다섯

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"Du sollst Nachhilfe erhalten", sagte Kim Namjoon. Ich starrte ihn einen Moment lang mit großen Augen an, dann blinzelte ich mehrmals und lehnte mich ein wenig nach vorne, ehe ein verwirrtes "Wie bitte?" meine Lippen verließ.

"Deine Mutter hat sich beim Direktor gemeldet und ihn darum gebeten, dass du Nachhilfe in Mathe bekommst", erklärte mein Lehrer entspannt. Ich war immer noch vollkommen überfordert mit dieser Information, doch gleichzeitig spürte ich, wie sich Erleichterung in mir breitmachte und ich konnte mich nicht gegen das befreiende Seufzen wehren, das sich nach draußen kämpfte.

Ich war wirklich verdammt froh darüber, dass Kim Namjoon nichts von unserem Rumgemache in dem Club erwähnt hatte und ich war mir sicher, dass er das auch nicht mehr tun würde. Somit würde sich mein Wunsch, dass wir das beide früher oder später endlich vergessen würden, wohl irgendwann bewahrheiten, und das freute mich.

Was mich allerdings ganz und gar nicht freute, war die Tatsache, dass ich Nachhilfe in Mathematik bekommen sollte.

"Ich will und brauche keine Nachhilfe", meinte ich deshalb auch trotzig. "Das ist mein Abschlussjahr, das würde doch sowieso nichts bringen. Nein, das ist es mir nicht wert."

Den Blonden schien es wirklich anzustrengen, mit mir zu diskutieren, und das hob meine Laune trotz dieser merkwürdigen Situation gerade, wenn auch nur für einen kurzen Herzschlag, ziemlich an.

"Hör mal, Seokjin", sagte er. "Normalerweise würde ich dir zustimmen. In seinem letzten Schuljahr noch Nachhilfe zu bekommen, ich weiß nicht, inwieweit das sinnvoll ist. Aber ich bin hier zurzeit nicht mehr als ein Referendar, und aus diesem Grund möchte ich es mir mit der Schulleitung nicht verscherzen. Deswegen werde ich ihrer Bitte auch nachgehen."

Entgeistert schaute ich ihn an. Das war doch alles korrupt! Ja, meine Mutter hatte in einem unserer letzten Telefonate vielleicht mal beiläufig erwähnt, dass sie der Meinung wäre, dass ich in Mathe Nachhilfe bekommen sollte, damit diese schlechte Note nicht allzu sehr auffallen würde, aber das hatte ich schon längst vergessen. Viel mehr hatte ich es vollkommen verdrängt, da ich nicht gedacht hätte, dass sie das tatsächlich tun würde, doch jetzt befand ich mich hier und musste wegen ihr mit meinem verdammten Lehrer Kim Namjoon über Mathematik-Nachhilfe reden!

Wie hatte sie mir nur bloß so in den Rücken fallen und sich wegen so einem Mist beim Direktor melden können?!

"Das ist doch lächerlich", beschwerte ich mich weiter. "Meine Mutter hatte sicherlich nur ein paar Flusen im Kopf, als sie auf die Idee kam."

"Ich muss dich enttäuschen, Seokjin", entgegnete Kim Namjoon sofort. "Sie hat schon alles mit dem Direktor abgeklärt und sich sogar um die Bezahlung und alles gekümmert. Ihr ist das also ziemlich ernst, und mir deswegen auch."

Ich schüttelte langsam den Kopf. Meine Mutter hatte vielleicht Nerven! Sie dürfte sich beim nächsten Telefonat etwas von mir anhören, aber so was von. Doch jetzt, wo ich wusste, dass sie es tatsächlich ernst meinte, blieb mir wohl keine andere Wahl, als mich dem zu fügen. Und was wären schon ein, zwei Stunden Nachhilfe die Woche?

"Okay", gab ich letztendlich nach. Ich wollte meine Mutter immerhin nicht enttäuschen. "Und wer wird mein Nachhilfelehrer sein?"

Kim Namjoon zog verwundert die Augenbrauen zusammen, bevor ein leichtes Schmunzeln seine Lippen umspielte.

"Na, ich natürlich. Deshalb spreche ich ja auch erst überhaupt mit dir darüber."

Zum mittlerweile hundertsten Mal an diesem Tag wurde mein ganzes Inneres vor Fassungslosigkeit durchgeschüttelt. Ernsthaft? Kim Namjoon sollte mein Nachhilfelehrer werden?

Natürlich war das von Anfang an offensichtlich gewesen, denn er hatte recht, sonst hätte er mich wohl nie darauf angesprochen und mit mir darüber geredet. Doch in den letzten Minuten hatte ich erst einmal damit zu kämpfen gehabt, überhaupt allein unter vier Augen mit ihm zu sprechen, und anschließend damit, dass ich Nachhilfe bekommen sollte.

Und jetzt erfuhr ich auch noch, dass ausgerechnet er mir diese Nachhilfe geben sollte.

Das Schicksal will mich doch verarschen.

Fuck, mein Plan wäre so gut gewesen, wenn wir unseren Kontakt auf den Matheunterricht hätten beschränken können. Aber wie sollte das denn funktionieren, wenn ich Kim Namjoon auch noch außerhalb von diesem sehen würde, ohne andere Mitschüler, die er nerven könnte?!

Nur wir beide. In einem Raum. Für eine ganze Stunde. Woche für Woche.

Das halte ich nicht aus.

Ich hatte wirklich geglaubt, dass es klappen könnte. Dass wir mit der Zeit vergessen könnten, was zwischen uns gewesen war. Aber das erschien mir im Angesicht der Tatsachen als unmöglich.

Verdammt ...

Zum ersten Mal in meinem Leben bereute ich es, dass ich mich im Matheunterricht so hatte gehen lassen.

Mit ruhigem Blick sah ich Kim Namjoon, der diesen genauso ruhig erwiderte, an.

Es fiel mir schwer, mich in seiner Nähe zu kontrollieren. Ich wusste nicht, wieso, aber seine Anwesenheit allein reichte schon, um mein Herz zum Rasen, meine Hände zum Schwitzen, meinen Bauch zum Kribbeln zu bringen. Sicherlich hätte ich es mit der Zeit geschafft, mich nicht mehr so von ihm und seiner Präsenz verschlingen zu lassen, doch wenn wir in Zukunft, wenn auch nur für wenige Stunden, allein sein würden, würde ich das wohl nie hinbekommen.

Noch nie hatte es eine Person gegeben, die solche Dinge in mir ausgelöst hatte, und das verunsicherte mich.

Mein Plan ist für'n Arsch ...

"Gibt es ein Problem, Seokjin?", fragte mich Kim Namjoon jetzt.

Es gibt so einige.

Aber das sagte ich natürlich nicht.

"Nein", erwiderte ich stattdessen. "Ich habe verstanden."

Der Blonde nickte und stieß ein zufriedenes Seufzen aus, dann drückte er sich vom Pult, an das er sich die ganze Zeit über angelehnt hatte, ab, während seine Augen still auf mir lagen. Anschließend holte er einen kleinen Zettel sowie einen Kugelschreiber aus seiner Tasche heraus.

"Hast du Donnerstag um siebzehn Uhr Zeit?", fragte er mich, während er irgendetwas auf das Blatt schrieb.

"Ja, habe ich."

"In Ordnung. Dann sehen wir uns da bei mir", meinte er und überreichte mir den Zettel, auf dem seine Adresse stand.

Na super. Wir würden die Nachhilfe nicht einmal in der Schule, sondern in seinem privaten Rückzugsort abhalten. Das machte mir die ganze Sache ja nicht noch komplizierter.

"Ist gut", murmelte ich am Ende meiner Kräfte. Und dabei hatten wir gerade mal den dritten Schultag.

Das wird mein Jahr ...

Kim Namjoon schaute mich mit einem sanften Lächeln, das ihm wirklich gut stand, an. Dann griff er nach seiner Tasche sowie seiner Jacke, ehe er sich mit einem Nicken von mir verabschiedete und den Raum verließ, während ich hier zurückblieb und einige Sekunden brauchte, das Geschehene zu verarbeiten. Erst dann war ich mehr oder weniger bereit dafür, zu meinen Freunden in die Pause zu gehen.

𝐏𝐄𝐑𝐅𝐄𝐂𝐓𝐋𝐘 𝐖𝐑𝐎𝐍𝐆 | NAMJINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt