine Lippen zierte.

"Das ist ... okay, wow, das ist echt krass."

"Das ist ganz und gar nicht krass!", murrte ich. "Ich habe mit meinem Lehrer rumgemacht! Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch noch weiß, dass ich das am Freitag war! Weißt du eigentlich, wie unangenehm das ist? Die eine Stunde heute war schon zu viel, wie soll ich das noch ein ganzes Jahr lang aushalten?!"

"Meine Güte, Seokjin, komm runter! Ich glaube kaum, dass du jede Mathestunde das gleiche unangenehme Gefühl haben wirst, wie heute. Du bist einfach noch ein bisschen überrascht und verwirrt, aber das wird sich mit der Zeit bestimmt legen."

Wie soll sich das denn legen? Er ist mein Lehrer?!

Hoseok spürte, dass mich seine Worte keineswegs trösteten, weshalb er die Arme ausbreitete. Ohne zu zögern, stand ich auf und ließ mich von ihm in eine feste Umarmung ziehen.

"Hey, Schätzchen, das wird, ja? Ihr braucht ein paar Stunden, und dann ist das Ganze eh schon vergessen. Ihr seht euch ja außerhalb des Unterrichts nicht und du hast auch keine Gefühle für ihn, also ist doch alles gut. Sag, dass alles gut ist!"

"Alles gut", nuschelte ich mit geschlossenen Augen.

Es würde alles gut werden. Bald schon wäre die Sache vergessen. Immerhin hatten wir außerhalb des Unterrichts nichts miteinander zu tun und ich hatte auch keine Gefühle für ihn.

Ich redete mir das ununterbrochen ein, während Hoseok mich umarmte, und tat alles daran, diesen Worten zu glauben. Wenn ich in diesem Moment doch nur gewusst hätte, wieso ich mich so schwer daran tat.

"Jetzt essen wir aber erst einmal, klar?", meinte der Rothaarige nach einer Weile und löste sich aus unserer Umarmung. Ich sah ihn an und nickte, so entschlossen wie möglich, woraufhin ich wieder am Tisch Platz nahm, während er sich um alles kümmerte.

Das wird schon, Seokjin, schoss es mir dabei immer wieder durch den Kopf. Ganz bestimmt.

𝐏𝐄𝐑𝐅𝐄𝐂𝐓𝐋𝐘 𝐖𝐑𝐎𝐍𝐆 | NAMJINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt