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Ich hatte einen Plan. Er war total kindisch und unnötig, aber ich war aufgrund meiner Verzweiflung überzeugt, dass er sein musste und mir das Leben zwischen meinem neuen Mathelehrer und mir um einiges vereinfachen würde.

Dass ich im Unterricht nicht aufpasste und meine Zeit lieber damit verbrachte, aus dem Fenster zu starren und mich an meinen Gedanken aufzuhängen und zwischendrin bei Jimin abzuschreiben, war ja kein Geheimnis. Aber wenn ich, aus welchem Grund auch immer, in ein Gespräch mit Kim Namjoon kommen sollte, wenn er mich zum Beispiel einfach so drannehmen würde oder so, dann würde ich meine bitchy Seite heraushängen lassen. Immer noch im höflichen und respektvollen Rahmen, das war mir wichtig, doch ich würde alles daran geben, ihn mich nicht mögen zu lassen.

Somit würde ich unser Verhältnis distanzieren und er würde sein Bestes tun, keinen einzigen Gedanken mehr an die Party und unser kleines Intermezzo zu verschwenden, und ich würde dasselbe machen. Dann hätte sich das Ganze hoffentlich nach wenigen Stunden gegessen und ich könnte ihm endlich wieder in Ruhe in die Augen schauen, ohne an diesen Abend erinnert zu werden.

Dann hätten wir es beide irgendwann vergessen und könnten eine gesunde, non-sexuelle Lehrer-Schüler-Beziehung führen, wie es sich gehörte.

In diesem Moment hatte ich aber nicht damit gerechnet, dass wir in Zukunft gezwungenermaßen noch mehr in Kontakt kommen würden und dieser Plan sehr, sehr schwierig, eigentlich unmöglich, umzusetzen sein würde.

Hoseok hatte recht behalten. Schon in der zweiten Stunde war es nicht mehr so schockierend und unangenehm gewesen, zu wissen, dass ich meinen Lehrer geküsst hatte, auch wenn ich im Inneren noch immer einen bitteren Nachgeschmack spürte. Umso glücklicher war ich, als es endlich gongte. Hastig kramte ich meine Sachen zusammen und wollte gemeinsam mit Jimin, Taehyung und Jungkook in unsere wohlverdiente Pause stürmen, da wurde ich ausgerechnet von Kim Namjoon aufgehalten.

"Seokjin? Könntest du bitte noch einen Augenblick hier bleiben?", fragte er mich mit seiner sanften Stimme.

Okay, Herz, entspann dich.

Warum war ich so nervös? Das lag doch sicherlich nur daran, dass ich mich davor fürchtete, dass er mit mir über den Abend im Club reden könnte, oder?

Ganz bestimmt.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und zwang mich zur Ruhe. Mein Lehrer würde mich doch niemals darauf ansprechen. Für ihn wäre es auch das Beste, wenn wir beide einfach so tun würden, als ob nie etwas passiert wäre. Also musste es etwas anderes sein. Auf jeden Fall.

"Wir warten draußen auf dich", meinte Jimin im Vorbeigehen und klopfte mir auf die Schulter. Währenddessen zierte ein breites Grinsen seine Lippen und er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen, bevor er zusammen mit Taehyung und Jungkook als Letzter den Raum verließ.

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte ich mich langsam um und legte meinen Rucksack auf einem der Tische ab, bevor ich den Kopf hob und in Kim Namjoons dunkle Augen schaute, die mich still betrachteten.

"Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mr. Kim?", fragte ich mit einem zarten Lächeln, derweil ich alles daran tat, nicht verloren zu gehen, während ich ihn anblickte.

"Seokjin", sagte er, "ich habe mich, bevor ich hierhin gekommen bin, ausführlich mit Mr. Yang über seine Kurse, die ich übernommen habe, unterhalten und er hat mir erzählt, welche Schüler eher im oberen und welche eher im unteren Notenbereich anzusiedeln sind."

"Und?", entgegnete ich desinteressiert.

"Du bist definitiv bei den Schülern im unteren Notenbereich. Das haben mir auch die zwei Unterrichtsstunden, die wir bis jetzt hatten, gezeigt."

Aua.

"Weiß ich", murmelte ich aber nur. Ich wollte dieses Gespräch, so schnell wie möglich, zu einem Ende bringen.

"Ich finde es sehr schade, Schüler zu haben, die in meinem Unterricht um eine schlechte Vier kämpfen müssen. Ich hatte gedacht, dass du einer derjenigen wärst, die es lediglich nicht gebacken bekommen würden, mit mathematischen Formeln umzugehen, aber du scheinst mir eher wie einer, der sich gar nicht für das Fach interessiert und es daher auch gar nicht erst versucht."

Es beleidigte mich, was Kim Namjoon sagte, auch wenn ich wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Ich war kein dummer Junge, der mit all den Zahlen und Buchstaben und Formeln überfordert war. Ich verstand die Themen eigentlich sogar recht früh, wenn sie angefangen wurden. Jedoch nur, solange sie auch besprochen wurden. Sobald es zum nächsten Thema ging, hatte ich schon vergessen, welche Formeln im letzten wichtig und wofür gewesen waren, und so war ich mit den Jahren immer schlechter in Mathe geworden. Das daraus resultierende Desinteresse hatte dann noch sein Übriges getan, sodass ich jetzt stand, wo ich eben stand.

Ich seufzte genervt auf und verschränkte meine Arme vor dem Oberkörper.

"Okay", raunte ich. "Hören Sie mal, Mr. Kim, man kann nicht jedes Fach geil finden und sich dafür interessieren. Ich zum Beispiel finde Mathematik richtig scheiße. Deswegen gebe ich mir auch schon lange keine Mühe mehr, da haben Sie recht, aber ich sehe das Problem nicht. Ich bin jedes Jahr irgendwie durchgekommen und werde das auch dieses Jahr schaffen, außerdem sind meine Noten in den anderen Fächern mehr als akzeptabel. Ach, und sowieso, es gibt noch sehr viele andere Leute in diesem Kurs, die genauso schlecht, wenn nicht sogar schlechter sind, ich verstehe nicht, weshalb Sie ausgerechnet mit mir darüber reden müssen!"

Ich bin beeindruckt von dir, Seokjin.

Ich hatte Angst gehabt, meine Fassung zu verlieren, wenn ich alleine mit Kim Namjoon in einem Raum sein würde, aber ich trug sie voller Stolz und hielt mich zusätzlich noch an den Plan, den ich nach vielen Grübeleien aufgestellt hatte.

Der Blonde erwiderte meine undurchdringliche Miene nachdenklich, ehe er langsam nickte.

"Ich verstehe, dass du genervt bist, Seokjin", äußerte er gelassen. "Und du hast recht, dass es neben dir noch weitere Schüler gibt, die mit dem Fach zu kämpfen haben. Ich werde mir auch bei allen die gleiche Mühe geben, ihre Noten in diesem Jahr anzuheben. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen dir und den anderen."

Und im nächsten Augenblick spürte ich schon, wie ich um meine Fassung zu kämpfen hatte.

Oh mein Gott. Oh mein Gott, er sagt doch nichts zu der Party, oder? Oder?!

Ich versuchte mich mit aller Kraft dagegen zu wehren, doch ich spürte, wie meine Fassade zu bröckeln begann. Ich hatte solch eine Angst davor, dass er mich darauf ansprechen würde, dass alles in mir tobte und mir etwas schwindelig wurde.

Komm schon, Seokjin, Fassung bewahren!

Ich zwang mich zu einer möglichst entspannten Miene, während ich Kim Namjoon anguckte.

"Worin liegt denn der Unterschied?", fragte ich daraufhin und konnte nicht das nervöse Zittern in meiner Stimme verhindern. Namjoon musterte mich ein paar Sekunden lang still, dann antwortete er mir.

𝐏𝐄𝐑𝐅𝐄𝐂𝐓𝐋𝐘 𝐖𝐑𝐎𝐍𝐆 | NAMJINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt